26.06.2002
Gesundheitskontrolle an Berliner Bäumen

Auf Holz geklopft

Der Baum ist der natürliche Feind des Autos. Wie auch der Mensch. Das Auto ist zwar des Deutschen liebstes Kind, aber die Beziehung zwischen Autos und Deutschen ist nicht ganz unproblematisch. Zu unausgeglichen wirken die Kräfte. Die Pferdestärken widersetzen sich dem Ansturm der Gefühle des Menschen. Und wie schon Robert Lembke erkannte, sind Autos, die schneller fahren, als ihr Fahrer denken kann, die größte Gefahr für die anderen Autos. Was für Siegfried das Ahornblatt war, ist für das Auto sein Fahrer.

Doch während Siegfried ein einziges Blatt zum Verhängnis wurde, kämpft das Auto gleich an zwei Fronten. Neben der inneren Schwachstelle Fahrer hat es mit widrigen Außeneinflüssen zu tun. Kolonnen von Straßenbäumen produzieren Millionen von Blättern, klebrige Blütenabsonderungen (Läusepisse) und Sicht nehmende Pollenschleier. Herabfallende Äste und umstürzende Stämme bedrohen den Lack und die Oberflächenbeschaffenheit.

Auch wenn die Autos in der Überzahl sind - in Berlin gab es im Jahr 2000 1 384 202 Autos, aber nur 410 697 Straßenbäume -, in diesem Kampf, Natur gegen Technik, müsste das Auto auf Dauer unterliegen, stünde ihm nicht der Mensch hilfreich zur Seite. Der Mensch als Baumkontrolleur, nicht als Autofahrer.

Mit Motorsäge und geschultem Gehör bewaffnet, stutzt er den Bäumen die Kronen und zwingt die zerstörerische Kraft der Natur in beschaulich-liebliche Form. Unablässig an die Stämme klopfend, zieht er durch die Straßen Berlins und mustert den Baum mit strengem Blick. Wehe dem, der aus morschem Stamme wuchert. Mit biblischer Rechtfertigung, »suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan« (Matthäus 7, 7-8), trifft ihn der Arm des Gesetzes.

Denn der Staat wird vom Grundgesetz verpflichtet, die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger zu schützen, auch derer, die in Autos sitzen. Unfallvermeidung heißt das oberste Ziel der Verkehrssicherungsspflicht, und die gilt selbst dann, wenn der Fahrer nicht mehr denkt und besoffen gegen den Baum knallt.

Autofahrer und Baum müssen voreinander geschützt werden. Deshalb wird geklopft, nummeriert und kartiert, was das Zeug hält. Knapp eine halbe Million Straßenbäume halten die zahlenmäßig stark unterlegenen Baumkontrolleure in Schach, im Bezirk Mitte beträgt das Verhältnis 24 Kontrolleure zu 23 700 Bäumen.

Durch zartes Anklopfen findet der Kontrolleur heraus, wann es gefährlich wird. Jeder Baum hat seinen Ton, und der verändert sich in Abhängigkeit von Hohlheitsgrad, Rindendicke und Klopftechnik. Tönt es verdächtig, werden Maßnahmen eingeleitet. Schallmessgeräte werden angefordert, Bohrer kommen zum Einsatz, die Motorsäge lauert. Ist gerade kein Hubsteiger vor Ort, schwingt sich der Kontrolleur tarzanartig mithilfe einer speziellen Seilklettertechnik den Baum hinauf, die Säge im Anschlag. Diese darf allerdings nur ein Kletterer benutzen, der die Fortbildung Seilklettertechnik in Verbindung mit Motorsägeneinsatz erfolgreich abgeschlossen hat. Nach dem Einsatz herrscht wieder Ruh' über den Wipfeln und Ordnung am Boden. Der Baum ist gestutzt und das Auto beschützt.

Die Klopftechnik kann übrigens auch dem Freund des Baumes, dem Menschen, dienlich sein, wie Thomas Bernhard weiß: »Nichts. Gar nichts ist in Ihrem Kopf. Tagelang gehen Sie mit einem solchen leeren Kopf umher und klopfen daran und stellen immer nur fest, dass er vollkommen leer ist.«