Die taz und die Zeitungskrise

Alles wird schlechter

Mit der eigenen Krise zu werben ist eine alte Strategie der taz. Jetzt aber macht das Blatt Reklame mit der Krise der Konkurrenz.

So viele Anzeigen wie am vorvergangenen Samstag waren noch nie in einer Ausgabe der taz. Fast auf jeder Doppelseite ein halbseitiges 2C-Inserat. »Na endlich mal ...«, denkt man sich als gewiefter taz-Leser. Und dass es der Zeitung ja nun wirklich zu gönnen ist, weil sie sonst so gut wie keine Anzeigen hat. Dann der leise Verdacht, dass hier irgendetwas nicht stimmt; dass eher ein Reicher ins Himmelreich käme, als dass die taz voller Anzeigen wäre. Und in der Tat weisen die Inserate bei näherem Hinsehen einige Merkwürdigkeiten und merkwürdige Ähnlichkeiten auf: »Rettet die FAZ«, animiert das erste. Gefolgt von: »Rettet die Süddeutsche Zeitung«, »Rettet Die Welt«, »Rettet die Financial Times Deutschland« und »Rettet Bild«.

Alle Layouts benutzen zweifelsfrei die Originallogos und -schriften, alle Abocoupons sind zweifelsfrei mit den richtigen Adressen versehen. Dennoch vermutet man als gewiefter taz-Leser jetzt bereits ein so genanntes Fake. Ob womöglich die Redaktion oder das Marketing der taz hinter den Annoncen steckt? Aber warum sollten sie so etwas tun? Erst mal weiterlesen: Der Copytext der FAZ-Anzeige beginnt mit einem Zitat aus der FAZ-Pressemitteilung, wonach ein »schwerer Umsatz- und Ergebniseinbruch« zu verzeichnen sei, und führt dann aus: »Unser Feuilleton muss in der Provinz verharren, weil wir uns den Umzug nicht mehr leisten können. Die Berliner Seiten sind reduziert. Unsere Tiefdruckbeilage 'Bilder & Zeiten' ist bereits eingestellt. Das Personal wird abgebaut, neue Dienstwagen stehen auch nicht mehr zur Verfügung. Wir fragen Sie, liebe Leser, wie sollen wir unter diesen Voraussetzungen arbeiten, ohne dass die Qualität der Zeitung grundsätzlich leidet? Seien Sie ein kluger Kopf, stecken Sie auch weiter hinter uns!«

Kennt sich da jemand gut hinter den Kulissen aus? Schimmert da eine gewisse Häme zwischen den Zeilen durch? Im Inserat der Süddeutschen Zeitung wird darauf hingewiesen, dass »zehn Prozent des Personals abgebaut werden sollen« und dass das mit der NRW-Ausgabe vielleicht doch keine so gute Idee war. Selbst Bild scheint es schlecht zu gehen: »Im ersten Quartal dieses Jahres 206 189 Leser weniger.« Und die Financial Times Deutschland muss gar, wie sonst immer nur die taz selbst, das baldige Ende gewärtigen. Okay. Spätestens jetzt hat es der gewiefte Leser gecheckt: Die taz braucht mal wieder neue Abos, und sie sagt es durch die Inserate der anderen.

»100 000 Abos für die taz«, heißt das ehrgeizige Ziel diesmal. Als Vehikel für die avisierte Verdopplung der Abozahlen sollen die Stammabonnenten dienen, die am vergangenen Montag einmalig zwei statt einer Zeitung zugestellt bekamen. So weit, so vertraut dann doch wieder: regelmäßig vor dem Sommerloch die obligate Krise, diesmal in neuem, frechem Gewand. Von der Larmoyanz früherer Kampagnen hatte man sich ja bereits vor einem Jahr verabschiedet, als mit boulevardesken Softpornoausgaben, speichelleckerischen Adelsausgaben und dergleichen mehr die strategischen Optionen zur sofortigen Konsolidierung der Einnahmensituation ausgetestet wurden. Gebracht hat es auch damals nicht viel.

Neu an der heutigen Situation ist in der Tat nur die Krise der anderen großen Zeitungen und der damit einhergehende Katzenjammer der Verlagshäuser, der sich seitens der taz süffisant persiflieren lässt. Dass es der taz besser ginge, nur weil es den anderen jetzt auch schlecht geht, lässt sich indes nicht behaupten, und die Notwendigkeit, eine solche Kampagne zu starten, deutet ja auch auf diesen Umstand hin. Dennoch unterscheidet sich die Dauerkrise der taz von der aktuellen Krise, in der sich die großen Blätter befinden. Die Flaute der anderen hat erst in zweiter Linie mit dem Sinken der Auflage, und in erster mit dem Ausbleiben der Anzeigen zu tun, und da war bei der taz wie bei anderen Nischenzeitungen nie viel, was wegbrechen hätte können.

Während große Tageszeitungen im Schnitt weit über die Hälfte ihrer Umsätze mit dem Anzeigengeschäft machen, dümpeln sie bei der taz traditionell an der 15-Prozentmarke. Von den 35 Millionen Mark Umsatz, die die taz im Jahr 2000 machte, kamen 28 Millionen Mark aus Vertriebserlösen, nur der Rest stammt aus Anzeigen. Damit ist auch die Anfälligkeit für nicht selbst verschuldete Schwankungen auf diesem Markt geringer.

Bei den großen Titeln sieht das im Vergleich durchaus dramatischer aus, wenn auch auf hohem Niveau. Dass mittlerweile selbst personelle Einschnitte bei den Redaktionen ein Thema sind, ist ein Novum in der deutschen Nachkriegspressegeschichte und macht deutlich, dass es sich nicht nur um eine konjunkturelle, sondern um eine strukturelle Krise handelt. Noch vor zwei Jahren, befeuert durch das üppige Venturekapital zahlloser Firmen der New Economy, erreichten die Werbeumsätze ein einsames Rekordniveau. Dahin werden sie nie mehr zurückkehren, selbst wenn die Konjunkturschwäche überwunden ist.

Strukturelle Ursachen dafür sind Veränderungen in der Werbebranche selbst. Der Glaube daran, dass »Print wirkt« - so der Slogan einer Imagekampagne der Zeitungen in eigener Sache - lässt nach. Die Aufmerksamkeitsökonomie frisst ihre Kinder, und die Abstumpfung durch mediale Reize lässt sich nicht mehr mit der einfachen Erhöhung der Dosis ausgleichen. Immer größere Teile von Werbeetats fließen nicht mehr in die klassischen Medien, zu denen auch das Printgeschäft zählt, sondern in so genannte »Below the line«-Aktivitäten.

Das Branchenblatt Werben und Verkaufen sieht bereits das »Ende der Klassik« heraufdämmern und malt die Zukunft der Zeitungen schwarz. Hinzu kommt, dass immer mehr Rubrikanzeigen im Internet platziert werden. Die FAZ macht etwa die Hälfte ihrer Anzeigenerlöse allein mit ihrem Stellenmarkt. Schon jetzt ist der Umsatzeinbruch hauptsächlich auf den konjunkturbedingten Rückgang von Stelleninseraten zurückzuführen. Wenn in Zukunft verstärkt auch seriöse Jobs über das Netz besetzt werden, ist das ein empfindlicher Schlag ins Kontor der Frankfurter.

Verschärft wird die Krise durch einen latenten Auflagenschwund seit 1992. Wurden damals in Deutschland noch täglich 26 Millionen Zeitungen verkauft, fiel die Zahl bis heute auf unter 24 Millionen. Besonders am Boulevard macht sich bemerkbar, dass die dort verbreiteten »Informationen« so relevant nicht sind, als dass sie nicht genauso gut über die Nachrichtenformate des Privatfernsehens bezogen werden könnten. Die Auflage der Bild fiel im letzten Jahr um 4,8 Prozent, bei der ebenfalls zu Springer gehörenden B.Z. sind es gar 11,1 Prozent. Und der Auflagenschwund macht sich doppelt bemerkbar, weil irgendwann die Preise für Anzeigen dem niedrigeren Auflagenniveau angepasst werden müssen.

Jetzt rächt es sich, dass Zeitungen - immer in Konkurrenz zu den elektronischen »Gratis«-Medien - stets die »wahren« Produktionskosten von anspruchsvollem Journalismus verdeckten und sich stattdessen teilweise ruinöse Preiskämpfe lieferten. Die Preise für Zeitungen blieben seit Jahrzehnten hinter der allgemeinen Inflation zurück, dafür wuchs die Abhängigkeit von der werbetreibenden Wirtschaft.

Diese Problematik in einer Kampagne zu kommunizieren, ist kein ganz dummer Schachzug der taz. Wenn sie bei aller den ökonomischen und ideologischen Verhältnissen geschuldeten Unzulänglichkeit ein Pfund hat, mit dem es sich bei den Lesern wuchern lässt, dann ist es die weitgehende Unabhängigkeit von Inserenten. Die Larmoyanz der Großverlage erscheint vor diesem Hintergrund läppisch.

Allerdings könnte sich die Schwäche der Großverlage noch in ganz anderer Hinsicht als Nachteil für die taz erweisen. Der Vorschlag, dass sich, wenn einmal alle Stricke reißen und auch die neueste taz-Kampagne nichts mehr einbringt, die drei großen Verlage Holtzbrinck, Bertelsmann und Springer zusammentun, die taz übernehmen und - wo sie eh schon diese Funktion erfüllt - zur größten Journalistenschule Deutschlands ausbauen, ist damit vom Tisch. Dazu fehlt nunmehr einfach das Geld.