Mystifikationen um Jenin

Kein Massaker

Mitte April hatte der UN-Weltsicherheitsrat Israel »Massentötungen« bei der so genannten Operation Schutzschild vorgeworfen, der UN-Sondergesandte für den Nahen Osten, Terje Roed-Larsen berichtete nach einem Besuch des umkämpften Flüchtlingslagers Jenin sogar von 5 000 »verschwundenen Bewohnern«. »Die humanitäre Katastrophe, die im Kosovo behauptet wurde, ist in Palästina eine unleugbare Tatsache«, kommentierte Werner Pirker in der jungen Welt die Gerüchte über ein angebliches Massaker der israelischen Armee in dem Flüchtlingslager. Viktoria Waltz, eine Palästina-Expertin der Universität Dortmund, fügte hinzu, die Israelis hätten 800 Leichen in Abfallgruben und auf Friedhöfen verscharrt und »die Bewohner gezwungen, der Exekution ihrer Kinder, Freunde, Brüder und Nachbarn zuzusehen«.

Derweil gab eine Untersuchungskommission von Human Rights Watch bekannt, in den Trümmern des Flüchtlingslagers seien 53 Leichen gefunden worden, davon 21 Zivilisten; von einem »Massaker« könne keine Rede sein, auch wenn israelische Soldaten in Einzelfällen »ungesetzmäßig und willkürlich« getötet hätten.

International längst vorverurteilt, lehnte Israel eine UN-Kommission ab, die die Vorfälle in Jenin untersuchen wollte. »Die Wahrheit über die Ereignisse in dem palästinensischen Flüchtlingslager soll nicht an die Weltöffentlichkeit gelangen«, klagte umgehend Erich Rathfelder, der notorische taz- Experte für serbische Gräueltaten in Jugoslawien. Inzwischen musste selbst die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa ihre Zahlen von 500 bis 600 Getöteten auf »über 50« senken; Jenin bleibe aber ein »qualitatives Verbrechen gegen die Menschheit«, so der Gouverneur Jenins, Zuhair Almanasreh. Das »Massaker von Jenin« wird, mit oder ohne UN-Kommission, in die palästinensische Nationalmythologie eingehen. Und zwar als weiterer Beweis für das Wesen des »barbarischen zionistischen Unrechtsregimes«.

Während Israel für seine starrsinnige Haltung gegenüber der UN international verurteilt wird, fragte sich der ehemalige Staatssekretär im Kabinett Rabins, Shlomo Avineri, wie ein Flüchtlingslager, aus dem immerhin 23 Selbstmordattentäter gekommen seien, zu einer quasi militärischen Festung ausgebaut werden konnte; immerhin stehe das Lager unter UN-Verwaltung. Ganze Häuserzeilen seien vor dem Einmarsch der Israelis in Sprengfallen verwandelt worden, hatten palästinensische Kämpfer stolz der ägyptischen Zeitung Al-Ahram berichtet, und der stellvertretende Direktor des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA), Charles Capes, musste zugeben, dass Palästinenser einen Großteil der Minen, die jetzt die Räumungsarbeiten in Jenin erschweren, selbst verlegt hätten.

Bereits 1967 kritisierte die Schriftstellerin und Kriegsreporterin Martha Gellhorn das UNRWA für seine propalästinensische Politik: »Alljährlich beklagt ein Generalbevollmächtigter nach dem anderen rituell die Tatsache, dass Israel nicht Selbstmord begeht, indem es alle palästinensischen Flüchtlinge in seine Heimat entlässt.« In UNRWA-Schulen werde dem palästinensischen Nachwuchs zudem der Hass auf Israel und die Juden gelehrt.

35 Jahre und diverse »Zionismus ist Rassismus«-Erklärungen später stellte Avineri deshalb angesichts der dubiosen Rolle der UNRWA in Jenin fest, dass, »solange die UN, ihre Hilfswerke und Angestellten sich nicht klar von jeder Beteiligung an terroristischen Aktionen distanzieren, sie sich in der Tat in einer sehr problematischen Situation befinden. Man kann nicht sehr glaubwürdig über andere richten, wenn die eigenen Hände, wenn auch nur indirekt, mit Blut befleckt sind.«