Antisemitische Anschläge

Vom Kontinent lernen

Die Verwüstung einer Synagoge in London stellt den bisherigen Höhepunkt antisemitischer Angriffe in Großbritannien dar.

Ddie Exkremente vor dem Eingang der Synagoge sind entfernt. Die Fensterscheiben wurden noch nicht wieder eingesetzt. Die Tür des flachen Gebäudes ist verschlossen, der Parkplatz ist leer, Besucher bleiben aus. Die Synagoge von Finsbury Park im Norden Londons bietet zwei Wochen, nachdem ein Anschlag auf sie verübt wurde, ein trauriges Bild.

Unbekannte waren am letzten Aprilwochenende in das jüdische Gotteshaus eingedrungen und hatten das Innere der Synagoge verwüstet. Die Täter schmierten mit grüner Farbe ein Hakenkreuz auf das Pult des Rabbiners und verunstalteten die Lade, die die Thora enthält. Eine britische Fahne, die Kriegsveteranen der Gemeinde in einem Schrank verwahrt hatten, arrangierten die Antisemiten neben dem Hakenkreuz zu einem bizarren Stillleben.

In der jüngeren Geschichte des Landes wurde noch nie eine Synagoge auf diese Weise entweiht. »Es ist der erste Vorfall auf britischem Boden, der sich mit den jüngsten Ereignissen in Frankreich und anderen europäischen Ländern vergleichen lässt. Die Tatsache, dass in diesem Fall eine Gemeinde älterer Glaubensbrüder zur Zielscheibe wurde, ist besonders beunruhigend. Viele von ihnen waren Überlebende des Holocaust«, sagt Jeremy Newmark, der Sprecher von Jonathan Sacks, dem obersten jüdischen Geistlichen des Commonwealth.

Der Angriff auf die Synagoge ist der traurige Höhepunkt einer Reihe antisemitischer Übergriffe in Großbritannien. Kontinuierlich stieg die Zahl der Straftaten in den letzten Monaten an. Der Community Security Trust, eine Organisation für den Selbstschutz der jüdischen Gemeinde in Großbritannien, registrierte allein im April 51 Angriffe. Das ist die höchste Zahl seit dem vergangenen Herbst, als die antisemitischen Übergriffe nach dem 11. September ihren ersten Höhepunkt erreicht hatten.

Besonders häufig klagen Studenten über das antisemitische Klima an den Universitäten. »Viele jüdische Studenten, die offen die Zeichen ihrer Religion tragen, fühlen sich auf dem Weg zur Universität bedroht«, sagt Clive Gabey, der Sprecher der Vereinigung jüdischer Studenten in Großbritannien. Auf dem Campus sehen sich die Studenten mit Diskussionen konfrontiert, die nicht ihre eigenen sind: »Unsere Mitglieder werden ständig aufgefordert, sich persönlich für die Politik Israels zu verteidigen. Auf der anderen Seite wird auf linken Veranstaltungen oft stolz 'ein antizionistischer Jude' präsentiert«, erläutert Gabey.

Auch antisemitische Flugblätter werden an den Universitäten verteilt. So wurden während einer Diskussion der Studentenvereinigung von Manchester über eine Resolution zum Nahost-Konflikt Texte amerikanischer Neonazis herumgereicht, in denen es hieß, Juden seien Vampire und würden überall, wo sie hingehen, Flüchtlingsprobleme verursachen. In den folgenden Tagen warfen Unbekannte Ziegelsteine durch die Zimmerfenster jüdischer Studenten In einem Studentenwohnheim tauchten plötzlich Poster mit der Aufschrift »Schlachtet die Juden« auf.

In der Resolution der Studentenvereinigung sollte unter anderem festgestellt werden, dass Israel ein rassistischer Staat sei. »Diese Argumentationslinie droht unsere Existenzgrundlage als zionistische Organisationen in Frage zu stellen. Rassistische Organisationen sind nach der Universitätsverfassung nicht zulässig und dürfen sich nicht äußern«, erklärt Daniel Kathan von der Jüdischen Studentenvereinigung in Manchester.

Auf ähnliche Weise hatten bereits 1996 verschiedene Gruppen versucht, die Jüdische Studentenvereinigung als rassistisch verbieten zu lassen. Damals wie heute wurden die Forderungen in der Vollversammlung abgelehnt. Die jüdischen Studenten beruhigt das jedoch nur teilweise. »Es ist eine Situation, in der an den Universitäten viele zweifelhafte politische Kampagnen geführt werden und niemand die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen will«, sagt Gabey.

Auch die antiisraelische Ausrichtung in Teilen der britischen Presse ist für die jüdische Gemeinde ein Anlass zur Sorge. »Die Einseitigkeit der Berichterstattung über die Ereignisse in Israel macht die britischen Juden sehr verwundbar. Es gibt genug Leute, die sich auf der Grundlage bestimmter antisemitischer Klischees in den Medien angestachelt und legitimiert fühlen, Juden anzugreifen«, erklärt Newmark.

Vor allem empört ihn, wenn die steigende Zahl antisemitischer Übergriffe in britischen Zeitungen mit der israelischen Offensive in Palästina erklärt wird. »Es wird oft so getan als gäbe es eine klare Verbindung, als würde aus der einen Sache automatisch die andere folgen. Das ist einfach nicht wahr.«

Besonders die Berichterstattung der angesehenen linkssozialdemokratischen Wochenzeitung New Statesman ist in den letzten Monaten in die Kritik geraten. So zeigte das Titelblatt vom 14. Januar einen großen Davidstern, der die britische Flagge aufspießt. Das Bild wurde von der Schlagzeile »Eine koschere Verschwörung?« begleitet. Die Illustration verwies auf einen Text über die vermeintliche proisraelische Lobby in den britischen Medien. Nach unzähligen Protestbriefen und einer Besetzung des Redaktionsgebäudes von MItgliedern der »Aktion gegen Antisemitismus« musste sich Chefredakteur Peter Wilby im Februar für den Titel entschuldigen.

Die Affäre scheint allerdings keinen Einfluss auf die Redaktion des New Statesman gehabt zu haben. In einer der folgenden Ausgaben durfte John Pilger, ein Veteran des linken Aufklärungsjournalismus, verkünden, dass die geheimen Operationen des US-amerikanischen Staates »für den Tod von mehr unschuldigen Menschen als im Holocaust verantwortlich« seien.

Unter der Überschrift »Weit entfernt vom gelobten Land« hetzte John Kampfner dann im März gegen Juden, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel einwandern. Israel, so schrieb er, sei nicht, wie viele Briten fälschlicherweise annähmen, von liberalen Idealisten bevölkert, sondern es werde von den »unbegabtesten aller Russen«, dem »soviet white trash« überflutet. Diese »sovs« hätten keine Religion und keine beruflichen Qualifikationen.

In der britischen Linken sind derartige antizionistische Positionen kaum umstritten. Auf den großen Demonstrationen gegen den Krieg in Afghanistan erregten Plakate mit dem Spruch »Befreit Palästina von den Juden!« wenig Widerspruch. Die Antikriegskoalition aus sozialistischen und muslimischen Gruppen und der Friedensbewegung arbeitet eng mit den Aktivisten der Solidaritätskampagne für Palästina zusammen. Wie in anderen europäischen Ländern bietet auch die britische Homepage von indymedia antiisraelischen und antisemitischen Statements ein Forum. Ende April war auf deren Seiten unter anderem zu lesen: »Hamas ist großartig. Ihr Widerstand hat dankenswerterweise 400 böse israelische Zionazis eliminiert.«

Ein Autor griff in seinem Beitrag sogar auf eines der ältesten Motive des Antisemitismus zurück. Er schrieb: »Die Zionazis sind kaltblütige Kindermörder. Sie sind mörderische Wahnsinnige, die sich jeden Tag am Abschlachten von palästinensischen Kindern aufgeilen.« Die zuständigen Redakteure waren nicht bereit, zu den Beiträgen Stellung zu beziehen.