»Feminine Sweepstakes« von Le Tigre

Kein Tender Gender

Le Tigre führen ihr zweites Album auf und den öffentlichen Raum vor.
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Das Punk Rock-Electronica-Terzett Le Tigre geht erneut auf Tour und weiß genau, was es nicht will: Glotzende Männer, die, Digi-Cams im Anschlag, die ersten Reihen vor der Bühne besetzen und das amerikanische Ladyfest fürs Homeviewing festhalten. Was die Damen aus New York City wollen, sind tanzende Mädchen, viele tanzende Mädchen, denn für diese geben sie ihre Konzerte.

Auch in Bezug auf ihre aktuelle Arbeit lassen Kathleen Hanna, Johanna Fatemann und Bandneuzugang J.D. Samson wenig Interpretationsspielraum. »New Sincerity« (»Neue Ehrlichkeit«) nennen sie ihre Herangehensweise und schließen sich so dem Lager derer an, die das Ende der Ironie ausrufen. Kathleen Hanna: »Vergnügen sollte nicht ironisch sein müssen. Wir stehen wohl für eine Form der 'Neuen Ehrlichkeit', was für uns bedeutet, keine Kompromisse zu machen: Musik zu produzieren, die wir selber gerne hören, und gleichzeitig die Sachen zu sagen, für die wir einstehen.« Schluss mit lustig also?

Das selbstbetitelte Debütalbum von 1999 und die Nachfolge-EP »From The Desk of Mr. Lady« brillierten durch die Verquickung von rotzigem Gitarrenschrammel und Master-ferner Self-made-Electronica. Das Ganze in Kombination mit messerscharfen Texten, die eine Positionsbestimmung des Feminismus zum Zeitpunkt von »post rrriot« lieferten.

Was einen textlich erwartete, war weder Feminismus noch politisches Bewusstsein light, die Darreichungsform war perfekt auf den Endneunziger-Package-Junkie zugeschnitten: Hübsche Frontfrau und Mitstreiterinnen boten eine großartige Multimedia-Show zum Thema Agit-Prop, mitreißend das Ganze, der Spaßfaktor hoch - ein tanzbarer Flow. Kein Wunder, dass nicht zuletzt die männlich dominierte Musikpresse vor Lob kaum ein noch aus wusste.

Wenn das zweite Full-length-Album »Feminine Sweepstakes« weit weniger abgefeiert wurde, so ist das wohl nicht zuletzt der selbstproklamierten »Neuen Ehrlichkeit« zu verdanken, die die Probleme beim Namen nennt. Im Klartext heißt das: Was Frustrationen angeht, so schöpfen Le Tigre inzwischen aus dem Vollen. Diesmal ist der öffentliche Raum dran. Und der wird minuziös seziert. Keine Ausgrenzung, Anfeindung, Diskriminierung oder Ungerechtigkeit, die unbemerkt bliebe.

Ein Voice-Sample der Feministin Naomi Weisstein, Sängerin der Chicago Women's Liberation Rockband aus dem Jahr 1974, weist die Richtung. Es entsteht eine Art Stand-Up-Comedy-Situation. Weisstein sagt: »Ich hatte eine Freundin, die das gemacht hat (in der U-Bahn absichtlich einen Sabberfaden aus dem Mund fließen lassen), und sie konnte den ganzen Weg von der New York Avenue bis in die Bronx fahren, ohne angemacht zu werden.« Die Zuhörerinnen klatschen und lachen. Kathleen Hanna kommentiert: »Wir fanden das irgendwie interessant: Sie erzählt, ihre Freundin könne ungestört U-Bahn fahren. Und dann hört man all diese Frauen laut lachen, weil es so unvorstellbar scheint, U-Bahn zu fahren, ohne ein einziges Mal blöd angemacht zu werden. Als ob das ein Witz wäre - es ist echt traurig, dass das ein Witz ist!«

Das Sample ist der Auftakt zum Track »On Guard«, in dem Le Tigre beschreiben, dass sie als Frauen/Lesben/Queers ein Leben in steter »Hab-Acht«-Stellung führen müssen. Sie resümieren, man dürfe nicht aufgeben, sich selbst treu zu bleiben, und sie beklagen die Anstrengungen, die für diese Aufrichtigkeit nötig sind.

Das Leben ist hart? Und für eine Minorität noch eine Nummer härter? So ganz kommt man bei der neuen LT-Ehrlichkeit nicht mit. Klingt doch erstmal eher nach Lamento. Und wer braucht das schon? Auf »F.Y.R.« (»Fifty Years of Ridicule«) konstatieren die Tigermädchen, dass jeder Schritt in die richtige Richtung fünf Rückwärtsschritte nach sich zieht. Und sie singen: »We tell the truth, they turn up the laugh track.« »Much Finer« schließlich ist das Lied der müden Aktivistin, die aufgibt. Autsch, was ist da los? Ist das der Schwanengesang einer Band, die sich aufmachte, bis ins letzte Hinterzimmer der fernsten Provinz zu tönen, um Gleichgesinnten Mut zu machen, Informationen weiterzugeben und Haltungen zur Disposition zu stellen?

Zum Glück nicht. Denn Le Tigre glauben auch weiterhin an ihr Projekt und dessen Machbarkeit. Sie finden die rückwärts gewandten Möchtegernrocker von Nickelback in dem Maß zum Kotzen, in dem sie Peaches für eine supercoole Musikerin halten (auf »Feminine Sweepstakes« gibt es den gewollten Peaches-Rip off als gleichzeitiges Tribut: »Well, Well, Well«). Und um die Situation der »women in rock« zu verbessern, erklären sie dem potenziellen musikalischen Nachwuchs auf ihrer Website den Zugang zu den Produktionsmitteln, dissen beredt männliche (Musik-) Geheimwissenschaften und verweisen auf ein Netzwerk an InfozuträgerInnen. Sie halten die »Don't stop, we won't stop«-Attitüde des ersten Albums aufrecht, keine Frage.

Aber auf »Feminine Sweepstakes« verweisen sie eben auch genau auf die Kehrseiten von kontinuierlichem Aktivismus. Wut und Frust als Motor scheinen hier die Devise. Ihr Feminismus Marke Unbequem tritt nicht nur in den Texten deutlicher denn je zutage. Auch musikalisch ist einiges anders. Wo das Debütalbum den gehaltvollen Texten easy tunes gegenüberstellte, sind auf dem zweiten Album auch die Kompositionen vertrackter. Nach eingängigen Surf Punk-Melodien sucht man lange und findet stattdessen eine erweiterte Form der Patchwork-Electronica. Kratzbürstige Samples bestimmen das Album, treibende Bruchbeats gemahnen an lustigen Achtziger-Metal-Trash.

Klar, die einfach gestrickte Punk Rock-Ästhetik bleibt bestehen, aber sie ist nur noch ein Aspekt unter vielen. Sicher scheint, dass Le Tigre es sich noch lange nicht gemütlich machen in der hart erkämpften Nische des Queer-Power-Pops, weder inhaltlich, noch musikalisch. Auf ihrer Website verkündeten sie kürzlich: »Wir werden erstmal keine Interviews mehr geben, denn wir wollen lieber touren. Wenn ihr Fragen habt, oder Anregungen und Kommentare, dann kommt zu unseren Konzerten. Passt uns nach dem Konzert ab und redet mit uns!«

Keine Berührungsängste also. Le Tigre zu sehen, ist auch deswegen ein Muss. Neben garantiert gewohnt hervorragender und mitreißender Bühnenshow wird es die Möglichkeit zu Small- und Big Talk geben. Das sollte niemand verpassen. Und vielleicht mal gegenüber Le Tigre anmerken, dass das mit dem U-Bahnfahren nun wirklich nicht sooo ein Problem ist, oder?

Le Tigre: »Feminine Sweepstakes« (Chicks On Speed/EFA)
Konzerte von Le Tigre am 30. April in Frankurt, 2. Mai in Berlin, 3. Mai in München, 24. Mai in Köln