Laute Bloksgesänge

Die etablierten Parteien in Belgien wollen den rechtsextremen Vlaams Blok mit nationalistischer Rhetorik bekämpfen.

Wer mit dem Auto von Aachen kommend die belgische Grenze überquert, kann einige Überraschungen erleben. Während man sich noch über die hervorragend beleuchteten belgischen Autobahnen freut, verwirrt die scheinbar willkürliche Beschilderung um so mehr. Um zu erkennen, dass es sich bei Bruxelles, Brüssel und Brussel um dieselbe Stadt handelt, braucht man keine besonderen Sprachkenntnisse. Wie aber verhält es sich mit Mechelen und Malines, Antwerpen und Anvers oder Mons und Bergen? Da die Autobahn Aachen-Brüssel die 1963 festgelegte Sprachgrenze mehrfach kreuzt, sollten sich Besucher Belgiens am besten zweisprachig vorbereiten.

Seit der Einführung des so genannten Territorialitätsprinzips ist Französisch die einzige offizielle Sprache in Wallonien und Niederländisch die einzige in Flandern. Der dritte Bundesstaat neben Flandern und Wallonien ist die Hauptstadt Brüssel, die zweisprachig verwaltet wird. Was auf den Touristen lästig und kleinkariert wirkt, gehörte zu den ersten Resultaten der allmählichen Föderalisierung.

Der 1830 gegründete Einheitsstaat Belgien, der als einzige offizielle Sprache Französisch anerkannte und das von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochene Niederländisch diskriminierte, hat sich inzwischen in einen föderalen Bundesstaat verwandelt. Die drei Teilstaaten haben einen Großteil der Kompetenzen übernommen. Der Zentralstaat ist nur noch für Angelegenheiten von nationalem Belang zuständig, also für Verteidigung, Außenpolitik und die Sozialsysteme. Selbst ein Großteil der Steuergesetzgebung fällt unter die Hoheit der Teilstaaten.

Die französische Sprache hat in den vergangenen Jahren im Bildungsbereich, aber auch im Militär oder im diplomatischen Dienst ihre dominante Position verloren. Und waren noch Ende der sechziger Jahre die meisten Großbetriebe in den Händen französischsprachiger Besitzer, spielt diese Sprache im Arbeitsleben Flanderns heute nur noch eine untergeordnete Rolle.

Eine Ursache dieser Entwicklung ist der wirtschaftliche Aufstieg Flanderns und der Zusammenbruch der Stahlindustrie in Wallonien. Die Forderung, »Sprache der Arbeiter, Sprache der Fabrik«, gilt als erfüllt. Flandern hat mit 60 Prozent der Bevölkerung nicht nur das demografische, sondern mittlerweile auch das ökonomische Übergewicht in Belgien. Während die Arbeitslosenquote in Wallonien ostdeutsche Ausmaße erreicht, gehört Flandern zu den wohlhabendsten Regionen Europas. Wer jedoch meinte, ökonomischer Aufschwung und Föderalisierung ließen den flämischen Nationalismus abflauen, sah sich getäuscht.

Je länger der Sprachenstreit dauerte, desto mehr nahm er den Charakter eines Konfliktes zweier »Völker« an. Diskussionen über »Mentalitätsunterschiede« oder eine »Eigenverantwortung der Völker« wurden nicht nur am rechten Rand geführt. Und 1988 trauchte mit dem Vlaams Blok eine Partei auf, die ein radikal nationalistisches Programm und die Forderung nach einem unabhängigen Flandern mit den Themen einer modernen Rechtspartei verband. Seit seiner Gründung hat der Blok bei jeder Wahl einen Stimmenzuwachs verzeichnen können.

Die anderen Parteien einigten sich schon Ende der achtziger Jahre auf einen »cordon sanitaire«, der jede Zusammenarbeit mit dem Vlaams Blok verbot. Allerdings ging damit ein Rechtsruck der etablierten Parteien einher. Die Präsidentin der niederländischsprachigen Freien Universität Brüssel, Els Witte, schreibt dazu: »Die demokratischen kulturellen Vereinigungen und Parteien wendeten sich öffentlich vom Blok ab, ohne zu verhindern, dass der Wahlerfolg des Vlaams Blok Einfluss auf diese Organisationen hatte.«

Die etablierten Parteien hätten versucht, die Rechtsextremen zu isolieren und ihnen gleichzeitig den Boden zu entziehen, »indem sie ihre eigenen flämischen Forderungen radikalisierten«. Sowohl die Christdemokraten, die Sozialdemokraten als auch die Liberalen verschärften ihre Sprachpolitik, während die moderat nationalistische Volksunie sich am stärksten am Programm des Blok orientiert habe.

Die Anpassung an die nationalistische Rhetorik zeitigte jedoch unerwünschte Folgen. Bei den letzten Wahlen zum flämischen Parlament im Juni 1999 erhielt der Blok 15,5 Prozent. In Antwerpen, der größten Stadt Flanderns, wurde er bei den Regionalwahlen im Oktober 2000 mit 33 Prozent zur stärksten Partei.

Im Mai des vergangenen Jahres wurde diese Entwicklung möglicherweise durch die Affäre um Johan Sauwens vorerst aufgehalten. Der flämische Minister der Volksunie musste zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass er an einer Veranstaltung des »Sint-Marten-Fonds« teilgenommen hatte, einer Vereinigung flämischer Veteranen der Waffen-SS. Neben Sauwens war auch die rechtsextreme Prominenz Flanderns anwesend, um unter Bannern mit dem SS-Motto »Meine Ehre heißt Treue« Nazilieder anzustimmen.

Sauwens anschließender Rücktritt schwächte zwar nicht die flämische Regierung. Kurz darauf begann jedoch in Flandern eine heftige Diskussion über die weitgehend verdrängte Kollaboration des flämischer Nationalismus mit den Deutschen. Schon vor zehn Jahren schrieb der Journalist Philippe Brewaeys: »Der Rechtsradikalismus ist überall in Europa ramponiert aus dem Zweiten Weltkrieg gekommen, außer in Flandern. Er hat im flämischen Nationalismus weitergelebt und Schutz genossen.«

Nach der Affäre Sauwens bezogen hochrangige Politiker Stellung. Der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt erklärte, dass »wir in der letzten Zeit zu tolerant gegenüber dem Neonazismus gewesen sind«, und der fämische Ministerpräsident Patrick Dewael, der wie Verhofstadt den flämischen Liberalen angehört, sprach von dem »unverfälschten Faschismus« des Vlaams Blok.

Die klaren Stellungnahmen Verhofstadts und Dewaels gegen den Blut-und-Boden-Rassismus des Blok lassen hoffen, dass man in den bürgerlichen Parteien einsieht, dass sie mit dem Blok nicht um den besseren Nationalismus wetteifern können. Anlass zur Hoffnung gibt auch ein neuer Umgang mit nationalen Feiertagen und Symbolen. So werden die Gedenkfeiern zum 700jährigen Jubiläum der »Schlacht der Goldenen Sporen«, die an den Sieg flämischer Milizen über ein französisches Ritterheer im Jahre 1302 erinnern, am 11. Juli wohl nüchterner als befürchtet ausfallen. Statt prächtige Fahnenaufmärsche zu organisieren, hat sich die Regierung entschieden, so genannte »Barbecue-Schecks« im Wert von 400 Euro an Stadtteilgruppen und Bürgerinitiativen zu verteilen. Das Geschrei der Nationalisten über »Kosmopolitismus« und »Gleichgültigkeit gegenüber Flandern« spricht für diese Maßnahme.