Proteste gegen den Bush-Besuch in Berlin

So einig wie noch nie

Beim Bush-Besuch konnten die Demonstranten und die Regierung beweisen, dass sie der USA die Stirn bieten können.

Bekanntermaßen lieben die Deutschen nichts so sehr wie den Konsens zwischen der Regierung und den Regierten. Als George W. Bush im Flugzeug nach Moskau saß, waren alle zufrieden: Attac und die Friedensbewegung, die Regierung und die Opposition. Die Protestierenden hatten sich von den Medien und der Politik immer wieder bestätigen lassen, dass nicht dumpfer Antiamerikanismus, sondern »berechtigte Kritik und Sorge« sie angetrieben habe. Die Politiker glaubten, bewiesen zu haben, dass Deutschland kein »Vasall« der USA sei, sondern mutig alle strittigen Fragen an- und auszusprechen wage. »Die Bundesregierung«, schrieb die taz, »ist aus alledem in ihrem Verhältnis zu den USA nicht geschwächt hervorgegangen. (...) Sie ist (...) als Bedenkenträger gegenüber der US-Politik gestärkt worden.«

Der »bunte und phantasievolle« Protest der Straße hatte das parlamentarische Protokoll ergänzt. Wo früher in der Frontstadt Berlin US-Fahnen schwenkende Antikommunisten Kennedy und Reagan zujubelten, nahmen sich jetzt »Demonstrationen (...) die Freiheit (...), klar und undiplomatisch auszusprechen, was auch einen Großteil der politischen Klasse in Europa umtreibt: ein tiefes Gefühl von Misstrauen, Ablehnung und Unbehagen gegenüber dem Weg, den die Bush-Regierung eingeschlagen hat« (FR).

Dieser europäischen Avantgarde wurde auch die entsprechende Pflege zuteil. Schon am Abend des Besuchs durfte eine Vertreterin von Attac in der Talkshow »Berlin Mitte« mit Otto Schily und Volker Rühe über die Globalisierung plaudern und klarstellen, dass sie keineswegs ablehne, sondern ihr nur kritisch gegenüberstehe. Das, erklärte Schily, tue er auch und hätschelte die Frau, indem er ihr erklärte, dass die Friedensbewegung schließlich für »unser Land« auch sehr wichtig gewesen sei, da sie geholfen habe, die Wiedervereinigung vorzubereiten.

Wenn die »Tagesthemen« wie sonst nur Indymedia ausführlich und liebevoll noch aus den letzten Provinznestern berichteten, in denen sich einige hundert Demonstranten zu »originellen Protesten« zusammenfanden - etwa dem landesweit rituell veranstalteten »Bushtrommeln« - und wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck erklärte, mit ihm gebe es keinen Krieg gegen den Irak, dann geschah das, weil auf der Straße und im Parlament dasselbe Ziel - auf unterschiedliche Weise - verfolgt wurde: »Schröder wie Fischer verstehen die Berliner Demonstrationen gegen Bush besser, als ihre Distanzierungsgesten erkennen lassen. Im Gegensatz zu den Protestierenden, die sich reinen Zorn und Widerwillen leisten können, sind sie jedoch gehalten, das Problem in seiner Gesamtheit zu erkennen und das Mögliche zur Besserung beizutragen.« (FR)

Gemeinsam galt es, dem amerikanischen Präsidenten zu zeigen, dass die Deutschen nicht Ranküne, sondern Sorge um den Weltfrieden, nicht antiamerikanisches Ressentiment, sondern Kritik unter Freunden auf die Straße trieb. Nicht der hässliche Deutsche, sondern der verantwortungsbewusste, der aus seiner Vergangenheit gelernt habe, verleihe seinen Sorgen Ausdruck.

Der gesamtideelle Bedenkenträger der Republik, Wolfgang Thierse, verlas zur Begrüßung Bushs im Bundestag eine Erklärung, bei der einem der Verdacht kommen konnte, er rekrutiere seine Redenschreiber seit neuestem bei Attac. Vom internationalen Strafgerichtshof bis zum Krieg-löst-keine-Probleme-Lamento zählte er sorgsam alle Verfehlungen der US-Politik auf, um Bush dann zu mahnen: »Wir benötigen dringend gemeinsame Maßnahmen gegen eine entfesselte Ökonomie, die sich der Globalisierung zur Vermeidung ihrer sozialen Verpflichtungen bedient. Und keine Koalition ist dringlicher als die für den Frieden in der Welt.« »Inzwischen zeugt es von Mut, wenn ein Spitzenpolitiker ihn (diesen Satz) ausspricht«, lobhudelte die taz die Rede des Bundestagspräsidenten.

Allerdings gab es selten so viel »Mut« in Deutschland, wie in den letzten beiden Wochen. Während die Zeit bereits in der Vorwoche Bush als Cowboy durchs Brandenburger Tor stiefeln ließ, sparte die etablierte Presse auch während des Besuches nicht an »ungehaltenen Gegenreden« wider »Amerikas Weltordnung« (SZ). Die Welt und der stern entdeckten einen in Amerika angeblich herrschenden hässlichen »Anti-Europäismus«, der dem hiesigen Antiamerikanismus nur Vorschub leiste.

Unter dem Titel »Kreuzzug durch Europa« zog der stern alle Register des Ressentiments gegen Amerika im Allgemeinen und Bush im Besonderen. Voll gehässiger Zustimmung wurde der britische Guardian zitiert, der die rechten Republikaner um Bush als »Taliban des Westens« bezeichnet hatte: »In der republikanischen Partei aber geben sie den Ton an. Derzeit wittern sie die einmalige Chance, sich bei den jüdischen Wählern einzuschmeicheln.«

Als Kronzeugin hatte sich der stern die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer ausgesucht. Als Stimme des ideellen Gesamtfriedensdeutschen machte sich die Pastorentochter Sorgen über den anwachsenden Fundamentalismus und entdeckte einen Rückfall hinter die »Ursubstanz von Moderne und Aufklärung« - bei der christlichen Rechten in den USA, versteht sich, nicht etwa bei islamistischen Bewegungen im Nahen und Mittleren Osten. Dort, im Iran nämlich, sieht sie vielmehr den »in der ganzen Region einmaligen Versuch, (...) islamische Werte und Demokratisierung miteinander zu verbinden«. Man muss nicht in den Umkehrschluss verfallen, Bushs Militärstrategen als Stoßtrupp der Aufklärung zu sehen, um Vollmers verdrehte Ideologie zu erkennen.

Vollmers größte Sorge betrifft den Irak, »dass man dort ein brutales, totalitäres Regime attackiert« und dabei riskiert, dass dies »die ganze Region in Brand steckt« und »Israel mit in den Abgrund reißt.« Dass diese vordergründig israelfreundliche Position zur Konsequenz hat, die Terrorisierung der eigenen Bevölkerung und die Bedrohung Israels durch Saddam Husseins Baath-Regime billigend in Kauf zu nehmen, kommt Vollmer nicht in den Sinn. Mit ihrer Bekundung, »deshalb tun wir alles, um diesen Krieg zu stoppen«, kann sie sich als Stimme des deutschen Gesamtkonsenses von Regierenden bis Demonstrierenden fühlen. Ihr grüner Parteifreund, der Erfinder der »menschenrechtsorientierten Außenpolitik«, Joseph Fischer, verfiel in Michel Friedmans Talkshow, als der ihn auf die Menschenrechte im Irak ansprach, in Schweigen und verwies auf den Kaschmir-Konflikt.

Auch Elmar Altvater feierte die Demos gegen Bush vor allem im Hinblick auf einen möglichen Krieg gegen den Irak als Erfolg. Alle seien sich einig, dass ein Militäreinsatz gegen das Regime Saddam Husseins durch nichts zu rechtfertigen sei, weil die Friedensbewegung diesmal nicht wie beim Golfkrieg 1991 wegen der »völkerrechtswidrigen Besetzung Kuweits« gespalten sei. Solange alles seine rechtliche Ordnung hat, nimmt das deutsche Friedensgemüt Saddams Krieg gegen die »eigene« Bevölkerung und die permanente Bedrohung Israels widerspruchslos hin. Zustimmung erfuhren die Deutschen prompt aus der arabischen Presse, die die europäisch-arabische Friedensachse durch das mutige Nein der Deutschen zu einem Krieg gegen den Irak gestärkt sah.

Von dieser Art waren auch die Bekundungen vieler Anti-Bush-Demonstranten, bei denen sich Linksruck-Schilder »Kein Angriff auf Irak - Kriegstreiber unerwünscht« mit Hamas-Fahnen »Bush = größter Terrorist«-Poster mit Anti-Israel-Parolen mischten. Da nützt es auch nicht viel, dass sich Teile der autonomen Szene oder die Antifaschistische Aktion Berlin in ihren Aufrufen explizit gegen Antiamerikanismus und Antisemitismus aussprachen. Angesichts des Gesamtcharakters der Manifestationen dienten die mit guter Absicht gegen den Mainstream gerichteten Abgrenzungen eher dazu, das medial vermittelte Bild zu bestätigen, bei den Massenaufmärschen handele es sich um »berechtigte Kritik an den USA«.

Gegen Kapitalismus und deutsches Großmachtstreben lässt es sich bestens an den verbleibenden 363 Tagen im Jahr demonstrieren. Auch am 8. Mai bot sich eine Gelegenheit, als Walser und Schröder gemeinsam der nationalen Befreiung der Deutschen von der Last ihrer Vergangenheit gedachten. 150 Leute kamen, deren Kundgebung als »Gesinnungshygiene« (SZ) abgetan wurde. Mindestens 50 000 Menschen sollen gegen Bush demonstriert haben.