Rücktritt des italienischen Innenministers

Mieses Betragen

Nein, das gehört sich nicht. Jedenfalls nicht öffentlich. Eine »penetrante Nervensäge« sei der ermordete Regierungsberater Marco Biagi gewesen, sagte der italienische Innenminister Claudio Scajola der Tageszeitung Corriere della Sera. Personenschutz habe er nur gefordert, weil er eine Verlängerung seines gut dotierten Beratervertrages wollte. Außerdem, wäre Biagi tatsächlich eine Leibwache zur Seite gestellt worden, hätte das Attentat auf ihn statt eines Menschenlebens eben drei gefordert. Für den obersten Dienstherrn der Polizei eine erstaunliche Logik.

Am Mittwoch vergangener Woche, einige Tage nach seinen Äußerungen, trat Scajola zurück. Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte ihn zu schützen versucht, musste letztlich jedoch dem öffentlichen Druck nachgeben.

Biagi war im März dieses Jahres, vor der großen Gewerkschaftsdemonstration gegen die Aushöhlung des Arbeiterstatuts, erschossen worden. Kurz darauf tauchte ein von den Roten Brigaden unterzeichnetes Bekennerschreiben auf (Jungle World, 15/02).

Vor dem Attentat hatte der Wirtschaftsprofessor mehrfach Drohungen erhalten. Da dennoch sein Personenschutz schrittweise reduziert wurde, wandte er sich per E-Mail Hilfe suchend an den Arbeitsminister Roberto Maroni, den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, den Vorsitzenden des Industriellenverbandes sowie an einen befreundeten unteren Staatssekretär. Ohne Erfolg.

Am 3. Oktober wurde das »Weißbuch« zur Flexibilisierung der Arbeitswelt vorgestellt, an dessen Erarbeitung Biagi maßgeblich beteiligt war. Am selben Tag wurde ihm der verbliebene Personenschutz gestrichen.

Am vorletzten Wochenende gelangten nun Biagis E-Mails an die Öffentlichkeit. Zwar dürften sie authentisch sein, interessant aber sind der Zeitpunkt und die Umstände ihrer Veröffentlichung. Wiederum standen Streiks bevor, die die Unterzeichnung des »Paktes für Italien« zur Reform des Arbeitsmarkts begleiteten. Er wurde am Freitag voriger Woche zwischen der Regierung, Kapitalvertretern und den beiden Gewerkschaften CISL und UIL vereinbart, während ihn die größte Gewerkschaft, die linksgerichtete CGIL, boykottierte.

Biagis E-Mails wurden anonym der in Bologna erscheinenden linksalternativen Zeitschrift Zero in Condotta (Betragen ungenügend) zugespielt, die sie als erste veröffentlichte. Ihr Chefredakteur, der Altautonome Valerio Monteventi, leitete die brisanten Dokumente an die Tageszeitung La Repubblica weiter.

Hierin beklagt sich Biagi auch über den CGIL-Vorsitzenden Sergio Cofferati. Dieser habe ihn wegen seiner Arbeit am »Weißbuch« zu einem persönlichen Gegner auserkoren. Zudem ist von einer »absolut vertrauenswürdigen Person« die Rede, die ihm von Cofferatis Feindseligkeit berichtet habe.

Welchen politischen Nutzen die Rechte aus der Veröffentlichung dieser Mails hätte ziehen können, liegt auf der Hand. Wäre Scajola nicht der Fauxpas passiert, darauf mit der Beschimpfung des Ermordeten zu reagieren, wäre es ein leichtes gewesen, Cofferati und die Gewerkschaften als »moralische Auftraggeber« des Mordes zu präsentieren.

Doch was veranlasst einen erfahrenen Linken wie Monteventi, der auch Sprecher des Bologna Social Forum und Stadtrat der Rifondazione Comunista ist, dazu, seine Zeitung für eine Nachricht herzugeben, die genausogut aus dem Dunstkreis der Geheimdienste stammen könnte? Vielleicht wollte er damit einen Coup landen und die »neuen« Roten Brigaden als die Konterguerilla enttarnen, für die sie Teile der italienischen Linken halten. Ein riskantes Manöver, das nur dank der ministeriellen Panne bislang nicht der Linken geschadet hat.

Vielleicht wollte Monteventi auch nur den Minister stürzen, der für den »chilenischen« Polizeieinsatz und den Schießbefehl beim G8-Gipfel von Genua verantwortlich war. Das wäre ein bescheidenes Ziel. Schließlich ist der P2-Mann und Geheimdienstreformer Giuseppe Pisanu ein würdiger Nachfolger.