Strafverfolgung und Überwachung

Grün ist die Polizei

Zu der von den Grünen 1998 versprochenen Liberalisierung der Strafverfolgung kam es nicht. Stattdessen wurden die Befugnisse der Behörden erweitert.

Es verspricht immer einen billigen Lachverfolg, zum Ende einer Legislaturperiode die Wahlkampfprogramme von einst auszugraben und sie mit dem zu vergleichen, was daraus geworden ist. Die Grünen traten 1998 mit dem Anspruch an, auch in der Rechtspolitik einiges anders machen zu wollen. In ihrem Programm »Grün ist der Wechsel« forderten sie: »Die so genannten Terroristengesetze der siebziger und achtziger Jahre wie Kronzeugenregelung, Kontaktsperregesetz und der Paragraf 129 a StGB sind aufzuheben. Die Rechte von Angeklagten auf ausnahmslose Anwesenheit im Prozess und auf eine sachgerechte Verteidigung sind wieder herzustellen.«

Das klang, als wäre es eine Herzensangelegenheit der Partei, deren Spitzenpolitiker einst selbst, ob als Anwälte oder Angeklagte, die erdrückende Last obrigkeitsstaatlicher Justiz hatten erleben müssen. Doch vier Jahre später heißen die »so genannten Terroristengesetze« Terrorismusbekämpfungsgesetze und der Paragraf 129 a hat einen 129 b an die Seite gestellt bekommen.

Auch ohne die Anti-Terrorgesetze weist die rechtspolitische Bilanz der Bundesregierung eine deutlich antiliberale Tendenz auf. Die staatliche Sanktionierung ist immer weiter auf den »präventiven« polizeilichen Bereich verlagert, das Polizeirecht ist erweitert worden, während die Kriminalität selbst kaum noch als gesellschaftliches Problem verstanden wird, das von sozialen Umständen hervorgerufen wird.

Die Vorstellung von hochgradig intelligenten und organisierten Berufsverbrechern einerseits oder von genetisch prädisponierten Wiederholungs- und Triebtätern, die sich an der Gemeinschaft vergehen, andererseits, haben das sozial-liberale Bild eines von der Gesellschaft geprägten Täters abgelöst.

Hieß es im Programm der Grünen von 1998 noch, »gesellschaftliche Konflikte lassen sich nicht von der Polizei und Strafjustiz lösen, die Ursachen von Kriminalität nicht durch harte Strafen bekämpfen«, so ist im aktuellen Wahlprogramm lediglich die Forderung nach der Wahrung der Form im Umgang mit Straftätern geblieben: »Unsere Kriminalpolitik setzt auf Prävention, rasche Aufklärung, angemessene Strafverfolgung, Opferschutz, Resozialisierung und die Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. (...) Die öffentliche Sicherheit ist (...) entscheidend für die Lebensqualität.« Mit keinem Wort wird auf die Resozialisierung von Gefangenen eingegangen, und Prävention wird gleichgesetzt mit »besseren Schulen«.

Der Wunsch nach »schneller Aufklärung« und »angemessener Strafverfolgung« bestimmte in den zurückliegenden Jahren das Vorgehen gegen jene, die angeblich die »Lebensqualität« der Mehrheitsgesellschaft beeinträchtigen. Im Frühjahr 1998 installierte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) per Errichtungsanordnung wenige Monate vor dem Ende seiner Amtszeit schnell noch die DNA-Datei des Bundeskriminalamtes (BKA) und handelte sich die Kritik der Opposition ein, er habe auf dem Amtsweg beschlossen, was politisch diskutiert werden müsse.

Diesen Ärger hätte er sich sparen können. Denn 1999 beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Grünen, der SPD und der FDP das »Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes«, das den Straftatenkatalog, der als Grundlage für die Erfassung genetischer Daten von Strafgefangenen fungiert, noch erheblich ausdehnte. Auch die Zugriffsrechte der Polizei wurden erweitert. Vor allem das BKA, das zum Vergleich mit der Haftdatei Gruppenauskünfte aus dem Bundeszentralregister selbständig anfordern und diese Auskünfte zusammen mit den »dazu gehörigen Registerauskünften« an die Landeskriminalämter weiterleiten darf, profitierte von der rot-grünen Neuregelung.

So müssen nicht nur Strafgefangene, die wegen Mordes, Totschlags, schwerer Körperverletzung, Menschenraubs oder sexueller Straftaten einsitzen, nach der Vorlage eines richterlichen Beschlusses Blut zur Genanalyse abgeben, sondern auch solche, die wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung oder wegen Wohnungseinbruchdiebstahls einsitzen.

Ende 1999 legte das BKA eine erste Erfolgsbilanz vor: »Bisher konnten durch die DNA-Analyse 1 761 Tatverdächtige ermittelt werden; in weiteren 986 Fällen gelang es, Spuren zusammenzuführen und dadurch Tatzusammenhänge festzustellen. Zu jeder siebten eingegebenen Spur konnte ein Treffer erzielt werden.« Den 1 761 Verdächtigten standen zum selben Zeitpunkt bereits 130 000 Datensätze gegenüber. Hinzu kamen seitdem noch die Bewohner ganzer Landkreise, die bei der Jagd auf Sexualstraftäter freiwillig ihre Speichelproben abgegeben haben.

Der »Schutz der Lebensqualität« hat auch vor anderen Kernfragen nicht Halt gemacht, die die grüne Rechtspolitik einst beschäftigten. Das Knirschen im Telefon, das entsteht, wenn Polizei oder Nachrichtendienste sich einschalten, ist bekanntermaßen ärgerlich und soll künftig vermieden werden. »Die Telefonüberwachung muss auf ein notwendiges Mindestmaß reduziert werden«, fordert das Wahlprogramm 2002. Über den Umfang dieses Mindestmaßes schweigt es sich jedoch aus.

Bereits in der im vorigen Jahr beschlossenen Nachfolgeregelung im Fernmeldeabhörgesetz sahen Anwaltsverbände eine gefährliche Tendenz zur Ausweitung polizeilicher Bespitzelung. Mit dem nunmehr vorgelegten Entwurf zur Änderung der Strafprozessordnung, der den Einsatz des so genannten IMSI-Catchers vereinfachen soll, wird nicht nur die Lokalisierung und Erfassung von Mobiltelefonen möglich, sondern auch der Einsatz noch nicht benannter Technik, sofern sie der Aufklärung von »Straftaten von erheblicher Bedeutung« dient. Die Unschärfe dieser gesetzlichen Bestimmungen erfüllt dabei einen direkten fahndungspraktischen Zweck. Bereits jetzt sind die verwendeten Geräte zu mehr in der Lage als nur zur einfachen Ortung und Feststellung von Telefonnummern.

Die Kette der Gesetze, mit denen polizeiliche Eingriffsbefugnisse erweitert und die Rechte von Angeklagten eingeschränkt wurden, ließe sich endlos fortführen. Sie reicht von der Erweiterung der Befugnisse des Bundeskriminalamtes und der Nachrichtendienste, über die Kontrolle des elektronischen Datenverkehrs bis zum lebenslangen Wegsperren so genannter Trieb- und Wiederholungstäter.

So wurde erst in der vergangenen Woche der Entwurf der Bundesregierung zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (Jungle World, 14/02) bei Sexualstraftaten vom Bundestagsrechtsausschuss angenommen. Gegen den Vorbehalt stimmte einzig die FDP.