»Bildung ist Bürgerrecht.« Dieser Devise ist schon in der Phase der so genannten Bildungsexpansion vielfach mit wirren Verrechtlichungen und allen möglichen Ängsten vor zu viel Demokratie zuwider gehandelt worden. Allein die grundrechtswidrige Einrichtung des Numerus Clausus (NC) an den Universitäten gibt darüber Auskunft. Vom Bundesverfassungsgericht 1972 wohl begründet nur als zu überwindende Notmaßnahme kurzfristig für zulässig erklärt, bestimmt er seit über 30 Jahren das Universitäts-, das notenkonkurrierende Schul- und das akademisch von oben nach unten ausschließende Berufssystem. Die Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts bleiben allemal folgenlos, wo sie nicht ins herrschende Bild passen.
Immerhin: Wenigstens quantitativ und in Richtung des Zugangs zum Gymnasium und zu den Universitäten suchte man seinerzeit die Bildungskatastrophe zu beheben. Indes, inmitten all des Geschwätzes über die »Informations-«, ja die »Wissensgesellschaft«, in der wir lebten, auf die wir uns standortkonkurrierend mit anderen Ländern hin entwickeln müssten, hat das, was sich Bildungspolitik nennt, das föderale Glanzstück der Bundesrepublik und ihrer repräsentativ demokratisch ausgedünnten Verfassung, das Wort von der Bildungspolitik als moderner Sozialpolitik wahrhaft asozial wahr gemacht.
Und das nicht erst in Zeiten der Pisa-Studie. Bildungs- und Hochschulpolitik arbeiten vielmehr seit Jahrzehnten daran, die alten sozialen Klassen bildungspolitisch nachhaltig zu befördern und zu erneuern - nicht erst seit der »geistig-moralischen Wende« der Kohl-Regierung nach 1982, sondern auch kräftig unter der rot-grünen Koalition und gefördert durch die SPD-regierten Länder.
Besitz und Bildung zählen. Die Schulen und die Hochschulen sorgen dafür, dass die groben und die feinen sozialen Unterschiede erhalten bleiben, habituell und kognitiv verstärkt, individualisiert und quasi vernatürlicht werden. Als sei es naturgegeben, dass die einen oben wohnen, arbeiten, Vermögen bilden und ihrer »Wellness« frönen, während die anderen schicksalshaft blöder ausgestattet sind. Darum müssen sie eben »drunten wohnen«, wo »die schweren Ruder der Schiffe« quietschen, Schweiß treiben, mühen und krank machen.
Das bundesdeutsche Bildungssystem mit all seinen Unterschieden zwischen Bayern und Brandenburg verstärkt und produziert Asozialität; es missachtet die Grundrechte ausländischer Kinder und Jugendlicher ebenso wie solche von Kindern aus dem »Milieu« von Arbeitslosen oder schlecht bezahlten Arbeitern, und nicht zuletzt von Aussiedlern, die man ansonsten deutschtümelnd schier erdrückt hat.
Doch nicht nur das. Das systematisch diskriminierende, Ungleichheit verstärkende, selbst gewaltige und Gewalt bedingende Bildungssystem ist an einem Bildungsbegriff orientiert, der auch den neuerdings entdeckten »Hochbegabten« eine »Mobilität« und »Flexibilität« aufherrscht, der den um die Menschen als eigenständige Personen kreisenden Grundrechten strikt zuwider läuft. Er schafft auch Asozialität nach oben. Er enteignet die Menschen ihres besten Teils: ihres bildungspolitisch zu entwickelnden und zu fördernden Selbstbewusstseins und Handlungsvermögens. Auch das ist die heutige Bildungskatastrophe.
Die bundesdeutsche Bildungspolitik aller etablierten Parteien in allen Ländern ist im demokratisch grundrechtlich qualifizierten Examen in der Vorschul-, der Schul- und der Hochschulpolitik durchgefallen. Wo aber sind die Eltern, die Lehrer und Hochschullehrer, die Schüler und Studenten, die der Bildungskatastrophe schon aus eigenem Interesse wehrten? Allein schon die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt macht sie gegenwärtig stumm.