Nahost-Konflikt

Vor der roten Linie

Nach dem Attentat in Tel Aviv droht die Hamas mit weiteren Anschlägen. Die zerstrittenen arabischen Staaten wollen über eine von den USA vorgeschlagene Nahost-Friedenskonferenz verhandeln.

Wenn es stimmt, dass in der Diplomatie bestimmte Gesten mehr sagen als gemeinsame Statements auf Pressekonferenzen, dann war der Besuch des saudischen Prinzen Abdullah in den USA ein Erfolg. Wohlwollend wurde von saudischer Seite zur Kenntnis genommen, dass neben dem de-facto-Herrscher Abdullah bisher nur dem britischen Premier Tony Blair und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin die Ehre zuteil wurde, von US-Präsident George W. Bush auf seine private Ranch in Texas eingeladen zu werden. Das war Ende April.

Die arabischen Berichte, in denen die öffentlichen Erklärungen Bushs als Bestätigung der »Führungsrolle von Prinz Abdullah in der Region« gedeutet wurden, spiegeln die Zufriedenheit über die wiedergewonnene Bedeutung des saudischen Königreichs. Die Lobeshymnen des saudischen Außenministers auf die neue »amerikanische Entschlossenheit« verstärkten dieses Bild einer Annäherung zwischen beiden Parteien noch.

Bereits an Ostern hatte es ähnlich erfreulich für Saudi-Arabien ausgesehen. Trotz zahlreicher Differenzen stellte sich der Beiruter Gipfel der Arabischen Liga hinter eine vage formulierte Initiative des saudischen Prinzen. Sein Angebot: Sollte sich Israel hinter die Grenzen von 1967 zurückziehen, könne es zu einer Normalisierung der Beziehungen kommen.

Doch wenige Tage nach der öffentlichkeitswirksamen Präsentation des Plans torpedierte ein Attentat der palästinensischen Islamistengruppe Hamas während des jüdischen Pessahfestes alle weiteren Bemühungen, die Initiative voranzubringen. Die folgende israelische Offensive in der Westbank wurde einhellig als direkte Antwort Ariel Sharons auf die Abschlusserklärung des Beiruter Gipfels missverstanden; sie lieferte den Vorwand, konkrete Überlegungen zur Umsetzung der Initiative hintanzustellen.

Mit dem Attentat vom Dienstag vergangener Woche, bei dem im Tel Aviver Vorort Rishon Letzion 15 Israelis getötet wurden, schien die Hamas erneut auf diesen Effekt zu setzen. Die Eskalation der Auseinandersetzungen durch Terroranschläge brachte seit dem Beginn der Intifada regelmäßig alle Diskussionen um die wenigen arabischen Vorschläge zur Lösung des Konfliktes zu einem frühzeitigen Ende. Auch diesmal schienen der Anschlag und die allseits erwartete israelische Militäroffensive im Gaza-Streifen, aus dem der Attentäter kam, die saudischen Pläne zunichte zu machen.

Zuvor hatten die PLO und Israel zwei Vereinbarungen getroffen, die die Aufhebung der Belagerung des Hauptquartiers von Arafat in Ramallah und die Beendigung der Besetzung der Geburtskirche in Bethlehem vorsahen. Die Hamas, deren Hochburg in Gaza während der fünfwöchigen Operationen der israelischen Armee in der Westbank unbehelligt geblieben war, kritisierte beide Vereinbarungen heftig. Die Übergabe der Attentäter, die den israelischen Tourismusminister Rechavam Ze'evi erschossen hatten, an Briten und US-Amerikaner wurde ebenso wie die Vereinbarung über die Ausreise von 13 Palästinensern, die in der Geburtskirche eingeschlossen waren, als Zeichen der Schwäche der palästinensischen Führung gedeutet.

Am Samstag beschloss das israelische Kabinett überraschend, die militärischen Aktionen im Gazastreifen auf einzelne Ziele zu beschränken und um einige Tage zu verschieben. Das gab den diversen arabischen Staatschefs und führenden Regierungsvertretern, die sich Ende letzter Woche in Kairo die Klinke in die Hand gaben, wenig Möglichkeiten, von den gemachten Vorschlägen wieder abzurücken. Doch die innerarabischen Differenzen waren unübersehbar.

Unklarheit hatte bereits über den offiziellen Status eines Treffens von arabischen Außenministern in Kairo geherrscht, das von verschiedenen Seiten als Zusammentreffen zur Erörterung konkreter Schritte der Beiruter Initiative beschrieben wurde. Syrien und Libanon forderten eine Verlegung des Versammlungsortes nach Beirut, wie es während des arabischen Gipfels Ende März für die formellen Folgetreffen festgelegt worden sei. Der syrische wie der libanesische Außenminister sagten ihre Teilnahme ab, ihr ägyptischer Amtskollege erklärte, an »dem Treffen von Außenministern, die zufällig in Kairo sind«, aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen zu können. Dann entschied man sich, die Zusammenkunft als schlichtes Vorbereitungstreffen auszugeben. Das eigentliche Folgetreffen, so wurde im Anschluss an die Versammlung bekannt gegeben, ist nun für Mitte dieser Woche in Beirut geplant.

Ähnliche Streitpunkte dürften die Diskussion am Wochenende im ägyptischen Sharm el-Sheikh geprägt haben. Dort traf der saudische Prinz die Präsidenten Hosni Mubarak (Ägypten) und Bashar al-Assad (Syrien). Zwar ging es auch hier offiziell lediglich um einen Austausch über die Gespräche des Prinzen in den USA. Doch im Hinblick auf die US-Vorschläge für eine Nahost-Friedenskonferenz und die Forderungen nach einer Reform der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) haben die drei Staatschefs deutliche Differenzen.

Die Ablehnung des Vorschlags einer Friedenskonferenz im Sommer war bereits in den Reaktionen deutlich geworden, die US-amerikanische Botschafter bei Sondierungsgesprächen in verschiedenen arabischen Hauptstädten zu hören bekamen. Von ägyptischen Vertretern etwa wurde die Idee als israelischer Versuch abgetan, zuvor getroffene Vereinbarungen mit langfristigen Übergangsregelungen und Sicherheitsfragen auszuhebeln. Eine »Verhandlung über Verhandlungen«, so erklärte der Präsidentenberater Ussama al-Baz, werde es mit arabischer Beteiligung nicht geben.

Die Sorge um die palästinensische Seite war allerdings nicht allein ausschlaggebend für die Bedenken, die die US-Botschafter zu hören bekamen. Während sich Syrien ebenso wie der Libanon mit der Gefahr konfrontiert sehen, bei einer solchen Konferenz von der palästinensischen Konfliktpartei in den Hintergrund gedrängt zu werden, sehen sich Ägypten und Saudi-Arabien in ihrer Rolle als Vermittlungsinstanzen geschwächt. Beide Länder konkurrieren als strategische Bündnispartner der USA und rivalisieren um die Führungsrolle in der Region.

Der andere Streitpunkt, der eine Einigung der arabischen Staaten erschweren dürfte, ist die US-amerikanischen Forderung nach einer Reform der PA. Es existieren nur vage Aussagen der US-Regierung darüber, ob diese Reformen letztlich auf eine Auswechslung des PLO-Vorsitzenden Arafat hinauslaufen sollen. Zwar haben Assad, Mubarak und auch Abdullah in den letzten Jahrzehnten heftige Konflikte mit Arafat ausgetragen. Aber die mögliche Entmachtung Arafats ist tabu. Ganz so, als stünden die arabischen Staatschefs vor einer roten Linie, die sie nicht überschreiten wollen.

Doch auch Überlegungen zu einer Zusammenlegung der zahlreichen Sicherheitsdienste und insbesondere die Idee, dem Präsidenten eines palästinensischen Staates einen Regierungschef zur Seite zu stellen, lösten heftige Reaktionen aus. Selbst palästinensische Nichtregierungsorganisationen, die sich vor Beginn der Intifada mit Demokratisierungsvorschlägen an die Öffentlichkeit gewagt hatten, lehnten die Vorschläge ab. Der Leiter des anerkannten Jerusalem Media and Communication Center sprach gar von einem Versuch, die palästinensische Verwaltung mit Methoden zu gestalten, wie sie die Deutschen unter der Vichy-Verwaltung Frankreichs anwandten.

Bisher wagt kaum jemand, die in den USA lauter werdende Forderung nach einer Absetzung Arafats ernsthaft zu diskutieren. Zwar wurden seine jüngsten Erklärungen, in denen er den Anschlag in Tel Aviv verurteilte, ebenso wie die Verhaftung von Hamas-Mitgliedern im Gazastreifen von Bush wohlwollend kommentiert. Doch der geistliche Führer der Hamas, Sheikh Yassin, kündigte an, weitere Anschläge in Israel vorzubereiten. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Bush nach einem neuen Anschlag darauf beschränken würde, von Arafat zum wiederholten Male »Führungsvermögen« einzufordern.