Das N-Wort wird relauncht
Als Q-Tip, Rapper der inzwischen aufgelösten HipHop-Gruppe A Tribe Called Quest, 1993 einen Titel namens »Sucka Nigga« textete, war das ein Anlass für erstaunte Nachfragen: ATCQ galten als »conscious« und hatten bis dahin das »N-Wort« vermieden. Und zwar ebenso programmatisch und geschichtsbewusst, wie sie es jetzt verwendeten: als Lektion über Rassismus und die Möglichkeit der subversiven Aneignung seiner Ausdrucksformen. Der Titel stellte in ein paar Reimen klar, das nigger der emblematische Ausdruck weißer Konstruktionen von natürlicher schwarzer Minderwertigkeit war; im selben Atemzug erklärte und verteidigte er die Verwendung des Wortes unter schwarzen Amerikanern.
»Sucka Nigga« ist ein wunderbares Beispiel afroamerikanischer Techniken des ironischen Sprechens, weil Q-Tip das, was er ausführt, auch vorführt: Hör zu, darum geht es, nigga. Diese Strategie ist ganz im Sinne von Randall Kennedy, dem Autor einer Studie über das »lästige Wort« nigger und seine »seltsame Karriere« von der denkbar schlimmsten rassistischen Beleidigung zu einem - aus seiner Sicht - semantischen Chamäleon. Kennedy, Jura-Professor an der Harvard University, ist überzeugt von der Möglichkeit der Aneignung, die zugleich eine Enteignung ist. Wenn aufgeklärte, nicht rassistische Menschen das N-Wort benutzten, würde es den white supremacists entrissen. Also wiederholte er Q-Tips Geste und platzierte das Wort herausfordernd auf den ansonsten schwarzen Umschlag seines Buches, in dem er für einen libertären Umgang mit nigger plädiert: Mögen die vielfältigen neuen Bedeutungen dem Wort den Stachel der Beleidigung nehmen. Jeder, der die Gefährlichkeit des Werkzeuges kenne, solle damit spielen dürfen.
Ohnehin sei das ja längst passiert, nigger kann liebevolle Anrede oder ironischer Witz sein. Es taucht massenhaft in HipHop-Texten auf, aber auch, beinahe ebenso häufig, in der »Norton Anthology of African American Literature«. Die Kreativität sprachlicher Gestaltung und den »freien Markt der Kultur« anrufend, identifiziert Kennedy eine lange Reihe »guter Verwendungen«, die es fortzuführen gelte. Das mündet zwar nicht ganz in zukunftsgläubiger Naivität - Kennedy weiß selbstverständlich um die Kontinuität des Rassismus -, aber doch in der erstaunlichen Annahme, die guten von den schlechten Verwendungen unterscheiden zu können. Ausschlaggebend ist für ihn die Intention des Sprechers, beurteilbar durch den common sense.
Damit setzt er voraus, dass sich Bedeutung in jedem diskursiven Akt neu herstellt, dass sie nicht arbiträr ist und sich vermitteln lässt. Wer also, so könnte man den Schluss ziehen, das Wort nigger als verletzend empfindet, obwohl es nicht so »gemeint« war, dem unterläuft ein Verständnisfehler. Das beträfe die vielen Afroamerikaner, für die das Wort ein hartnäckiges Erbe der Sklaverei ist - ein Ausdruck pathologischer Fixierung auf die Schmach der Vergangenheit. Es bleibt das Wort, das wie kein anderes »an den Eingeweiden zerren« kann, wie es der Politikwissenschaftler Andrew Hacker formulierte. Kennedys Buch stieß auf reichlich Kritik bei afroamerikanischen Intellektuellen wie Gerald Early oder Hilton Als, die betonen, dass - der Kontext der Äußerung mag sein, wie er will - nigger immer seine Geschichte im Gepäck habe. Die »neuen« Bedeutungen bleiben unweigerlich und sogar notwendigerweise mit der alten verbunden; die Beleidigung kann karikiert und umgewertet werden, die zuweisende Macht des Wortes bleibt erhalten.
Kennedy ist bestrebt, die Kritik vorwegzunehmen, indem er ein Kapitel den Bemühungen widmet, nigger zu stigmatisieren. Das sei weder möglich noch wünschenswert. Amerika habe eine freiheitliche Tradition zu verteidigen. Dementsprechend fällt sein Urteil über die Kulturkämpfe der letzten beiden Jahrzehnte aus; speech codes seien Zensur und schüfen eine Atmosphäre der »Hypersensibilität«. Die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung seien wichtig gewesen, dürften aber in der Gegenwart nicht zu einem starren Protektionismus gerinnen: »Wir sollten, statt rassisch definierte Parzellen voneinander abzugrenzen und lediglich Angehörigen der 'richtigen' Rasse ihre Beackerung zu gestatten, daran arbeiten, den common ground amerikanischer Kultur zu verbreitern.« Dort möge das N-Wort als kulturelles Gemeingut immer neue Blüten treiben.
Der Vorwurf des Protektionismus zielt natürlich auf die hochgradig aufgeladene Frage der Verwendung des Wortes durch Weiße; deutlich macht er jedoch vor allem die zentrale Schwäche von Kennedys Argumentation. Nigger ist nicht einfach eine Beleidigung, die durch eine überschreibende Verwendung getilgt werden könnte, sondern das wirkungsvollste sprachliche Werkzeug der Zuschreibung von Identität. Jahrhunderte lang diente es dazu, Schwarze auf »ihren Platz« zu verweisen. Für die neuen europäischen Einwanderer des 19. Jahrhunderts war es das Ticket zum Eintritt in den amerikanischen Mainstream; sie wurden »weiß«, als sie lernten, nigger zu sagen und sich selbst dadurch als vollwertige Amerikaner aus der Taufe zu heben. Es war eines der ersten Dinge, die sie lernten.
Es gibt kein Wort, das weniger geeignet wäre, Trennungen zu überwinden, weil es immer als Agent der Idee rassischer Kategorien auftritt. Verweist nicht selbst der schlechter Absichten unverdächtige John Lennon mit seinem »Woman Is the Nigger of the World« Schwarze auch wieder auf »ihren Platz«, der ihm als Referenz für seine Gesellschaftskritik dient? Der Begriff wiederholt immer eine Logik rassischer Einteilung von Menschen; deshalb ist die Hautfarbe des Sprechers von Belang. Würde diese Logik endlich durchbrochen, dann hätte das Wort seine Bedeutung verloren - die eine, die alle anderen bedingt.
Die Aneignung des Wortes durch Schwarze hat einen identitätspolitischen Aspekt; es gilt, positiv umzuwidmen, was noch Martin Luther King konstatierte: Wenn du schwarz bist, ist nigger dein Vorname. Kennedy glaubt nun paradoxerweise, gerade die Verwendung des Wortes durch Weiße könne Zusammenhänge schaffen, die über Rasse hinausgehen. Über den Rapper Eminem, der das Wort ablehnt, sagte er in einem Interview: »Indem er es nicht benutzt, sagt er auch, dass er niemals wirklich zu dieser community (gemeint ist Eminems überwiegend schwarzes Umfeld; K.K.) gehören kann.« Wenn Eminem aber nur Zugehörigkeit erzielt, indem er das N-Wort benutzt, ist das eben keine Auflösung von rassischen Kategorien, sondern racial passing - nicht weil Rassen existieren, sondern weil die Idee ihrer Existenz reproduziert wird.
Viele Schwarze benutzen das N-Wort selbstverständlich, viele lehnen es grundsätzlich ab; viele finden die Verwendung durch Weiße unerträglich; andere, wie Kennedy, gestehen es ihnen zu. Kennedy hätte sich von den gemischten Gefühlen auf der Seite der Rezipienten anregen lassen können, hat sich aber dafür entschieden zu sortieren: nach »guten« und »schlechten« Absichten auf der Seite der Sprecher. Im zentralen Kapitel des Buches zeigt er anhand exemplarischer Gerichtsentscheide, wie kurz pauschalisierende Urteile über die Verwendung des N-Wortes greifen, die den Kontext unberücksichtigt lassen; zugleich jedoch macht er sich daran, Kriterien der eindeutigen Entscheidbarkeit herauszuschälen. Der Jurist Kennedy erkennt darin nicht die notwendig reduktive Logik der Rechtsprechung, sondern ein Abbild der Wirklichkeit. Das ist dann ebenso reduktiv wie beispielsweise die von ihm zu Recht kritisierten Forderungen, Mark Twains »Huckleberry Finn« zu indizieren. Wo die einen darauf beharren, das Buch sei rassistisch, wirft er es in einen Topf mit anderen »guten Verwendungen«. Dabei wäre gerade dieser Roman geeignet, den komplexen Bedeutungshaushalt von nigger herauszuarbeiten, dem mit dem Blick auf Intentionen nicht beizukommen ist - der es immer über den Kontext einer juristisch deutbaren Äußerung hinausragen lässt. Ein Kritiker schreibt: »Es sollte ein Wort bleiben, das Menschen trennt, selbst Schwarze, die uneins sind über die Zulässigkeit des Wortes innerhalb ihrer communities. Es ist das trennendste Wort der amerikanischen Geschichte.«
Randall Kennedy: Nigger. The Strange Career of a Troublesome Word. Pantheon Books, New York 2002, 256 S., 24,94 Euro