Wild geht es zu auf freier Wildbahn

Weil er im nationalen Medienreservat verkümmert ist, muss der Kirch-Konzern raus auf den freien Weltmarkt.

Eine Frage erscheint im Zuge der aktuellen Wirren um das Kirch-Imperium ungeklärter denn je: Die Frage, was für ein Tier Leo Kirch nun eigentlich und definitiv ist. Früher - in den Anfangsjahren - war das ganz einfach. Da war Kirch einfach nur ein Mogul. Und Mogule, wie man weiß, sind stille Jäger und Sammler. Sie scheuen das Tageslicht und den Rummel um ihre Person, bauen dafür im Verborgenen unglaubliche Vorratslager mit Filmmaterial und Senderechten auf, die sie durch schlechte Zeiten bringen sollen.

Dann wurde auf einmal festgestellt, dass Mogule in »Brehms Tierleben« nicht auftauchen und vermutlich überhaupt keine Tiere sind. Also musste man umdenken und kam zu einem neuen Konsens. »Alter Fuchs« (Wirtschaftswoche, Welt, Tagesspiegel, Spiegel u.a.) war über die Jahre hinweg der absolute Top-Favorit, wenn es um das Tier in Leo Kirch ging. Tatsächlich gemahnt der 75jährige mittlerweile halbblinde Unternehmer in seiner verschlagenen Schlitzohrigkeit ein wenig an einen leicht senilen Gevatter Reineke. CSU-Staatsminister Erwin Huber ließ sich, ganz im Bann dieses Bildes, noch am 1. März zu der vollmundigen Prognose hinreißen: »Leo Kirch ist ein alter Fuchs. Er wird es wieder schaffen.« Anderen war da schon aufgegangen, dass irgendetwas nicht stimmen kann, weil ein wirklich schlauer und erfahrener Fuchs niemals so dumm gewesen wäre, an Bezahlfernsehen in Deutschland zu glauben und alles auf diese Karte zu setzen.

Ein neues Tier musste her. »Dressierter Löwe, handzahm«, titelte bereits Ende 2001 das Manager Magazin, in Ermangelung einer griffigen Idee verlegen auf den Vornamen rekurrierend. Am 26. Februar dann ein neuer Vorschlag der Los Angeles Times: »Leo Kirch ist wie ein verwundeter Bär, geschwächt, aber mit Pranken, die scharf genug sind, um noch zu verletzen.«

Der jüngste, reichlich verwegene Vorstoß stammt von der Berliner Zeitung: Da heißt es: »Gemessen an Leo Kirch sind Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi zwei besonders imposante Knorpelfische. Weiße Haie. Deutschlands Medienunternehmer und Politiker werden wohl oder übel zu ihnen ins Becken steigen müssen. Und Leo Kirch, dem Katzenhai, nachtrauern.« Der alte Fuchs ist ein toter Katzenhai. Man wird wohl noch weiter fahnden müssen.

Derweil machen sich die beiden imposanten Knorpelfische Murdoch und Berlusconi über den noch nicht genau identifizierten Kadaver her. Genaueres weiß man noch nicht, aber schon jetzt steht fest, dass der Vorgang den Super-Gau in der Geschichte des deutschen Medienzoos darstellt: Fremde Tiere in heimischen Gefilden! Ausgerechnet der italienische Sonnenkönig Berlusconi, Inbegriff des plutokratischen Kryptofaschisten. Und der vaterlandslose Großkapitalist Murdoch, die Fleisch gewordene Globalisierung im Nadelstreifen. Fehlte eigentlich nur noch, dass auch der saudische Prinz El Walid, der, wie bislang Berlusconi und Murdoch, 2,5 Prozent an Kirchs Aktien hält, in großem Stil einsteigt. So weit kommt's noch, dass jetzt auch Wüstenfüchse und Kamelficker meinen, sie könnten in Deutschland Fernsehen machen!

Den hypothetischen Horror beiseite gelassen, liegen zwei Argumente auf dem Tisch, die erklären sollen, warum unter Kirch alles nur halb so schlimm war bzw. mit Murdoch und Berlusconi die Katastrophe perfekt wäre. Das erste hört auf den Namen »Kommerzialisierung« und besagt, dass nun, da nach internationalen Regeln gespielt wird, noch rigoroser aufs Geld geachtet werde. Das mag sogar zutreffen. Nur: Die fortschreitende Kommerzialisierung des Privatfernsehens anzuprangern ist ungefähr so aufklärerisch, wie McDonald's der »Amerikanisierung« der Burger-Branche zu zeihen. Einziger Zweck des Privatfernsehens ist seit jeher das Geldverdienen. Da kann Peter Klöppel noch so viele Grimme-Preise gewinnen. Und wenn qualitativ anspruchsvollere Programme höhere Gewinne versprechen, werden eben qualitativ anspruchsvollere Programme produziert. So einfach ist das.

Dabei stimmen »einziger Zweck« und »seit jeher« nicht ganz. Ursprünglich hatte sich die CDU-Regierung unter Kohl vom Privatfernsehen ein Gegengewicht zum vermeintlich linkslastigen öffentlich-rechtlichen Fernsehen versprochen - und mit Leo Kirch und dessen Sendern auch erhalten. Da konnte Alexander Kluge mit seinen Kulturfenstern noch so oft den Quotenkiller spielen.

Und damit wären wir auch schon beim zweiten Argument, das auf »politische Einflussnahme« lautet. Interessant ist, dass es dem ersten Argument - der Kommerzialisierung - diametral entgegensteht, aber trotzdem in einem Atemzug genannt wird. Wenn etwa Springers Welt seit Jahren zirka 50 Millionen Euro per anno Verlust einfährt und dennoch nicht dicht gemacht wird, dann hat das politische Gründe. Wer ein politisches Anliegen und Sendungsbewusstsein hat, muss dies subventionieren. Politische Beeinflussung im weitesten Sinne ist ein Luxus, den sich gerade Leo Kirch lange Zeit erlaubt hat. Etwa wenn er mit immens teuren Bibelverfilmungen, die nie ansatzweise ihre Kosten einspielten, Stimmung für die christsozialen Werte machen wollte.

Kommerzialisierung und politische Einflussnahme schließen einander also beinahe aus. Aber was nun? Vermutlich hat es mit den Personen zu tun. Während sich Rupert Murdoch als Kommerzialisierer identifizieren lässt, der einfach auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt und nur vor den Kartellbehörden Respekt hat, befürchtet man vom italienischen Staatschef und Medienunternehmer Silvio Berlusconi politische Einflussnahme. Tatsächlich zeigt sich in Italien, dass Berlusconi bei seinen hauseigenen Sendern im Vergleich zur Opposition ein Vielfaches der Sendezeit eingeräumt bekommt. Bundeskanzler Gerhard Schröder, der selbst keinen Fernsehsender besitzt, findet es deshalb auch »nicht unproblematisch, wenn der Regierungschef eines benachbarten Landes auf die Medien des eigenen Einfluss nimmt«. Andererseits ist das im Zweifelsfall weniger problematisch, als wenn ein Politiker des eigenen Landes auf die eigenen Medien direkt Einfluss nimmt, wie Berlusconi es in Italien tut und Kohl es über Kirch hierzulande tat, etwa indem er sich auf Sat.1 den eigenen Sendeplatz »Zur Sache, Kanzler!« einrücken ließ.

Keine Frage, man kann sich sympathischere Medienmacher als Murdoch und Berlusconi vorstellen. Murdoch, der aus schierer Va banqe-Mentalität den gesamten Londoner Tageszeitungsmarkt mittels Kampfpreisunterbietungen so nachhaltig ruiniert hat, dass dieser sich bis heute nicht davon erholt hat. Und Berlusconi, dessen öffentliche Einlassungen - »Wir haben in diesem Land eine moralische Revolution vollbracht. Wir haben die wahrhafte Moralität in die Politik gebracht oder sie wieder hineingebracht« - immer mehr die Züge eines gefährlich-missionarischen Deliriums annehmen. Dennoch steckt hinter der lautstarken Empörung zuvorderst etwas anderes.

Es ist ein schlecht kaschierter Protektionismus, der Politiker, Intendanten und Medienunternehmer in nie gekannter Eintracht zusammenrücken lässt, eine Asymmetrie in der Wahrnehmung des eigenen und des fremden Geschäftsgebarens. Während Bertelsmann für schlappe 1,4 Milliarden Dollar die größte US-amerikanische Verlagsgruppe Random House übernimmt, damit faktisch zum größten Buchverleger der Staaten wird und potenziell weite Teile des Geisteslebens dort kontrollieren kann, werden der amerikanische Kabelnetzbetreiber John C. Malone und seine Liberty Media mit vereinen Kräften des Landes verwiesen.

Während deutsche Verlagshäuser ganz Osteuropa und Russland mit den Hochglanzerrungenschaften des freien Westens beglücken, gelten die heimischen Medien als sakrosankt und weitestgehend unantastbar für Ausländer. Die hehre Sorge um journalistische Unabhängigkeit und Vielfalt bekommt einen eigentümlich chauvinistischen Zungenschlag, wenn man nur in eine Richtung argumentiert. Oder um ins Tierreich zurückzukehren: Wer immer nur frisst, muss sich nicht wundern, wenn er auch eines Tages gefressen wird. Egal ob er nun Fuchs, Bär, Löwe oder Katzenhai genannt wird.