Antrag auf aktive Sterbehilfe abgelehnt

Kein Freibrief

Aus dem Recht zu Leben ergibt sich kein Recht auf den eigenen Tod, was auch immer das sei. Die Verhinderung der Beihilfe zum Selbstmord ist keine unmenschliche Behandlung, und aus dem Recht auf Privatleben lässt sich nicht ableiten, dass der Staat Sterbehilfe erlauben muss. Mit dieser Begründung lehnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Montag vergangener Woche das Sterbehilfe-Begehren der 42jährigen Britin Diane Pretty, die an der Lou-Gehrigs-Krankheit leidet, ab. Die Essentials der Entscheidung des Gerichtshofes in Strasbourg klingen selbstverständlich, und sie sind es auch.

Die Ablehnung des Antrags auf aktive Sterbehilfe, die die sieben europäischen Richter einstimmig beschlossen haben, markiert deswegen auch keine Kehrtwende in der voranschreitenden Euthanasie-Debatte in Europa. Sie signalisiert allenfalls, dass sich die Deregulierung auch in der Biopolitik an einzelnen Punkten verlangsamen oder gar zum Stillstand bringen lässt.

Dass der Fall Diane Pretty zu einem solchen Punkt wurde, hat vor allem mit der besonderen Situation, über die die Richter entscheiden mussten, zu tun. Es ging hier nicht um etwas, was bereits geschehen war. Diane Pretty und ihr Ehemann Brian verlangten von der englischen Justiz eine Zusicherung, dass die Tötung von Frau Pretty durch ihren Mann oder mit seiner Hilfe in Zukunft auf jeden Fall ohne strafrechtliche Sanktionen bleiben würde.

Eine solche Zusicherung wäre einer Abschaffung des englischen Suicide Act von 1961, nicht etwa durch den Gesetzgeber, sondern durch den Staatsanwalt gleichgekommen. Und sie hätte damit fast unweigerlich die Legalisierung von aktiver Sterbehilfe nach sich gezogen. Vor allem aber hätte sie das Prinzip, dass über Taten und nicht über Täter geurteilt werden soll, ad absurdum geführt, allerdings in diesem speziellen Fall zugunsten der Täter. Denn die Justiz hätte ja nicht beurteilen können, was getan wurde, sondern nur, ob die Täter zuverlässige und gute Menschen sind, denen man vertrauen kann, dass sie den Freibrief auch nur zu dem nutzen, was sie versprochen haben.

Dass ausgerechnet in Großbritannien Fälle von Beihilfe zum Selbstmord und Tötung auf Verlangen vom Gesetz restriktiv geahndet werden, ist dabei ein Treppenwitz der Bioethik und eben kein Ausdruck überraschender Standfestigkeit und großer Sorge um das Leben von leicht unter Druck zu setzenden Menschen und Gruppen. Denn in Großbritannien ist die Tötung von Wachkoma-Patienten durch den Entzug der Nahrung früher als sonstwo in Europa durch das House of Lords abgesegnet worden. Und auch der zum Tode führende Behandlungsabbruch durch einwilligungsfähige Patienten ist ohne nennenswerte Sicherheitsbestimmungen möglich.

Diane Pretty könnte daher mit ihrer auf Stimmung und Mitleid setzenden Kampagne »Justice4Diane«, die derzeit mit der Unterstützung der Voluntary Euthanasia Society im Internet lanciert wird, in Großbritannien am Ende sogar den Sieg in dieser Auseinandersetzung davon tragen, denn ihre Geschichte könnte den Anstoß dafür geben, dass das Gesetz von 1961, das per Gericht nicht zu umgehen war, politisch zu Fall kommt.

Einen ersten Vorgeschmack auf die künftigen Entwicklungen wird es im Mai geben, wenn der General Medical Council neue Richtlinien zum Behandlungsabbruch bei alten und schwerkranken Patienten vorstellen wird, die voraussichtlich die Tötung durch Unterlassen erleichtern werden.