Debatte um Notstandsgesetze

Notstand ohne Grenzen

In Japan kommt die widerrechtliche Datensammlung einem geplanten militärischen Notstandsgesetz in die Quere.

Seit 1999 gilt in Japan ein Gesetz, das einfachen BürgerInnen Einsicht in Verwaltungsakten erlauben soll. Doch die Legislative rechnete nicht mit dem Einfallsreichtum der traditionell machtbewussten und geheimniskrämerischen Bürokratie des Landes. In der vorletzten Woche drang an die Öffentlichkeit, dass ein Beamter des Verteidigungsamtes über alle Personen, die in seiner Behörde gemäß dem neuen Gesetz Akteneinsicht verlangt hatten, eigene Nachforschungen angestellt hatte. Die so gewonnenen Informationen reichte er anschließend innerhalb des Amtes auf einer Diskette herum.

Die Liste der 142 »QuerulantInnen« umfasste neben der für die Antragstellung nötigen Angabe des Namens und der Adresse persönliche Informationen über Beruf, Geburtsdatum, Zugehörigkeit zu Organisationen und Kommentare wie »Kriegsgegner« oder »ehemaliges Mitglied der Streitkräfte, wegen Krankheit ausgeschieden«. Nun erstaunt Indiskretion beim Umgang mit persönlichen Daten eigentlich nicht weiter in Japan, wo man selbst beim Betreten öffentlicher Bibliotheken mindestens ein Formular unter Angabe von Anschrift und Telefonnummer ausfüllen muss. Dennoch befand selbst der Sprecher des Verteidigungsamtes, der Vorfall sei unentschuldbar, und versprach weitere Aufklärung.

Sie soll vor allem den Verdacht zerstreuen, der Zuständige habe nicht etwa aus eigenem Antrieb, sondern auf Anweisung von oben gehandelt. Der Vorfall ist besonders brisant, weil derzeit im Parlament über ein Gesetzespaket mit Regelungen für den Fall eines militärischen Notstandes beraten wird. Das Sammeln von Informationen über potenziell subversive Elemente dürfte dabei noch zu den weniger unangenehmen Folgen gehören. Das Gesetz sieht für den Fall eines Ausnahmezustandes im Wesentlichen vor, Grundrechte einzuschränken, die Mobilmachung zu erleichtern, die Machtbefugnisse der Regierung und des Premierministers zu erweitern und die Betätigungsmöglichkeiten der japanischen Streitkräfte auszuweiten.

Angehörige der Berufsgruppen Bau-, Gesundheits- und Transportwesen sollen im Falle der Anwendung des Gesetzes auch gegen ihren Willen für militärische Zwecke eingesetzt werden können; Güter und Sachmittel aus diesen Branchen könnten ebenso herangezogen werden.

Der Premierminister könnte Entscheidungen von BürgermeisterInnen und Gouverneuren, die ihre Mitarbeit verweigern, für ungültig erklären; zufällig ist der Premierminister auch Vorsitzender aller Kontrollgremien, deren Einrichtung das Gesetz für den Fall eines Notstandes vorsieht. Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Vorsitzender des Kabinetts, das den Notstand beschließt - in dringenden Fällen auch gänzlich am Parlament vorbei -, ist er ohnehin. Auch eine grundlegende Beschränkung der Versammlungs- und Pressefreiheit darf im Ensemble der Maßnahmen nicht fehlen; beide sollen nur noch gelten, »solange sie das öffentliche Wohl nicht gefährden«.

Der größte Skandal im Gesetzestext steckt aber in Formulierungen, die erstmals in der japanischen Nachkriegsgeschichte Kampfhandlungen japanischer Truppen ausdrücklich erlauben. Hatten verschiedene Gesetzesvorhaben der jüngeren Vergangenheit (Jungle World, 44/01) allmählich den Weg dahin geebnet, die Anwendung von Waffengewalt außer im Falle individueller Selbstverteidigung aber noch ausdrücklich ausgeschlossen, so sind nunmehr »die Anwendung von Waffengewalt sowie der Aufmarsch von Truppen« während eines Ausnahmezustandes möglich. Ein solcher soll nicht nur im Falle eines Angriffs auf Japan ausgerufen werden können, sondern auch, wenn die »Befürchtung« besteht, es könne zu einem solchen Angriff kommen, oder ein solcher »vorhergesagt« werden kann. Ein »Angriff auf Japan« ist aber nach Aussage der Regierung auch dann gegeben, wenn Konsulatsgebäude im Ausland oder japanische Truppen irgendwo auf der Welt attackiert werden.

Hier würden die geplanten Gesetze die bereits existierenden ergänzen. Erlauben doch das kürzlich erlassene Gesetz zum Einsatz japanischer Truppen im Ausland sowie das Anti-Terror-Gesetz vom Herbst des letzten Jahres eine Hilfestellung bei Kriegshandlungen von Verbündeten, aber eben noch nicht den eigenen Waffeneinsatz. Sollten hingegen die einmal zur Unterstützung Verbündeter in die weite Welt geschickten Truppen in Kämpfe verwickelt werden, so könnte dies nun zum Auslöser eigener Kampfhandlungen werden. Die Regierung erklärt die Notwendigkeit der Notstandsgesetze mit den Terroranschlägen in den USA und dem Auftauchen nordkoreanischer U-Boote und Schiffe in japanischen Küstengewässern.

Die wahren Motive dürften aber weniger in einer realen Bedrohung als vielmehr in den Wünschen des wichtigsten Verbündeten zu suchen sein. Bereits im April des vergangenen Jahres schlug Michael Green, der Chef der Japan-Abteilung des Nationalen Sicherheitsrates der USA, vor, Regelungen für einen Ausnahmezustand einzuführen, um den ungeliebten Artikel 9 der japanischen Verfassung auszuhebeln, der die Kriegführung und die Aufstellung von Streitkräften verbietet.

Ob die Gesetzespläne noch vor der parlamentarischen Sommerpause verwirklicht werden, ist allerdings fraglich. Die größte Oppositionskraft, die Demokratische Partei, schloss sich der Fundamentalopposition der linken Parteien an und boykottierte die letzten Beratungen, wenn auch weniger aus inhaltlichen Bedenken als vielmehr im Gefühl, übergangen worden zu sein.

Doch auch der Regierung ist bewusst, dass leere Abgeordnetenbänke im Fernsehen nicht gut aussehen, sodass man bemüht ist, sich konziliant zu zeigen. Derweil haben es die parlamentarischen Linksparteien geschafft, eine Großdemonstration mit über 40 000 TeilnehmerInnen zu organisieren. So neigt sich die Legislaturperiode dem Ende zu, ohne dass ein Ende der parlamentarischen Verhandlungen in Sicht wäre.

Dem durch den Datensammlungsvorfall gestörten Vertrauen der Bevölkerung in jene, denen die Gesetzesvorlage erweiterte Befugnisse zukommen lassen soll, versetzte Regierungssprecher Yasuo Fukuda einen weiteren Schlag. In der vergangenen Woche erklärte er, wenn man schon überlege, die Verfassung zu ändern, sei auch die Aufgabe der »drei Atomprinzipien« nicht völlig ausgeschlossen. Japan hält seit den sechziger Jahren daran fest, niemals Atomwaffen besitzen, herstellen oder importieren zu wollen, was seinerzeit einstimmig im Parlament beschlossen wurde und bis heute ein alle Parteien einigender Konsens ist.

Trotz der Dementis aller höheren RegierungsvertreterInnen nutzte die Opposition die Chance, um einmal mehr die Ausschusssitzungen zur Notstandsgesetzgebung zu boykottieren. Da der Chef des Verteidigungamtes gleichzeitig zugeben musste, dass die widerrechtliche Datensammlung in mehreren Abteilungen stattgefunden hatte und deren Ergebnisse zudem allen MitarbeiterInnen im internen Computernetzwerk zugänglich gemacht worden waren, könnte es für das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode düster aussehen, wollen sich die Regierungsparteien bei der Bevölkerung nicht völlig unbeliebt machen.