»Die letzten Henker«

Ein Leben für den Tod

Sie henkten und sie exekutierten. Ein Dokumentarfilm zeigt die Verzweiflung von Henkern und den Stolz auf ihr blutiges Handwerk.

Fernand Meyssonnier ist in Fontaine de Vaucluse nicht sehr beliebt, aber das ist ihm egal. Denn der kleine, kräftige, auf eine seltsame Weise alterslos wirkende Mann ist durch ein wechselvolles Leben hart gesotten. In seiner Jugend wollte er Tänzer werden, ging häufig ins Ballett. »Ich verliebte mich in Opernmusik«, erinnert er sich. Das mit dem Ballett wurde dann nichts, sein Vater wünschte, dass der kleine Fernand in seine Fußstapfen trete. So wurde aus dem in Algerien aufgewachsenen Fernand Meyssonnier ein Henker.

Noch heute ist er stolz auf sein Lebenswerk. Das wollte er Jahrzehnte später mit der Präsentation von drastischem Anschauungsmaterial krönen. Deshalb gründete er das von ihm so genannte Museum der Justiz und Gerechtigkeit. Das liebevoll zusammengetragene Sammelsurium von Daumenschrauben, Schandmasken und anderen Folterwerkzeugen empfand allerdings niemand in dem sonnigen südfranzösischen Ferienort als sonderlich attraktiv. Nun ist das Museum geschlossen. Allein die Guillotine dämmert noch in einer abgelegenen Kammer vor sich hin. Meyssonnier zeigt sie auf Wunsch der Besucher gerne, hergeben möchte er sie auf keinen Fall, denn er ist sentimental. »Das ist wie mit dem Mann, der einen Ferrari besitzt«, erklärt der ehemalige Henker.

Mit dem Bild der Guillotine beginnt der Film »Die letzten Henker« von Jens Becker und Gunnar Dedio. Langsam fährt die Kamera an dem Mordinstrument entlang, unterlegt mit stimmungsvoller Musik, getaucht in blutrotes Licht. Das ist etwas pathetisch, setzt aber einen sinnvollen Akzent in der ansonsten eher undramatischen Dokumentation. Immer wieder taucht das schaurige Gerät im Film auf. Zusammen mit sparsam eingeschnittenen Bildern von Hinrichtungsorten gliedert es die sich abwechselnden Interviewfolgen. So entsteht ein fließender Rhythmus, in dem die Befragten ihr Leben aufblättern. Dabei wird deutlich, wie unterschiedlich ihr Leben von ihrer Tätigkeit als Henker geprägt wurde.

»Der Tod hat ein Gesicht«, behaupteten die beiden Dokumentarfilmer und belegen dies mit sechs einfühlsam gefilmten Porträts eines Berufsstandes, der sein Handwerk lediglich in Europa nicht mehr ausübt. In der übrigen Welt sind Hinrichtungen immer noch an der Tagesordnung.

In den islamischen Ländern wird sie als Enthauptung, Erschießung und Steinigung praktiziert, um nicht zuletzt abtrünnige Ehefrauen für ihr vermeintliches Laster zu strafen. In den USA trifft sie selbst Verwirrte und Kinder, und auch in Afrika wird nicht viel Aufhebens um das klassische Dilemma von Schuld und angemessener Sühne gemacht.

Der Seelenzustand der Vollstrecker pendelt dabei zwischen stolzer Pflichterfüllung und tragischer Zerissenheit. Meyssonnier ist der Spross einer Henkersfamilie, die ihre Tätigkeit nie ernsthaft in Zweifel zog. Als die Franzosen aus Algerien abzogen, verschlug es den überraschend arbeitslos Gewordenen nach Tahiti. Mit einem Unternehmen für Ungeziefervernichtung wurde er dort ein reicher Mann: »Früher habe ich Araber getötet, jetzt töte ich Fliegen«, erklärte er einem Auftraggeber.

Kein anderer der von den Dokumentarfilmern Interviewten demonstriert ein derart ruppiges Selbstbewusstsein wie Meysonnier und begreift dabei seine Tätigkeit im Wesentlichen als Handwerk. Kein anderer tötete mit der Guillotine, die zu Zeiten der französischen Revolution ersonnen wurde, um ein egalitäres Töten zu ermöglichen und spätestens bei der Hinrichtung alle Klassenunterschiede aufzuheben.

Mit dem Strick richtete der ungarische Strafvollzugsbeamte György Pradlik. In seiner Datsche demonstriert er die Hinrichtungsprozedur. Der Tod trat nicht durch Genickbruch ein. Die Henker streckten den Delinquenten so lange, bis er starb. Eine solche Art der Hinrichtung ist extrem qualvoll. Dennoch empfand Pradlik seine Berufung zur Ausübung staatlich legitimierter Grausamkeit als Auszeichnung: »Ich fühlte mich auserwählt, in der kleinen Truppe bei der Urteilsvollstreckung dabei sein zu dürfen.« Von seiner Tätigkeit sagt er, sie sei »eine Aufgabe«, gewesen, »die erledigt, erfüllt werden muss«. Schon vor seiner Ernennung hatte er als Gefängniswärter die Verurteilten bewacht. »Mancher hat uns sein ganzes Leben erzählt, und irgendwie haben wir ihn sogar verstanden«, resümiert Pradlik.

Waren die Hinrichtungen vorbei, fiel ihm nach eigenem Bekunden »ein Stein vom Herzen«. Fast wäre er »zum Trinker geworden«, meint er. Nach Einschätzung der Filmautoren ist er Alkoholiker. Seiner Tochter verschwieg er die Nebentätigkeit. Sie erfuhr erst durch den Film davon. Noch immer ist der etwas entrückt wirkende Mann strikter Anhänger der Todesstrafe, die in Ungarn jedoch abgeschafft ist. Ein in Freiheit lebender Mörder sei eine furchtbare Sache für die Familienangehörigen, deren Leben er ruinierte, behauptet Pradlik.

Anders als Pradlik zeigt der pensionierte Reuf Ibrisagic Reue. Der gelernte Pädagoge war Chef des Strafvollzuges in Bosnien-Herzegowina. Er trug die Verantwortung für die Auswahl der Erschießungskommandos in den jugoslawischen Gefängnissen, begleitete die Gefangenen in den Tod und schoss auch selbst. Heute jedoch erklärt der sensibel wirkende Mann: »Die maximale Strafe müsste auf zehn Jahre begrenzt sein. Ich bin strikter Gegner der Todesstrafe.«

Richtig stolz auf seine Mitwirkung an über 60 Hinrichtungen hingegen ist Josef Malta. Dem Amerikaner fiel nach dem Krieg die Aufgabe zu, die Götzendämmerung der Nazigrößen zu vollstrecken. »Ich habe es genossen, es hat mir Spaß gemacht. Ich hätte alles für diesen Job getan«, freut er sich noch heute über seine erfolgreiche Bewerbung zum Scharfrichter. Gerne hätte er die Gefangenen auch gefoltert. Klappte es mit dem Henken nicht sofort, dann legte Malta auch schon einmal selbst Hand an: »Um dem Hängenden das Genick zu brechen, sprang ich auf ihn drauf, griff mit der rechten Hand den Kopf am linken Ohr und riss ihn herum«. In dem Seniorenheim, in dem Malta, der während der Dreharbeiten starb, seine letzten Tage verbrachte, war er mit seinen schaurigen Geschichten der Star.

Den Fall Paul Sakowski kommentieren die Autoren so: »In ihm spiegelt sich die ganze Grausamkeit des 20. Jahrhunderts.« Als Sakowski 1938 nach Spanien reisen wollte, um »mit scharfer Munition gegen Franco Krieg zu spielen«, wurde er an der deutschen Grenze geschnappt und im KZ Sachsenhausen interniert. Dort begehrte er gegen die Misshandlung eines Antifaschisten auf und saß anschließend zwei Monate in Dunkelhaft. Die zweihundert Gramm Brot, die er täglich erhielt, waren zu viel zum Sterben, veranlassten ihn aber, aus Hunger seine Schuhsohlen zu verspeisen. Nachdem er zahlreiche Morde der KZ-Schergen hatte mitansehen müssen, soll ihn der Kommandant des Lagers gefragt haben, ob er einen Menschen hängen könne, der sich an einem Kind vergriffen habe. Sakowski bejahte, und so führte er am nächsten Tag seine erste Hinrichtung aus. »Es war das Gift des Militarismus, das aus mir eine unbedingt gehorsame Kreatur gemacht hatte«, sagt er.

Nach dem Krieg inhaftierte der sowjetische NKWD den »Henker von Sachsenhausen«. Weil er seine Verbrechen gestehen sollte, stellten die Militärs ihn drei Tage lang in eine Zelle voller Wasser, folterten ihn und verurteilten ihn schließlich zu einer 25jährigen Haftstrafe. Die saß Sakowski bis zum letzten Tag ab. Erst im Alter von 50 Jahren kam er wieder frei.

Als Becker und Dedio den alten Mann interviewten, hatte er seine Vergangenheit zu weiten Teilen verdrängt, war nach Aussage der Autoren »geistig verwirrt«. Sein Leben fasste Sakowski am Grab seines Vaters so zusammen: »Ich weine jetzt, aber innerlich. Ich habe keine Tränen mehr.«

Jens Becker/Gunnar Dedio: Die letzten Henker. Das Neue Berlin, Berlin, 256 S., 14,90 Euro
Der gleichnamige Film läuft in verschiedenen bundesdeutschen Off-Kinos.