Dee Dee Ramone ist tot

Liebe das Elend

Dee Dee Ramones Leben war eine Hommage ans Losertum.

Manchmal fragt man sich, warum Rockstars ihr Leben nicht genauso sinnvoll einteilen können wie etwa Fußballer. Warum sie nicht auch einfach sagen können: Zehn oder 15 Jahre lang habe ich meinen Fans etwas geboten, war glücklich dabei, habe einen Haufen Kohle eingesackt, aber jetzt ist Schluss? Ich genieße mein Leben, reise um die Welt und performe nur noch einmal im Jahr an Weihnachten für meine Familie? Aber nein, die meisten Rockstars können nicht loslassen. Sie fangen nach dem Karriereknick das Tingeln an, lassen sich als lebende Legende durchreichen und verwechseln weiterhin die Rolle »Rockstar« mit dem wahren Leben.

Dee Dee Ramone, der ehemalige Bassist und Songschreiber der Ramones, hat demnach in vielerlei Hinsicht mehr kapiert als andere Größen des Popbetriebs. Er hat zumindest versucht, mehr zu sein als ein ewiger Ramone. Doch etwas Entscheidendes hat er dabei nicht in den Griff bekommen, und so wurde er vor einer Woche im Alter von 49 Jahren, gut ein Jahr nach dem Krebstod von Joey Ramone, von seiner Frau in der gemeinsamen Wohnung in Hollywood leblos auf dem Sofa liegend gefunden. Todesursache: eine Überdosis. Von was genau, ob Heroin oder etwas anderem, ist noch nicht bekannt.

Dee Dee Ramone war vor 13 Jahren schlau genug zu erkennen, dass sich die Ramones überlebt hatten. Böse Zungen könnten behaupten, dass diese Erkenntnis um 13 Jahre zu spät kam, da die Ramones mit ihrem gleichnamigen Debüt 1976 bereits alles gesagt hatten und sich danach nur noch selbst kopierten. Doch zumindest »Rocket to Russia« von 1977 gilt heute als weiterer Ramones-Klassiker, auf den man eigentlich nicht gerne verzichten würde.

»Brain Drain« von 1989 markiert dagegen den absoluten Tiefpunkt der Band, und genau zu dieser Zeit verließ Dee Dee die Gruppe dann auch, um nochmals wirklichen Schwung in sein Leben zu bringen. Er begann unter dem Namen Dee Dee King mehr schlecht als recht zu rappen, gründete mit Rock'n'Roll-Fossilien wie Johnny Thunders von den New York Dolls und Stiv Bators von den Dead Boys die Punk-Allstar-Combo Chinese Dragons. (Rekordverdächtig ist wahrscheinlich, dass mit dem Ableben von Dee Dee sämtliche renommierten Mitglieder dieser Band von einer Überdosis dahingerafft wurden.) Später rief er mit The Remains sogar eine bizarre Ramones-Coverband ins Leben. Diese Aktion legt dann doch wieder den Schluss nahe: einmal Ramones, immer Ramones.

Künstlerisch kam in keinem dieser Projekte etwas Bedeutendes rüber, aber Dee Dee war wenigstens beschäftigt. Außerdem begann er zu malen, stellte sogar aus, schrieb die Autobiografie »Poison Heart - Surviving The Ramones«, in der er unverblümt von seinen Drogen- und Alkoholproblemen berichtete, und den Roman »Chelsea Horror Hotel«, über das berühmte New Yorker Hotel, in dem in den Sixties und Seventies Rockmythen gelebt wurden und sich nicht nur Sid Vicious seine letzte Nadel setzte.

Der Drogentod von Dee Dee Ramone macht deutlich, dass einer wie er immer nur auf der Flucht vor dem Elend sein konnte. Es wirklich zu überwinden, das war nicht drin. Ein Elend, das immer präsent war bei den Ramones, das sie überhaupt erst zu sich selbst kommen ließ. Das Leben in den Suburbs von New York versprach alles andere als Glamour, deshalb machten die Ramones aus ihrem verranzten Losertum ein Image. Und zwar zum rechten Zeitpunkt, Mitte der Siebziger. Punk sollte bald explodieren, die Szene um den legendären Konzertschuppen CBGBs, deren Protagonisten die Ramones bald waren, galt als unendlich hip, und verranzte Loser konnten plötzlich Helden sein.

In der offiziellen Geschichtsschreibung des Punk gelten die Sex Pistols als dessen perfekte Inkarnation im intellektuellen Sinne. Die Pistols waren urplötzlich da, verbrannten sofort wieder, waren destruktiv und letztlich unglaublich prägend für Kunst, Fashion und damit zusammenhängende Theoriebildung. Die Ramones waren zwar ebenfalls Style-Ikonen, doch sie verkörperten eher die musikalische Seite des Punk. Bei ihnen ging es nicht um Zerstörung, sondern tatsächlich um Musik, nicht um Anarchie und darum, alles, was vorher war, zu negieren. Sondern im Gegenteil um Ordnung, Bestand und Traditionspflege. It's only Rock'n'Roll, aber die Ramones mochten ihn.

Allein ihr Konzept, dass sich alle Mitglieder der Band das »Ramone« im Namen zulegen mussten - eine Hommage an Paul McCartneys erstes Pseudonym -, steht für Einigkeit und das Bekenntnis, Teil eines familiären Bündnisses zu sein. Der Bezug auf clanartige Sixties- und Seventies-Schmalzcombos wie The Osmonds oder The Partridge Family war dabei gleichzeitig ironisch und ernsthaft konnotiert. Ihre innere Geschlossenheit demonstrierten die Ramones zudem durch ihre Uniformierung. Ähnlich wie die Beatles, die Beach Boys oder die Monkees sahen sie mit ihren zerrissenen Jeans, den abgewetzten Turnschuhen und den zu engen T-Shirts alle gleich aus. Nur dass sie nicht die »boys next door« waren, sondern eben die Hänger aus der Vorstadt.

Die Ramones sehnten sich nach einem anderen Leben, nach Chancen, die sie nicht bekamen. Johnny Ramone meinte einmal: »Wir wollten Songs über Autos und Mädchen schreiben. Aber keiner von uns hatte ein Auto, und kein Mädchen wollte mit uns ausgehen. So schrieben wir stattdessen Songs über Freaks und mentale Beschwerden.« Wobei sie sich mit Titeln wie »I wanna be your boyfriend« oder »Oh, oh, I love her so« über ihre eigene Teenangst einerseits lustig machten, sie andererseits aber als ernstes Problem verhandelten.

Bei den Ramones war eben immer alles ambivalent. Sie entwarfen sich selbst als Cartoon-Charaktere, die nie wirklich deutlich machten, wo Affirmation beginnt und Abgrenzung endet. Musikalisch griffen sie Surfmusik und Garagenpunk genauso wie Teenkitsch der Sixties auf, zerstörten aber alle Referenzen in ihren superschnellen, orkanartigen Songs. Sie lehnten ihre Herkunft aus dem Suburb Forest Hills ab und feierten sie zugleich; sie machten 1985 den Anti-Reagan-Song »Bonzo goes to Bitburg« und galten doch immer als amerikanische Patrioten. Auf seiner offiziellen Homepage posierte Dee Dee Ramone neben der Freiheitsstatue.

Nur auf eines war immer Verlass. Auf Dee Dees Einzählen der Ramones-Songs. Er war es, der das ritualisierte »1, 2, 3, 4« vor jedem Song schrie. Dieses stete Eintakten in die Songs ist ein weiterer Hinweis auf die ewige Suche nach Ordnung bei den Ramones. So ununterscheidbar deren Rotznummern auch sein konnten, durch ein »1, 2, 3, 4« wusste man bei Konzerten immer, wann der nächste Song losging. Als Dee Dee Ramone zum letzten Mal zum Spritzbesteck griff, scheint er jedoch den Überblick verloren zu haben. Und zwar darüber, wo der Drogenrausch endet und der Tod beginnt.