Das deutsche Zuwanderungsgesetz im europäischen Zusammenhang

Räume der Unfreiheit

Aus den Plänen der EU, die Situation von MigrantInnen zu verbessern, ist nichts geworden. Lieber setzen einzelne Länder ihre restriktiven Gesetze durch. Zum Beispiel Deutschland.

Es war ein Zufall, dass die beiden Ereignisse zeitlich zusammentrafen, aber politisch ergab es Sinn. Am selben Wochenende, an dem Bundespräsident Johannes Rau Ende Juni das deutsche Zuwanderungsgesetz unterzeichnete, beriet die Europäische Union in Sevilla über das Vorgehen bei der europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik.

Ursprünglich sollten unter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft die Grundzüge eines europäischen Einwanderungsgesetzes festgelegt werden. Auf dem Plan standen die Verbesserung der sozialen Rechte von Einwanderern und ihre weitgehende Gleichstellung mit EU-Bürgern. Stattdessen aber wurde in Sevilla über die Bekämpfung illegaler Einwanderung debattiert, die vermeintlich ganz Europa bedroht. Gleichzeitig etablieren die europäischen Einwanderungsländer neue, flexible Migrationsregimes für hoch qualifizierte Einwanderer, die man sich am liebsten gegenseitig abwerben würde.

Bereits im Amsterdamer Vertrag von 1998 vereinbarten die EU-Staaten die Vereinheitlichung der nationalen Einwanderungsregelungen bis 2004. Ab dann soll es im Wesentlichen nur noch europäische Regelungen und Mehrheitsentscheidungen des Europäischen Rates auf diesem Gebiet geben. Das noch gültige, oftmals blockierende Verfahren der Einstimmigkeit wäre Geschichte.

Beim ersten EU-Gipfel zum Thema Immigration 1999 im finnischen Tampere wurde der Weg dahin festgelegt. Man verständigte sich zwar auf eine »uneingeschränkte« Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention bei Asylverfahren. Aber statt eines »Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« für EU-Bürger und einer humanitären Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ging es vor allem um die europäische Polizeizusammenarbeit im Rahmen des »Schengener Informationssystems« und die Fingerabdruckdatei Eurodac. Die integrations- und sozialrechtlichen Aspekte der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik blieb den Innenministerien der einzelnen Länder überlassen.

Die Europäische Kommission legte zwischen Ende 1999 und April 2002 insgesamt sechs Richtlinienvorschläge zu einer gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik vor. Diese wurden aber durch das Einstimmigkeitsprinzip zu leeren Formeln degradiert. Es gibt keine klar definierten Rechte für Flüchtlinge, die nationalen Behörden entscheiden weiterhin nach eigenem Ermessen.

Länder wie Dänemark, die Niederlande und Deutschland nutzen diese Leerstellen, um noch vor der europäischen Einigung nationale Einwanderungsregelungen zu verabschieden. Diese sind alle nach dem gleichen Muster gestrickt. Die Rechte der Flüchtlinge werden beschnitten, während Einwanderung unter den Vorbehalt des Nutzens für die Aufnahmegesellschaft gestellt wird.

Sollte das deutsche Zuwanderungsgesetz am 1. Januar 2003 in Kraft treten, würde es die bisherigen Ausländergesetze ablösen, um sie modifiziert in einem Gesetz zusammenzufassen - als Aufenthalts-, Erwerbstätigkeits- und Integrationsgesetz für Ausländer und als Freizügigkeitsgesetz für EU-Bürger.

Dass der Zugewanderte sich integrieren oder gar »assimilieren« muss, wie Innenminister Otto Schily das ausdrückt, um wenigstens ein Einwanderer mit »Niederlassungserlaubnis« zu werden, kennzeichnet das neue Gesetz. Alles Wesentliche steht unter dem Vorbehalt weiterer Verordnungen, die je nach Bedarf der Politik und der Wirtschaft nach Gutdünken ausgestaltet werden können.

Für illegale Einwanderer und den Großteil derer, die sich ohne den Pass eines EU-Landes in Deutschland aufhalten, zeichnen sich deutliche Verschlechterungen ab. Von der Garantie substanzieller Grundrechte wie der Gesundheitsversorgung, der schulischen Bildung oder dem Zugang zu Gerichten ist im Gesetz keine Rede.

Dagegen werden die Rechte und die gesellschaftliche Position der »produktiven« und legal ansässigen Menschen aus Drittstaaten denjenigen der deutschen und der EU-Bürger angeglichen. Wer das dauerhafte Aufenthaltsrecht erwerben will, muss nun 60 monatliche Rentenversicherungsbeiträge oder eine gleichwertige private Absicherung, ausreichende schriftliche statt wie bisher mündliche Sprachkenntnisse, eine bestandene Staatsbürgerkundeprüfung, eine Wohnung, eine Arbeitserlaubnis, Straffreiheit und einen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen können. Eine befristete Aufenthaltserlaubnis ist mehr oder weniger jederzeit widerrufbar. Sie wird nur noch für einen bestimmten Zweck ausgestellt, etwa für eine Arbeit oder ein Studium.

Das Nachzugsalter für im Ausland lebende Kinder von Ausländern wurde von derzeit 16 auf zwölf Jahre gesenkt, Härtefälle sind ausgenommen. Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission hatte 18 Jahre vorgesehen. Aber Deutschland torpedierte ihn so lange, bis Ausnahmen entsprechend den deutschen Vorstellungen für alle Staaten möglich wurde - ein Musterbeispiel für die Verwässerung der Kommissionsvorschläge zuungunsten der Zuwanderer.

Bei der Arbeitsmigration soll eine Punkteregelung nach kanadischem Vorbild dafür sorgen, dass Zuwanderung nur in den Arbeitsmarkt erfolgt. Je besser gebildet und jünger eine Person ist, desto höher ist ihre Chance auf eine Aufenthaltsgenehmigung zum Zweck der Erwerbsarbeit. Ein Job darf aber nur an Dritte vermittelt werden, wenn kein Deutscher und kein EU-Bürger ihn haben will. Diese hierarchisierte Arbeitsmarktpolitik erhält mit dem neuen deutschen Zuwanderungsgesetz eine höhere Gewichtung als zuvor. Neue Rechtsansprüche für ArbeitsmigrantInnen gibt es nicht, selbst ausländische AbsolventInnen deutscher Hochschulen haben keinen Anspruch darauf, im Land zu bleiben.

Den wenigen Verbesserungen stehen enorme Verschlechterungen gegenüber. So akzeptiert Deutschland zwar endlich die aus der Genfer Flüchtlingskonvention resultierende Pflicht, auch geschlechtsspezifische oder nichtstaatliche Verfolgung als Fluchtgrund anzuerkennen, was in den meisten europäischen Staaten längst zum Standard gehört. Dafür fiel jedoch der Status der Duldung weg.

Etwa 200 000 Menschen, größtenteils Bürgerkriegsflüchtlinge, unterliegen damit zusätzlich einem Arbeitsverbot und den Restriktionen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Sie können verpflichtet werden, in »Ausreisezentren« zu leben. Viele müssen mit einer Ausweisung rechnen und ein Klage dagegen soll keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Gegen die Ausweisung kann nur noch aus dem Ausland vorgegangen werden - angesichts der Fluchtgründe vieler Flüchtlinge eine zynische Regelung.

Außer auf bisher geduldete wird das Asylbewerberleistungsgesetz mit seinen gekürzten Sozialleistungen auf weiter Gruppen wie bestimmte jüdische Flüchtlinge und Flüchtlinge, die unter die Altfallregelung fallen, ausgeweitet. Das Gesetz entzieht diesen Gruppen außerdem das Recht auf Kinder- und Erziehungsgeld.

Insgesamt beschränkt sich die »Einwanderung« auf zeitlich befristete Arbeitsaufenthalte, solange kein anderer Bedarf der Wirtschaft festgestellt wird. Bemerkenswert ist, dass gerade die Staaten Europas, die in den vergangenen Monaten am lautesten gegen illegale Einwanderer wetterten, gleichzeitig den Status eines weitgehend ebenso rechtlosen, temporären Arbeitsmigraten schaffen. Eine Art gesetzlichen Illegalen.

Nach Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien kommen jeweils mehrere hunderttausend ArbeiterInnen pro Jahr, die nur eine Aufenthaltsverlängerung bekommen, wenn sie keinerlei staatliche Unterstützung beziehen, sich nicht vom zugewiesenen Arbeits- und Wohnort wegbewegen und Sozialabgaben bezahlen. Einen Teil ihrer Ansprüche auf Krankenversorgung, Rente und Arbeitslosengeld verlieren sie, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückgehen.

Was ein gutes Geschäft für den deutschen Staat ist, verschärft in den Herkunftsländern langfristig die soziale Krise. In Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden ist es seit dem Jahr 2000 verboten, abgeschobenen Ausländern ihre Sozialbeiträge zu überweisen, in Belgien gilt dies selbst für Menschen, die einen einwandfreien Aufenthaltsstatus hatten, wenn keine anders lautenden Verträge mit dem Herkunftsstaat bestehen.

Dem will der Europäische Rat nun einen Riegel vorschieben, indem alle legal ansässigen Drittstaatenangehörigen in der Europäischen Union in die soziale Sicherung einbezogen und mit EU-Bürgern gleichgestellt werden. Man wird sehen, welche neuen Illegalen stattdessen erfunden werden.