Anstößiger Einsatz
Im Protokoll der Kölner Polizei mit der Überschrift »Randalierer nach Widerstand in Lebensgefahr« klingt alles völlig schlüssig: »Im Rahmen eines Polizeieinsatzes wegen häuslicher Streitigkeiten wurde ein 31jähriger Mann nach erheblicher Widerstandsleistung festgenommen. Während einer Blutprobenentnahme im Krankenhaus kollabierte der Mann und musste auf die Intensivstation verlegt werden. (...) Nach ersten Erkenntnissen weist der Mann keine äußeren Verletzungen auf, die den kritischen Zustand erklären könnten.« So einfach ist das. Eine Gewaltanwendung der Polizisten wird nur indirekt erwähnt und erscheint legitim; ein Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und dem Zustand des Opfers wird geleugnet.
Dieser Polizeibericht vom 13. Mai wird bei der Staatsanwaltschaft, vor Gericht und gegebenenfalls bei den Dienstaufsichtsbehörden Eingang in die Akten finden. Und er wird den mutmaßlichen Tätern äußerst nützlich sein.Seit 1999 wurde in 300 Verfahren gegen Kölner Polizisten wegen Gewaltanwendung im Amt ermittelt. Alle wurden eingestellt.
Aber diesmal könnte der Fall an den prügelnden Polizisten der Kölner Innenstadtwache nicht ganz folgenlos vorübergehen. Denn am 24. Mai starb Stefan N., nachdem er fast zwei Wochen auf der Intensivstation im Koma gelegen hatte. Vermutlich ist sein Tod die Folge der Misshandlungen, die ihm auf der Kölner Eigelsteinwache von mehreren Polizisten nach seiner Festnahme zugefügt wurden.
Damit gelangte einer der größten Polizeiskandale Kölns in die Öffentlichkeit. Sechs der an der Festnahme von Stefan N. beteiligten Beamten wurden suspendiert und unter Anklage gestellt. Der Inspektionsleiter der Kölner Innenstadtwachen, Jürgen Sengespeik, musste als Verantwortlicher seinen Hut nehmen. Ihn hatten auch wiederholte Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt gegen mindestens einen der Beamten auf der Eigelsteinwache nicht aufhorchen, geschweige denn handeln lassen.
Aufgedeckt wurde der Skandal von zwei Polizisten, die den Mut hatten, über die von ihnen beobachteten Misshandlungen zu berichten. Mut brauchten sie nicht nur, weil für sie das Klima am Arbeitsplatz vermutlich nicht mehr angenehm sein wird. Ihnen droht nun auch eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung.
Die Kölner Lokalpresse mischte dagegen zunächst bei der Verschleierung der Vorgänge kräftig mit. Der Kölner Stadtanzeiger zitierte noch am 22. Mai Aussagen von Zeugen, die Stefan N. als unberechenbaren Randalierer darstellen, der sich derart gewalttätig gezeigt habe, dass den Polizisten nichts anderes übrig geblieben sei, als ihn »durch Stöße in die Seite zur Besinnung zu bringen. Mitunter geschah dies auch durch Fußtritte.« Im selben Blatt wurde außerdem der Anwalt der Beschuldigten zitiert, der erklärte, dass die »Zwangsmittel rechtmäßig erfolgten und mit dem Kreislaufkollaps des Festgenommen nichts zu tun haben«.
Für die Hinterbliebenen des Opfers ist die verzerrte Darstellung von Stefan N. unerträglich. »Mit diesen Schilderungen wird auch ein Prozess vorbereitet«, sagt Thomas Krutmann, ein Freund des Getöteten. »Wenn Stefan, ob in der dpa-Meldung oder in der Presse, ausschließlich als Randalierer oder als Zweizentnermann dargestellt wird, ist das eine Herabwürdigung seiner Person, die zugleich die Täter zum Teil legitimiert.«
Krutmann hat zusammen mit anderen Freunden eine Initiative ins Leben gerufen, die sich um die Wiederherstellung eines angemessenen Bildes des Opfers bemüht. »Es geht darum zu zeigen, dass Stefan einer war, der aus unserer Mitte kam, und nicht eine Randfigur, als die er in der Presse erscheint.«
Folgt man den Erzählungen Krutmanns, war Stefan N. in Kölner Musiker- und Künstlerkreisen sehr geschätzt. Der ausgebildete Schreiner half in einem bekannten Club aus. »Stefan war einer, der aus drei kaputten Stühlen zwei ganze machen konnte. Warum taucht er nicht als Schreiner und als Musiker, der er auch war, in den Meldungen auf?«
Der Vater von Stefan N. starb früh, die Schwester kam bei einem Unfall ums Leben. Stefan selbst war berufsunfähig und konnte keiner geregelten Arbeit nachgehen. Er lebte während der letzten sieben Jahre mit seiner Mutter in der gemeinsamen Wohnung in der Roonstraße, wo der tödlich endende Polizeieinsatz stattfand.
Was dort genau vorgefallen war, bis es dazu kam, dass ein Nachbar, der sich gestört fühlte, die Polizei alarmierte, ist nur in Teilen bekannt. Es soll sich um eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn gehandelt haben. »Beim Eintreffen der Polizei saß die Mutter wieder vor dem Fernseher«, weiß Krutmann von dem tragischen Abend. Warum aber haben die Polizisten den Einsatz dann nicht abgebrochen? Warum ignorierten sie den Hinweis der Mutter auf ein Medikament, dass Stefan einnahm und das die Gefahr innerer Blutungen erhöht?
»Ein Verbrechen hat stattgefunden. Das darf nicht passieren, so etwas darf niemandem geschehen«, steht in dem Aufruf zu der von Krutmann initiierten Unterschriftenaktion, mit der das nordrhein-westfälische Innenministerium zu einer Klärung des Falles aufgefordert wird.
Der Polizeiapparat tat sich nach dem Tod von Stefan N. schwer, eine offizielle Stellungnahme gegenüber den Hinterbliebenen abzugeben. Es war ein Freund Stefans, der persönlich beim neu eingesetzten kommissarischen Leiter der Kölner Innenstadtinspektion, Udo Behrendes, vorsprach und ihn fragte, ob nicht eine Geste des Mitgefühls angebracht wäre. Daraufhin erst besuchte Behrendes die Mutter des Getöteten - als Privatmann.
Ende Juni soll es ein Konzert für Stefan N. geben, beteiligen werden sich die Bands, die er besonders mochte. Zu seiner Beerdigung fanden sich nicht weniger als 200 Angehörige und Freunde ein, um von ihm Abschied zu nehmen. Für das Soli-Konzert am 28. Juni im Gebäude neun hoffen Thomas Krutmann und die anderen Hinterbliebenen auf noch weit mehr Besucher.
Denn es geht auch um Geld für den Prozess, der den mutmaßlichen Tätern gemacht werden soll.