RZ-Prozess in Berlin

Fragen über Fragen

Trotz der Freilassung von Harald Glöde ist keine Wende im Berliner RZ-Prozess in Sicht.

Harald Glöde ist frei. Als letzter der fünf Angeklagten im Berliner RZ-Prozess konnte der 53jährige am Dienstag der vergangenen Woche nach über 28 Monaten Untersuchungshaft die JVA Berlin-Moabit gegen eine Kaution von 60 000 Euro verlassen. Gegen die Angeklagten wird seit über einem Jahr vor dem Ersten Strafsenat des Berliner Kammergerichts wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) und der Beteiligung an mehreren RZ-Aktionen Ende der achtziger Jahre verhandelt.

Offiziell setzte das Gericht den Vollzug des Haftbefehls aus, weil Glödes Mutter schwer erkrankt ist. Doch der eigentliche Grund dafür dürfte ein Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. April sein. Wegen einer Haftbeschwerde von Glödes Anwältinnen Silke Studzinsky und Andrea Würdinger wollte der BGH einer Verlängerung der U-Haft nicht noch einmal zustimmen. Entweder das Gericht könne ein absehbares Ende des Prozesses benennen oder alle Angeklagten müssten bei der nächsten Haftprüfung raus, lautete die Anweisung aus Karlsruhe.

Nacheinander waren in den letzten Monaten alle Angeklagten aus der Haft entlassen worden. Bei dreien von ihnen setzte das Gericht nach einer Einlassung zur Sache den Haftbefehl außer Vollzug. Im Januar profitierten von dieser an deutschen Gerichten gängigen Praxis, die das Recht von Angeklagten, sich nicht zur Sache äußern zu müssen, faktisch aushebelt, der Angeklagte Rudolf Schindler und seine mitangeklagte Ehefrau Sabine Eckle. Schindler hatte eingeräumt, dass er an den beiden Knieschussattentaten 1986 auf den Chef der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und 1987 auf den Vorsitzenden Richter am Asylsenat des Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher, beteiligt gewesen war. Zugleich machte er deutlich, dass der Kronzeuge der Bundesanwaltschaft (BAW), Tarek Mousli, bei den Aktionen eine aktive Rolle spielte und nicht »nur Schmiere stand«.

Ende Februar kam auch der ehemalige Hausmeister im Kreuzberger Mehringhof, Axel Haug, aus dem Gefängnis. In einer persönlichen Erklärung führte er vor Gericht aus, dass er 1986 innerhalb der RZ-Strukturen an der Diskussion über die so genannte Flüchtlingskampagne beteiligt war und sich um praktische Hilfe für die beiden »Illegalen« Schindler und Eckle kümmerte. Da er jedoch unter anderem wegen der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA) gegen die Zeitschrift radikal ins Visier der Fahnder geriet, habe er sich schon 1988 von der RZ getrennt.

An Anschlägen sei er nicht beteiligt gewesen, und, anders als Mousli behauptet, habe es auch ein Sprengstoffdepot im Mehringhof während seiner Zeit als Hausmeister nicht gegeben. Andere Zeugen bestätigten dies vor Gericht, und selbst das BKA konnte bei zwei Durchsuchungen keine entsprechenden Spuren entdecken.

Wegen eines tragischen Unfalls eines nahen Familienangehörigen kam kurz darauf der ehemalige Leiter des Ausländeramtes der Technischen Universität Berlin, Matthias Borgmann, gegen eine Kaution in Höhe von 50 000 Euro in Freiheit.

So unkompliziert geht es bei der Beweiserhebung nicht zu, der Prozess zieht sich deswegen unerträglich in die Länge. Die Erwartung, mit den Einlassungen der Anklage den Boden unter den Füßen wegzuziehen, hat sich bisher nicht erfüllt. Vielmehr fasst das Gericht die Ausführungen als Teilgeständnisse auf, mit denen im Kern die Aussagen Mouslis bestätigt worden seien. Sämtliche Ausführungen von Schindler und Haug, die den Schilderungen Mouslis erheblich widersprechen, werden als »Schutzbehauptungen« abgetan. Und das, obwohl jetzt zumindest »Aussage gegen Aussage« stehen müsste.

Auch der Versuch von Glödes Anwältinnen, Mouslis Aussagen mit akribischen Detailfragen zu widerlegen, blieb bislang ohne Folgen. Zwar verwickelte sich Mousli seit dem Prozessbeginn immer mehr in Widersprüche. Doch machten er und die vor Gericht auftretenden Ermittlungsbeamten des BKA bei Widersprüchen in ihren Aussagen vermeintliche Erinnerungslücken geltend. Vor zwei Wochen wurde Mousli als Zeuge vom Gericht entlassen. Die Verteidigerinnen kündigten schon an, dass sie noch »über 100 weitere Fragen« an den Kronzeugen hätten.

Insbesondere, was den Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber angeht, konnte die Verteidigung von Glöde deutlich machen, dass es so, wie es Mousli erzählt, nicht gewesen sein kann. Es ist völlig unglaubwürdig, dass sich fast alle Berliner RZ-Mitglieder auf einem nahe gelegenen Bahndamm zur Absicherung der Aktion versammelt haben sollen, nur damit der spätere Kronzeuge sie als Beteiligte zu Gesicht bekommt.

Inzwischen scheint es sogar dem Gericht klar zu werden, dass im Mehringhof nie Sprengstoff versteckt war. Wohl aus Angst vor weiteren unangenehmen Enthüllungen wagt die Richterin Gisela Henning es nicht, die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen in Frage zu stellen. Dies wird auch bei der Frage nach dem angeblich in einem Wassergraben bei Berlin-Buch versteckten Sprengstoff deutlich. So, wie Mousli und diverse BKA-Beamte die Suche und den Fund des Sprengstoffs schildern, kann es von den örtlichen Gegebenheiten her nicht gewesen sein. Es wird immer offensichtlicher, dass es eine Geschichte hinter den Geschichten Mouslis gibt. Hat das BKA nicht doch schon 1995 den zufällig gefundenen Sprengstoff den RZ zugeordnet? Wurde dann das Verfahren möglicherweise an den Verfassungsschutz (VS) abgegeben? Und gab es dieser dann 1998 an das BKA zurück? Was hatte Mousli bei den diversen Besuchen von Beamten des VS während seiner Haftzeit mit ihnen zu besprechen?

Ob sich solche Fragen in diesem Verfahren noch klären lassen? Wohl kaum. Vielmehr hat das Gericht vor kurzem angeordnet, dass nun die Stasi-Akten über die Carlos-Gruppe hinzugezogen werden sollen. Und auch die BAW legte nach und erweiterte die Anklage gegen Sabine Eckle und Matthias Borgmann auf »Rädelsführerschaft« in den RZ. Denn bei der augenblicklichen Beweislage müsste Eckle wegen Verjährung freigesprochen werden. Einfache Mitgliedschaft verjährt nach zehn, Rädelsführerschaft erst nach 15 Jahren. Und bei Borgmann fehlen weiterhin alle Beweise, dass er »Heiner« gewesen sein soll.

Doch genau deshalb erweitert man mal eben die Anklage. Die ursprünglich vom Gericht anvisierte Urteilsverkündung am 20. September dieses Jahres ist in weite Ferne gerückt. Selbst wenn alle bis jetzt gestellten Beweisanträge der Verteidigung abgearbeitet werden, muss noch mit bis zu neun Monaten Verhandlungsdauer gerechnet werden.

Seit Ende April wird sogar von der Verteidigung gegen Mousli juristisch vorgegangen. Auf neun Seiten versucht sie, Mousli nachzuweisen, dass er 60 000 Mark, die er Mitte der neunziger Jahre zur Unterstützung der »Illegalen« der RZ erhalten hat, in die eigene Tasche gesteckt habe. »Wir erstatten hiermit Strafanzeige gegen den Zeugen Mousli. Weitere werden folgen.«