EU-Gipfel in Barcelona

Irgendwie dagegen

Eine bessere Welt, ein sozialeres Europa und nationale Eigenständigkeit - die Proteste in Barcelona waren stark, die Forderungen widersprüchlich. Zum Glück gibt es Manu Chao.

Wenn der Feind uns bekämpft, ist das gut und nicht schlecht«, lautet eine Mao-Weisheit. Zeige sich durch dessen Vorgehen doch, »dass unsere Arbeit glänzende Erfolge gezeitigt hat«.

Wäre das Ausmaß staatlicher Repression tatsächlich ein ausreichendes Erfolgskriterium, die globalisierungskritische Bewegung hätte allen Grund zu der Annahme, sich auf dem bestem Weg zu befinden. Mit Kampf- und Aufklärungsflugzeugen, Luftabwehrraketen, Kriegsschiffen und Patrouillenbooten sicherte der spanische Staat das Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am Wochenende in Barcelona. Hinzu kamen 8 500 Angehörigen der Nationalpolizei, der paramilitärischen Guardia Civil sowie der katalanischen und städtischen Polizei.

Die Gegenseite konterte mit einem ebenso starken Aufgebot. Nach dem Ende des Gipfels demonstrierte eine riesige Menschenmenge unter dem Motto »Gegen das Europa des Kapitals und den Krieg - Eine andere Welt ist möglich«. Die Polizei sprach von mehr als 200 000, die Veranstalter gar von einer halben Million Teilnehmern. Ein beachtlicher Erfolg, denn der Europäische Gewerkschaftsbund hatte für seine Demonstration am Donnerstag nur etwa 100 000 Leute mobilisieren können.

Am Samstag hatten viele aus dem Ausland angereiste Aktivisten ihre Mühe, überhaupt zum Ort des Geschehens zu gelangen. Wie die italienische Regierung vor dem Gipfel in Genua, setzte auch die spanische das Schengener Abkommen außer Kraft. Die Guardia Civil kontrollierte selbst an kleinen Grenzübergängen in den Pyrenäen. Am Samstag wurden an einem größeren Grenzübergang Dutzende Reisebusse aufgehalten. Erst gegen 18 Uhr, als die Demo bereits begonnen hatte, durften die Gipfelgegner einreisen.

Etwa tausend Personen, die nicht mehr an eine spätere Einreisemöglichkeit glaubten, kehrten um und demonstrierten in der nahe gelegenen französischen Stadt Pergignan. Auch die Zufahrtsstraßen in die Stadt wurden von martialisch ausgerüsteten Beamten überwacht. In Spanien war den Protesten eine monatelange Kriminalisierungskampagne der Regierung vorangegangen.

Trotz allem glich die Demonstration einem Festzug. Fahnen in allen Farben, zahlreiche Forderungen auf Transparenten, die vom Widerstand gegen den spanischen Wasserplan bis zur Legalisierung von Marihuana reichten. Dazu der Lärm einer Unmenge von Trommeln und Trillerpfeifen. Als die Spitze des Zuges am Kolumbus-Denkmal ankam, wartete der Großteil noch auf dem Plaza de Cataluña.

Den ersten Teil des Demonstrationszuges bildete der Block der Veranstalter, der Kampagne »Gegen das Europa des Kapitals«. Dieser Plattform gehören zahlreiche linksradikale Gruppen wie Mars-Attack, Hausbesetzer, kleinere linke Gewerkschaften und Parteien, Peoples Global Action, Feministinnen, Migrantengruppen, Ökogruppen und andere NGOs an. Sie schließt zwar Militanz aus, betont aber, dass der Kapitalismus Gewalt produziere, was auch der Grund ist, weshalb sie sich nicht von militanten Gruppen distanziert.

Zwei einflussreiche Organisationen, Attac und die Vereinigte Linke, das parlamentarische Bündnis rund um die spanische KP, arbeiten sowohl in der Kampagne wie auch im Sozialen Forum Barcelona mit, das von der traditionellen parlamentarischen und gewerkschaftlichen Linken dominiert wird. Dazu gehört die Sozialistische Partei Kataloniens, die mit Joan Clos auch den Bürgermeister Barcelonas stellt. Dieser ist ein wahrer Spagatkünstler, der die städtische Polizei bereitwillig zur Verfügung stellte und an den offiziellen Empfängen des Gipfels teilnahm.

Im Gegensatz zur Kampagne kritisiert das Soziale Forum die konkrete Politik der EU, lehnt diese aber nicht prinzipiell ab. Auch Militanz wird verurteilt. Daher lief diese Plattform unter einem eigenen Slogan: »Ein anderes Europa ist möglich«. Während der gesamten Aktivitäten des Gipfels war der Unterschied zwischen jenen, die »für eine andere Welt« eintraten, und den sozialdemokratisch orientierten Gruppen, jenen also, denen es um ein »sozialeres Europa« ging, deutlich zu erkennen.

Zwischen diesen beiden Blöcken marschierte die dritte und kleinste Plattform »Katalonien gegen das Europa des Kapitals«, der es vornehmlich um nationale Eigenständigkeit geht: Linksnationalisten aus dem Baskenland, Galizien und Katalonien. Mittendrin auch Transparente wie dieses: »Linie des Bösen: USA, Israel, Weltbank, IWF«. Alle sind irgendwie gegen das Europa des Kapitals, aber nicht unbedingt für Israel.

Natürlich nicht fehlen durften Medienstars wie José Bove. Die große Teilnehmerzahl beweise, so der französische Bauern-Aktivist, dass das Verlangen nach einer gerechteren Welt stärker werde. Auch die Organisatoren zeigten sich euphorisch: »Wir haben gezeigt, dass wir ohne Probleme den Bunker« - gemeint war der Tagungsort des EU-Gipfels - »einnehmen können, aber wir haben uns für die Straße entschieden.« Auf Spanisch, Katalanisch und Arabisch verlasen drei Frauen das Manifest der Demo, das sich gegen die EU-Politik richtete, da diese eine Welt »aus Egoismus, Gewinnsucht, Ausbeutung und Gewalt« schaffe.

Auch wenn die große Schlacht ausblieb, kam es gegen Ende der Demonstration zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Kleine Gruppen von Maskierten attackierten Bankfilialen und Verwaltungsgebäude, aber auch ein Büro der Gewerkschaft CCOO. Die Sicherheitskräfte reagierten mit Knüppeln, Tränengas und Gummigeschossen. Schon tags zuvor war die Polizei zum Teil brutal gegen dezentrale Aktionen vorgegangen. Die Bilanz: insgesamt 109 Festnahmen und fast 30 Verletzte.

Unterdessen strömten die meisten Demonstrationsteilnehmer zu dem Open-Air-Konzert, das unter dem Motto »Wir sind Millionen, die Welt gehört euch nicht« auf dem nahe gelegenen Berg Montjuïc stattfand. Jabier Muguruza, Cheb Balowski und andere bekannte spanische Musiker traten dort auf, als Topact betrat um fünf Uhr morgens Manu Chao die Bühne. Der noch immer mehrere Zehntausend zählenden Menge rief er entgegen: »Wir leben in einer antidemokratischen Situation, weil die, die in den Holdings entscheiden, auch den Politikern sagen, was sie tun sollen.«

Ob transnationale Konzerne auch die Regierung in Madrid beauftragt haben, sich für eine stärkere EU-weite Bekämpfung der Aktivisten einzusetzen, ließ der Popstar der Bewegung offen. Fakt aber ist, dass sich Spanien in jüngster Zeit mit einer Reihe solcher Vorschläge hervorgetan hat. So legte sie, wie die Tageszeitung El Pais unmittelbar vor dem Gipfel berichtete, Mitte Februar in der EU-Koordinationsgruppe gegen Terrorismus ein Konzept zur europaweiten Kriminalisierung aktiver Globalisierungskritiker vor.

Gefordert werde darin eine Datenbank »für den Austausch von Informationen über Verbindungen zwischen radikalen gewalttätigen und terroristischen Gruppen«. Im Visier ist keineswegs nur das so genannte Eta-Umfeld. Vielmehr sei die angestrebte Datenbank ein »sehr nützliches Instrument für die Prävention und Verfolgung der gewalttätigen urbanen Jugendradikalität«. Schließlich stelle die Gewalt »radikaler extremistischer Gruppen« eine »eindeutige Terrorisierung der Gesellschaft« dar.

Vielleicht tut man damit der Bewegung aber Unrecht. Ein Transparent mit der Aufschrift »EU, mach' dich endlich unabhängig von den USA!« zeigte, dass einige Demonstranten ihren Regierungen gar nicht so feindlich gesonnen sind. Wohlwollend könnte man sagen: In der Bewegung gibt es noch großen Diskussionsbedarf.