USA halten an Zöllen für Stahlimporte fest

Stahl für die Wahl

Trotz internationaler Proteste hält die US-Regierung an den Schutzzöllen für Stahlimporte fest. Denn die populistische Maßnahme könnte helfen, die Kongresswahlen im Herbst zu gewinnen.

Freihandel und Globalisierung sind eine feine Sache - solange sie der heimischen Wirtschaft nicht schaden. So in etwa könnte man die von der Bush-Administration angekündigten und im Ausland heftig kritisierten Schutzzölle auf Stahlprodukte deuten. Zwischen acht und 30 Prozent sollen, je nach Art des Produktes, auf den Importpreis aufgeschlagen werden, um der maroden Stahlindustrie in den USA die Gelegenheit zu bieten, sich an den Weltmarkt anzupassen.

Dies ist zumindest die Begründung der US-Regierung für die Einführung der umstrittenen Zölle. Die Bush-Administration ist mit ihrer Entscheidung im Wesentlichen einer Empfehlung der International Trade Commission (ITC) des US-Kongresses vom Dezember vergangenen Jahres gefolgt, die Zölle in Höhe von 20 bis 40 Prozent gefordert hatte. Ausdrücklich ausgenommen von den Zöllen sind Stahlimporte aus Entwicklungsländern, die allerdings nur einen Anteil von drei Prozent der gesamten Stahlimporte der USA ausmachen, sowie - wegen der Nafta-Verträge - Importe aus Mexiko und Kanada.

Obwohl die Regierung laut Artikel 201 des US-Handelsgesetzes von 1974 das Recht hat, Zölle zu erlassen, um »ernsthafte Schäden von der heimischen Industrie abzuwenden«, stellt diese Politik aller Wahrscheinlichkeit nach einen Verstoß gegen die von den USA mitunterzeichneten Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) dar. China, Japan, Russland und die EU haben bereits bei der WTO in Genf Beschwerde eingelegt. Bis zu einer Entscheidung dürften allerdings noch Monate, wenn nicht gar Jahre ins Land gehen. Daher haben sich chinesische, japanische und EU-Unterhändler bereits zu Gesprächen über eine gütliche Einigung bereit erklärt. Alles scheint in das altbekannte Schema zu passen: Für die USA sind internationale Verträge nur dann von Belang, wenn sie davon profitieren.

Einen Handelskrieg aber will die US-Regierung nicht beginnen. Die Importzölle sollen eine Branche schützen, die für Präsident George W. Bush vor allem innenpolitische Bedeutung hat. Der Wirtschaftswissenschaftler Robert Crandall vom Brookings-Institut hat bereits vor einiger Zeit festgestellt, dass die Stahlindustrie in den USA eigentlich aus zwei Branchen besteht: Die »alte« Stahlindustrie, die in riesigen, häufig veralteten Industrieanlagen Eisenerz mit Kohle und mineralischen Zusätzen zu Stahl verhüttet, und die moderneren »Mini-Mills« (Zwerghütten), die in elektrisch betriebenen Öfen Stahl aus Altmetall herstellen.

Die Kapitalkonzentration in der stahlerzeugenden Industrie ist im Vergleich zu anderen Industrienationen nur wenig fortgeschritten, häufig fehlt daher den Hütten das für eine Modernisierung nötige Kapital. Wirtschaftlich marode sind nur die meisten der alten Anlagen, in denen die Produktionskosten, hauptsächlich wegen des hohen Personalaufwandes, im Schnitt etwa 20 bis 25 Prozent höher sind.

Trotz der vielen Pleiten in den vergangenen Jahren ist das Volumen der Stahlproduktion seit Anfang der achtziger Jahre nahezu konstant geblieben. Allerdings findet ein Verdrängungsprozess statt, technologisch überholte Produktionsstätten schließen, Mini-Mills expandieren, Arbeitsplätze gehen verloren. Da auch die Stahlimporte, vor denen die einheimische Industrie angeblich geschützt werden soll, seit Jahren rückläufig sind, machen die Schutzzölle rein wirtschaftlich gesehen etwa so viel Sinn wie der Kohlepfennig.

Das American Institute for International Steel (AIIS), eine Lobbyorganisation, der viele Stahlhändler und einige Stahlverbraucher angeschlossen sind, protestiert dementsprechend heftig gegen die Zölle. In einem Beschwerdebrief an den Präsidenten und den Sprecher der ITC, Robert Zoellick, nennt AIIS-Präsident David Phelps einige wirtschaftliche Gründe gegen Schutzzölle, unter anderem die leicht steigende Nachfrage. Bei einigen Stahlarten gebe es bereits jetzt Lieferzeiten von bis zu vier Monaten. Wenn die Versorgungsengpässe nicht ausreichend durch Importe gedeckt werden könnten, hätte dies möglicherweise fatale Folgen für die stahlverarbeitende Industrie, was zu steigenden Verbraucherpreisen sowie Massenentlassungen führen könnte.

Dennoch hält die Regierung an den Schutzzöllen fest. Die alten Stahlbetriebe liegen größtenteils in den Staaten des so genannten Rust Belt (Rostgürtel), der sich von Pennsylvania über Michigan und Illinois bis nach Ohio erstreckt. Traditionell sind dort die Gewerkschaften recht einflussreich, namentlich die US Steel Workers Union. Zwar hängen von der Stahlherstellung selbst mittlerweile nur noch etwa 140 000 Jobs ab, während beispielsweise bei Wal Mart in den USA über eine Million Menschen arbeiten. Doch stellt Stahl in der Region immer noch ein wichtiges Identifikationsmoment dar. Seit Jahren werben Industrie und Gewerkschaften gemeinsam für Zölle zum Schutz vor billigen und häufig qualitativ besseren Importen.

Politisch gesehen gehören die meisten Staaten der Region zur Kategorie der »Battleground States« - mal gewinnen die Demokraten, mal die Republikaner. Unter Präsident William Clinton erhielten die Stahlkocher mit ihren Forderungen noch eine Abfuhr, Ralph Nader von der Grünen Partei trat als globalisierungskritischer Politiker auf den Plan und kostete die Demokraten wahrscheinlich den Wahlsieg: Bush gewann in Ohio knapp mit 50 zu 46 Prozent.

Gegenüber der brasilianischen Regierung hat ITC-Sprecher Zoellick indirekt wahltaktische Gründe für die Schutzzölle eingestanden. Bush sei zwar für den Freihandel, müsse aber innenpolitische Koalitionen aufbauen, um sein Programm weiterführen zu können. Dies ist ein Verweis auf die für den Herbst anstehenden Kongresswahlen, treffend beschrieben von einem Gewerkschaftsfunktionär aus Ohio: »Wenn sich jemand um dich kümmert, kümmerst du dich um ihn.«

Unter Clinton haben die Demokraten ihre traditionelle, gewerkschaftliche Klientel im Rust Belt ziemlich vernachlässigt und dadurch Stimmen eingebüßt. Im Senat herrscht gegenwärtig eine Pattsituation. Bushs wenig subtiler, aber vermutlich wirksamer Populismus könnte das geeignete Instrument zur Wiedergewinnung der Mehrheit werden. Die ohnehin recht wirkungsarme parlamentarische Kontrolle über die Regierung gäbe es damit praktisch nicht mehr.