Krise bei der Telekom

Und es war Sommer

Alle Einwände der Anarchisten, Staat und Revolution doch bitte nicht in einem Satz zu nennen und die ökonomische Grundlage einer befreiten Gesellschaft auf keinen Fall in einem deutschen Arbeits- und Ordnungssystem zu suchen, prallten an ihm ab: »Ein geistreicher deutscher Sozialdemokrat der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bezeichnete die Post als Muster sozialistischer Wirtschaft. Das ist durchaus richtig.« So schrieb es der Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin 1917 in »Staat und Revolution«.

Geschichte ist grausam. Kurz nachdem das »Muster sozialistischer Wirtschaft«, die Bundespost, vom deutschen Staat im Jahr 1989 fein säuberlich in drei Bereiche - in die Deutsche Post, die Postbank und die Telekom - aufgeteilt worden war, zerfiel die Kopie in unzählige Teile. Als ihr größter Part 1996 so gut wie zahlungsunfähig wurde, ging der ökonomisch bedeutendste Erbe des Vorbilds, die Telekom, an die Börse.

Dort war sie recht bald erfolgreich. Und zwar mit einer »Volksaktie«, und mit Ron Sommer an der Spitze, der nicht nur ein »Revolutionär« (Handelsblatt) war, sondern sogar ein »Anarchist« (Wirtschaftswoche).

Und doch fiel er, als die Kurse sanken und die Schulden nicht sinken wollten, »in Ungnade« (Süddeutsche Zeitung) - als Anarchist und Revolutionär war er in der Krise »nicht mehr everybody's darling« (Die Presse). Der »Tag der Volksaktie«, die Hauptversammlung der Deutschen Telekom Aktiengesellschaft, wurde zum »Tag der Vergeltung« (Die Zeit). Daran, meinten manche, sei die Politik schuld, denn sie sorge dafür, dass »Visionäre« (Berliner Zeitung) immer scheitern müssen. Dem folgenden Sturm musste der Sommer weichen.

Aber nicht alle Genossen ließen ihn im Stich, einige erklärten sich mit dem Vorsitzenden solidarisch. Da Revolutionäre aus ihren Niederlagen lernen, nannten sie sie nicht Solidaritätsadresse oder Resolution, sondern »Offenen Brief von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Telekom an die politisch Verantwortlichen«. Und sie schrieben nichts Verräterisches zum »Muster der sozialistischen Wirtschaft«, sondern begriffen, dass aus der »Kritik der Politischen Ökonomie« eine Kritik der Parteipolitik werden muss: »Die Deutsche Telekom ist offenbar mitten in die politischen Auseinandersetzungen des Wahlkampfes geraten und droht dadurch erheblichen Schaden zu erleiden.«

So begann am vorigen Freitag ein Text, der in vielen Tageszeitungen zu lesen war und über den die Verlage, die auch von der Krise betroffen sind, sich sehr gefreut haben dürften. Denn er unterschied sich von den vorangegangenen und den nachfolgenden redaktionellen Artikeln über die Telekom fast nur durch das Magenta, das sich überall findet, wo sich die Telekom präsentiert, und durch die vom Presserat vorgeschriebene Kennzeichnung »Anzeige«.

Inhaltlich waren sich die Verfasser sogar mit den Gescholtenen einig. Die Politik müsse sich aus den Belangen eines Unternehmens heraushalten, forderten die Angestellten des »führenden Telekommunikationsunternehmens der Welt« (Telekom über Telekom), das sich vor zwei Jahren bei der Übernahme des US-Konzerns Voicestream noch mit dem Kongress in Washington anlegen wollte.

Die unpolitischen Politiker der Opposition sahen das ähnlich, als sie in der vergangenen Woche im Bundesrat ein im Bundestag beschlossenes Gesetz scheitern ließen, das die monopolartige Stellung der Telekom in den Ortsnetzen beseitigt hätte. Und die Regierung, die im Aufsichtsrat der Firma zwei Vertreter stellt, die dem Bundeskanzler und dem Bundesfinanzminister direkt unterstehen, hält es streng mit dem unpolitischen Lenin: »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«

Revolutionär ist das alles nicht. Höchstens postpolitisch. Oder nicht mal mehr das.