Jean Lescop, Hausbesitzer in Plougonvelin

»Die Bretagne hat sich gut entwickelt«

Plougonvelin liegt in der Bretagne, zehn Kilometer von der Hafenstadt Brest entfernt. Am Hang, oberhalb des Ortes, keine zehn Minuten vom Strand entfernt, steht ein altes Bauernhaus. Es ist aus Naturstein gebaut, hat einen prächtigen Garten und bietet einen bezaubernden Blick auf den Atlantik. Dort, im Dachgeschoss, entstand diese Ausgabe der Jungle World. Jean Lescop war unser Vermieter.

Monsieur Lescop, wie haben Sie die Fußball-WM verdaut?

Gar nicht. Derzeit spricht man in Frankreich nicht über Fußball.

Welche Touristen kommen eigentlich in die Bretagne?

In erster Linie kommen Deutsche, aber auch Engländer hierher, daneben Touristen aus Dänemark, aus anderen skandinavischen Ländern oder aus Belgien. Mitunter auch Italiener und Spanier, aber die jeweiligen Gründe sind unterschiedlich. Die Deutschen und Engländer kommen wegen des wärmeren Klimas. Umgekehrt kommen die Südländer eher hierher, um sich in einem kühleren Klima aufzufrischen.

Sind Ihnen bestimmte Urlauber lieber?

In meiner Familie haben wir immer an Deutsche vermietet. Mein Vater sprach Deutsch, er hatte sich gute Beziehungen zu den Leuten bewahrt, bei denen er im Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft gewesen war.

Mein Vater hatte bei Landwirten in Bayern gearbeitet, in Windelfingen in der Nähe von Regensburg, in einer Molkerei. Nach dem Krieg war er mit ihnen in Kontakt geblieben, sie schickten regelmäßig Postkarten. Vor 15 Jahren ist er dorthin zurückgekehrt, er wollte 14 Tage bleiben, und dann ist er anderthalb Monate dageblieben. Die Leute, bei denen er damals untergebracht war, waren noch am Leben, auch der Direktor der Molkerei, unter dem er gearbeitet hatte.

Weckt es bei Ihnen vor diesem Hintergrund nicht merkwürdige Gefühle, wenn Deutsche hierher kommen?

Nein. Es sind ja stets die Regierungen, die Kriege und Unrecht zu verantworten haben, und die einfachen Leute baden es aus.

Wovon leben denn die Menschen hier in der Bretagne, vom Tourismus einmal abgesehen?

Die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie sind vorherrschend. Dieser Bereich wurde sehr stark modernisiert. Früher hatten die Leute hier alle Bauernhöfe. Als ich aufwuchs, gab es kaum Villen oder Strände wie heute - bis zum Ufer hinunter war alles mit Weizenfeldern bewachsen. Mittlerweile ist die Zahl der Bauernhöfe sehr stark zurückgegangen.

Die Landwirtschaft wurde mechanisiert und industrialisiert und auf größere Betriebe konzentriert. Die Schweinezucht ist in der Bretagne dominierend, mit allen Umweltproblemen, die die Massentierhaltung mit sich bringt. So ist die Trinkwasserverschmutzung durch die Nitrate aus den Schweine-Exkrementen ein großes Problem in der Bretagne.

Gibt es auch Industrie?

Ja, vor allem im Elektronik- und Informatikbereich, etwa die Herstellung von Mobiltelefonen. So produziert Alcatel in Lanion, Mitsubishi hat sich in Rennes auf die Fabrikation von Handys spezialisiert. Dort werden aber bereits wieder Leute entlassen, weil der Boom im Mobiltelefonbereich vorüber ist.

Daneben gibt es Betriebe, die Agrar- und Fischzuchtprodukte weiter verarbeiten, die Tiefkühlgemüse und -fisch herstellen, vom Fischstäbchen bis zum Räucherlachs. Diese Industrien exportieren nach Deutschland und nach Belgien. Die intensive Landwirtschaft zieht auch Fabriken nach sich, die Landmaschinen herstellen oder auch Viehfutter. Deshalb werden die Landwirtschaft und die Agrarindustrie auch stark subventioniert, denn sie schaffen zahlreiche Arbeitsplätze.

Arbeiten auch Immigranten oder ausländische Saisonarbeiter in diesem Bereich?

Nein, in der Bretagne weniger. Hier sind meistens heimische Arbeitskräfte beschäftigt, oft im Saisonwechsel. Es gibt eine Arbeitssaison in der Ernte, anschließend arbeiten die Leute in der Weiterverarbeitung in den Lebensmittelindustrien.

In Brest hat auch die Werftindustrie eine gewisse Bedeutung. Befindet sich dieser Sektor auch in einer Krise wie in Deutschland?

In Brest waren bis vor einigen Jahren der Schiffbau und die Schiffsreparatur von großer Bedeutung. In den siebziger Jahren hatte man eine große Reparaturwerft eröffnet. Doch die Gewerkschaften führten zahlreiche Streiks durch, um Lohnerhöhungen durchzusetzen. Die Reedergesellschaften wandten sich deswegen vom Standort Brest ab und ließen ihre Schiffe andernorts reparieren. Einige Werftgesellschaften gingen pleite.

Doch als der Sektor richtig niedergegangen war, kehrte eine Beruhigung ein. Ein großes Unternehmen, Meunier, kaufte die bankrott gegangenen Firmen auf, und es kam zu einem Aufschwung. Jetzt scheint der Sektor spannungsfrei zu funktionieren.

In Deutschland wurde die Krise der Werftindustrien zum großen Teil durch Staatsaufträge im militärischen Bereich aufgefangen oder durch Exporte in Länder wie etwa Indonesien.

Ja, das spielt auch hier eine Rolle. Brest ist ein wichtiger Standort der französischen Marine, auf der vorgelagerten Ile longue liegen die Atom-U-Boote der französischen Streitmacht. Der Flugzeugträger Charles de Gaulle ist hier gebaut worden. Das hat allerdings zwölf Jahre gedauert, was einen Skandal ausgelöst hat.

Auch das Exportgeschäft spielt eine wichtige Rolle. Es waren Ingenieure aus Brest sowie aus Cherbourg in der Normandie, die zum U-Boot-Bau nach Pakistan geschickt wurden. Zwölf von ihnen kamen dort bei dem Attentat im Mai dieses Jahres ums Leben. Hier gab es deswegen eine Trauerfeier. Es gab auch eine Demonstration der Gewerkschaften, die forderten, dass man keine Mitarbeiter in Länder schicken solle, in denen sie ihr Leben riskieren. Aber es gibt auch einen Anreiz, der viele Beschäftigte nachdenken lässt: Bei einem solchen Auftrag verdient man in der Regel gutes Geld.

In den siebziger Jahren gab es in der Bretagne eine Bewegung für die Autonomie oder die Unabhängigkeit von Frankreich. Was ist daraus geworden?

Das hat sich wieder beruhigt. Aber es gibt nach wie vor ein kulturelles Interesse, das sich vor allem auf die Sprache und die Geschichte der Region bezieht. Das Bretonische wird heute offiziell unterrichtet, man kann im Abitur eine Prüfung in Bretonisch als Fremdsprache wie Englisch oder Deutsch ablegen. Einige Extremisten würden gern weitergehen und eine politische Frage daraus machen.

Doch in den sechziger und siebziger Jahren war diese Bewegung viel stärker. Damals wurde in Rennes das Haus eines Polizisten, der sich auf Ermittlungen zur bretonischen Autonomiebewegung spezialisiert hatte, in die Luft gesprengt

- so, wie das in Korsika häufiger vorkommt. Es gab damals auch einen Anschlag auf die Sendestation des französischen Fernsehens und des Rundfunks in der Region.

Aber seitdem hat sich die Bretagne wirtschaftlich entwickelt. Früher war das Leben der Bewohner hier hart, die Region war unterentwickelt und arm. Inzwischen haben sich die Lebensbedingungen jedoch verbessert, die Landwirtschaft wurde industrialisiert und hat andere Industriezweige nach sich gezogen, der Tourismus hat sich entwickelt. Die Affinitäten zum Extremismus sind zugleich zurückgegangen.

Am 14. Juli ist der französische Nationalfeiertag. Was machen Sie an diesem Tag?

Oh, das ändert nicht viel an unserem Leben. Vielleicht sehen wir uns neben dem Essen im Fernsehen die Parade zum 14. Juli an.

Wenn man sieht, wie die letzten Wahlen abgelaufen sind, na ja. Die Leute gehen nicht mehr wählen. Man sollte eigentlich wählen, aber was ist, wenn das sowieso nichts ändert?