Studie über die deutsche Berichterstattung zum Nahost-Konflikt

Das große Dissen

Die Berichterstattung über den Nahost-Konflikt ist antisemitisch schattiert, meint eine Studie. Die Untersuchung selbst ist ressentimentgeladen, behaupten die Medien.

Was darf man über Israel sagen, wie darf man kritisieren, wann ist man Antisemit? Über kaum ein Thema wurde in den vergangenen Monaten in Deutschland heftiger debattiert. Von einer Zurückhaltung oder gar einem Tabu, die Politik Israels zu kritisieren, kann jedoch keine Rede sein, wenn man die Ergebnisse einer Studie betrachtet, die kürzlich in Berlin vorgestellt wurde. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Diss) hat im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) die Berichterstattung von sieben großen Tages- und Wochenzeitungen zur so genannten Al-Aksa-Intifada untersucht. Für den Zeitraum von September 2000 bis August 2001 wurden die zentralen Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster analysiert, die die Reportagen und Kommentare prägen.

Die Verfasser der Studie gehen von der Annahme aus, dass die Berichterstattung über den Nahen Osten nicht von Kontroversen in Deutschland zu trennen ist. Deshalb zeichnet die Studie den diskursiven Zusammenhang zwischen der Nahost-Berichterstattung, den geschichtspolitischen Debatten und den Diskussionen um Zuwanderung und innere Sicherheit in Deutschland nach. Zudem wurde untersucht, ob die Wahrnehmung und Darstellung der Konfliktparteien durch antizionistische, antisemitische oder rassistische Stereotype beeinflusst ist. Das Ergebnis: Zuschreibungen wie »machthungrig«, »rachsüchtig« und »unversöhnlich« finden sich in den Berichten über die Israelis; die Palästinenser hingegen werden immer wieder als »hysterisierte« und »unbändige« Masse gezeichnet.

Wichtiger als der Nachweis der stereotypen und ressentimentgeladenen Darstellung der Geschehnisse in Israel und den palästinensischen Gebieten ist allerdings der Hinweis auf das Fehlen einer historischen Kontextualisierung der Ereignisse. Die fast durchgängige Interpretation des Konfliktes als Konfrontation zwischen David und Goliath enthebt die Auseinandersetzung ihres historischen und politischen Zusammenhangs. Als Resultat solcher vereinfachter und verkürzter Darstellungen erscheint Israel als alleiniger Aggressor und als Urheber des Konflikts.

Die Stärke der Studie, Feinheiten und Untertöne des Diskurses über den Nahost-Konflikt in Deutschland nachzuzeichnen, erweist sich gleichzeitig als ihre Schwäche. Den Arbeiten des Duisburger Instituts liegt die Annahme zugrunde, dass es eine Realität jenseits des Diskurses nicht gibt. Mehrmals wies der Leiter, Siegfried Jäger, bei der Präsentation der Studie darauf hin, dass es darum gehe, das »Sagbarkeitsfeld« der »diskursiven Ereignisse« zu erfassen. Die »Überprüfung der Wahrheit oder auch nur Richtigkeit der Darstellung eines Sachverhalts an der Wirklichkeit« ist ausdrücklich nicht das Ziel der Untersuchung. Die Frage also, ob die Berichterstattung über den Tod des palästinensischen Jungen Mohammed al-Dura der Realität entspricht, besitzt für die Autoren keine Relevanz.

Fast alle Medien haben aber im vergangenen Jahr nahe gelegt, der Junge sei kaltblütig von israelischen Soldaten erschossen worden. Eine unzulässige Behauptung, wie die Recherchen der TV-Journalistin Esther Schapira einige Monate später ergaben (Jungle World 17/02). Die Journalistin wies auf viele Indizien hin, aus denen man schlussfolgern kann, dass das Kind von palästinensischen Kugeln getroffen wurde.

Ähnliche Auslassungen finden sich im Fall zweier getöteter Israelis. Aber auch hier kritisiert die Studie lediglich den Diskursverlauf. Das Ergebnis der Duisburger, dass sich die Berichterstattung über den Lynchmord an zwei israelischen Soldaten in Ramallah auf die »Eskalationslogik« des Konfliktes konzentriere und dass damit die Forderung nach einer westlichen Intervention gestärkt werde, ist banal. Interessanter wäre es auch hier, den Geschehnissen selbst mehr Raum in der Analyse und Bewertung der Berichterstattung einzuräumen.

Die Tatsache, dass mehrere Bänder mit Aufnahmen des Lynchmordes von palästinensischen Sicherheitskräften beschlagnahmt wurden und lediglich ein Band durch Zufall an die Öffentlichkeit gelangte, ist eine Information, die in der hiesigen Berichterstattung unerwähnt blieb. Auch die Schilderungen eines ZDF-Reporters, der nur wegen seines deutschen Passes und mit der Beteuerung, nicht jüdisch zu sein, mit dem Leben davonkam, vermitteln Informationen über die Realität des Konfliktes, wie sie in deutschen Medien selten zu finden sind. Diese Ebene der Kritik lässt sich in der Studie jedoch nicht finden.

Wie sehr die Untersuchung dennoch den Nerv trifft, wenn sie zu dem Schluss kommt, die Nahost-Berichterstattung »rufe die deutsche Vergangenheit auf« und sei von »antisemitischen Duftmarken« geprägt, zeigen die Reaktionen. Die Methode der Studie, nicht einzelne Zeitungen oder gar Autoren ins Visier zu nehmen, sondern den »Gesamtdiskurs zum Nahen Osten« und das darin transportierte Bild Israels einer qualitativen Analyse zu unterziehen, kritisiert Klaus Hartung in der Zeit mit dem Argument, »die Expertise verzichte gänzlich auf verifizierbare Nachweise«.

Unter der Überschrift »Überall lauert der Antisemit« wirft er den Autoren einen »ungebremsten Jargon des Verdachts« und »anklagende Generalisierung« vor. Seine Kritik, die Studie leiste nichts und gehe zu pauschal mit dem Vorwurf des Antisemitismus um, wird von einer Karikatur, die neben dem Artikel platziert ist, noch verstärkt. Ein Polizist wendet sich darin an orthodoxe Juden, die dabei sind, in einer Halteverbotszone mitten auf der Straße eine Siedlung zu errichten. »Nehmen Sie es bitte nicht antisemitisch, aber Sie stehen im absoluten Halteverbot«, ist darunter zu lesen. So wird zum Ausdruck gebracht, es sei eine Eigenart der Juden, sich mit dem Argument des Antisemitismus gegen jegliche Kritik zu verwahren.

Auch die Neue Zürcher Zeitung erklärt nicht den Gegenstand der Studie, sondern die Studie selbst zum Problem. Der deutsche Antisemitismusexperte Wolfgang Benz wird mit der These zitiert, der Antisemitismus sei »als Trend in Deutschland nach allen Erhebungen rückläufig«. Damit ist das Thema erledigt, und die Studie wird als der wahnhafte Versuch »einer sektiererischen Linken« denunziert, »ihre restmarxistischen Ressentiments gegen die bürgerliche Gesellschaft als Kampf gegen Antisemitismus zu tarnen«.

Mit dem eigentlichen Ansatz der Untersuchung, ihrer Methodik und Durchführung beschäftigt sich kaum eine der zahlreichen Besprechungen. Die Reaktionen machen vielmehr deutlich, dass die Ergebnisse der Studie so falsch nicht sind.