Ninjas greifen an
Ihr wichtigstes Ziel verfehlten die Angreifer. Die in einer Militärbasis nahe Brazzaville stationierten Mi 24-Kampfhubschrauber blieben unbeschädigt, als so genannte Ninjas Mitte Juni die Außenbezirke der Haupstadt attackierten. Die Angehörigen der auf 500 bis 1 000 Bewaffnete geschätzten regierungsfeindlichen Miliz wurden nach kurzen Gefechten zurückgeschlagen.
Die Kampfhubschrauber bombardieren und beschießen seit dem März dieses Jahres Dörfer in der Pool-Region im Süden des zentralafrikanischen Landes. 50 000 Menschen sollen bereits geflohen sein, Bill Paton, der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Brazaville, bezeichnete die Angriffe als »bewusste Missachtung des Lebens von Zivilisten«. Die Regierung des Präsidenten Denis Sassou-Nguesso rechtfertigt die Einsätze mit den Aktivitäten der Ninja-Miliz.
Sassou-Nguesso, der zur Zeit des Angriffs auf Brazzaville beim Welternährungsgipfel in Rom weilte, passen die Kämpfe gar nicht ins Konzept. Fünf Jahre nach dem militärischen Sieg über die Regierung unter Pascal Lissouba präsentiert er sich auf internationalem Parkett als Demokrat. Mit 89 Prozent ließ er sich im März in einer Wahl zum Präsidenten küren, von der ernst zu nehmende Konkurrenten ausgeschlossen waren. Am vergangenen Wochenende sollte die zweite Runde der Parlamentswahlen über die Bühne gehen, bei der sich ein ebenso fragwürdiger Sieg des regierenden Parteienbündnisses Forces Démocratiques Unies abzeichnete.
Mit dieser Politik knüpft der Oberst an die Zeit des Einparteienstaates an. Bereits zwischen 1979 und 1992 regierte er die Volksrepublik Kongo, deren marxistische Rhetorik das neokoloniale Patron-Klient-Verhältnis zu Frankreich nur notdürftig übertünchen konnte. Vertreter des damals staatlichen französischen Konzerns Elf Aquitaine organisierten den ungebrochenen Einfluss der ehemaligen Kolonialmacht auf den mittlerweile drittgrößten Erdölproduzenten im subsaharischen Afrika. Noch heute fördert das Unternehmen, inzwischen Teil des Konglomerates TotalFina-Elf, ungefähr 60 Prozent des kongolesischen Offshore-Öls.
Der Ölreichtum verschaffte der Entwicklungsdiktatur des Parti Congolais du Travail (PCT) in den siebziger Jahren genügend Einnahmen, um einen gut funktionierenden Bildungs- und Gesundheitssektor aufzubauen. Staatsbetriebe und der überdimensionierte Beamtenapparat waren die größten Arbeitgeber. Die Landwirtschaft wurde über Jahrzehnte vernachlässigt, sodass große Mengen Nahrungsmittel importiert werden müssen. In den achtziger Jahren verpfändete die Staatsführung die Erdölvorkommen und finanzierte daraus das eigene Wohlergehen, den öffentlichen Dienst und Sozialleistungen. Heute weist die Republik Kongo die höchste Prokopfverschuldung der Welt auf.
1991 beendete die Demokratisierungswelle im frankophonen Afrika auch die Herrschaft des PCT. Mit seiner Niederlage gegen den im folgenden Jahr zum Präsidenten gewählten Pascal Lissouba fand sich Sassou-Nguesso jedoch nie ab. Er und seine Hauptkonkurrenten, Lissouba und der ehemalige Premierminister Bernard Kolèlas, trugen 1993/94 und 1997 bis 1999 mit Hilfe von Milizen den Kampf um die Staatsmacht aus, etwa 10 000 Menschen kamen ums Leben.
Dass Sassou-Nguesso diesen Kampf für sich entscheiden konnte, verdankt er vor allem ausländischer Unterstützung. Die Krise der Republik Kongo mit ihren nur drei Millionen Einwohnern ist von Beginn an mit den Kriegen in den größeren Nachbarländern Angola und Demokratische Republik Kongo (DRC) eng verknüpft. 1997 zog Sassou-Nguesso mit Hilfe angolanischer Truppen wieder in Brazzaville ein, die 1 200 in der Republik Kongo stationierten Soldaten sind die wichtigste Stütze seines Regimes.
Angola lag vor allem an der Bekämpfung der Unita-Rebellen und der Separatisten in der ölreichen Region Cabinda, die von Lissouba unterstützt worden sein sollen. An der Seite von Sassou-Nguesso sollen neben französischen und osteuropäischen Söldnern auch Milizionäre aus Ruanda stehen, die am Massenmord von 1994 beteiligt waren. Vor allem in den schwer zugänglichen Norden des Landes flüchteten sich zehntausende Menschen aus der DRC vor dem dortigen Krieg.
Sein überraschendes Comeback verdankt Sassou-Nguesso aber auch der Unterstützung Frankreichs. Präsident Jacques Chirac beeilte sich 1997, den Machtwechsel als Stabilisierung des Landes zu würdigen, und Frankreich setzte bald seine militärische Kooperation mit der Republik Kongo fort. Der Regierung unter Pascal Lissouba hatte man vor allem übel genommen, dass sie sich ihren Wahlkampf 1997 durch einen Vorschuss des US- amerikanischen Ölkonzerns Occidental Petroleum finanzieren ließ, nachdem Elf Lissouba hatte abblitzen lassen.
Die von Chirac postulierte Stabilisierung war allerdings nur oberflächlich. Der erneute Ausbruch des Bürgerkrieges wird einer Fraktion der Ninja-Milizen angelastet, die unter dem Befehl des religiösen Führers Frederic Bintsangou Ntoumi steht. Seine Gefolgsleute verweigerten sich 1999 dem Entwaffnungsprogramm der Regierung. Doch das Militärregime scheint auch von einer anderen Seite bedroht zu werden.
Teile der Elite um den Präsidenten, die überwiegend aus dem Norden des Landes stammt, fürchten offenbar, in den derzeit stattfindenden Parlamentswahlen um Posten und Einkommen gebracht zu werden, weil Sassou-Nguesso sich von der alten Garde des PCT distanzieren will. Dem einflussreichen Finanzminister Mathias Dzon und Sassou-Nguessos älterem Bruder Maurice wurde eine Kandidatur verweigert mit der Begründung, sie hetzten zur Gewalt auf.
Die Kampfhandlungen könnten von Fraktionen in der Armee provoziert worden sein, um dem Präsidenten ihre Wichtigkeit unter Beweis zu stellen, mutmaßt die Economist Intelligence Unit. Bereits im Juli des vergangenen Jahres nahmen Armeeangehörige das Haus des Verteidigungsministers unter Beschuss, nachdem dessen Behörde die Entlassung einiger hoher Armeeangehöriger verfügt hatte. Eine Armeereform hätte für etliche der gerade eingegliederten ehemaligen Miliz-Mitglieder die Entlassung bedeutet. Gefährlicher als die Ninjas ist für Sassou-Nguesso die von ihm selbst betriebene Militarisierung der kongolesischen Gesellschaft.