Paramilitärs greifen Gewerkschafter an

Auf der Abschussliste

Zugunsten internationaler Konzerne terrorisieren kolumbianische Paramilitärs die Gewerkschaftsbewegung.

Die Zentrale des kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbandes (CUT) in Bogotá gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Wie auf dem Flugplatz muss man eine Schranke mit Metalldetektoren passieren, die mit einem Rolltor aus Stahl gesichert werden kann. Die Eingangstür zu den Büros ist ebenfalls aus massivem Metall, und durch ein kleines Fenster aus Panzerglas werden die Besucher kritisch gemustert.

Gründe, sich einzuigeln, haben Kolumbiens Gewerkschafter reichlich. »Seit der Gründung der CUT im November 1986 wurden 3 800 Mitglieder unserer Organisation ermordet«, sagt Jesús González Luna, der Leiter der Menschenrechtsabteilung. Der 53jährige hat vor 16 Jahren die größte der drei gewerkschaftlichen Dachorganisationen mitgegründet. Der aus Cali stammende Arbeiterführer hat zahlreiche Attentate überlebt und schläft in jeder Nacht in einer anderen Wohnung. Seine Familie wohnt seit zwei Jahren in London, als ein Sprengsatz vor seinem Haus in Cali explodierte, jedoch »nur« Sachschaden anrichtete. Seitdem lebt González Luna aus dem Koffer. Gewerkschaftskollegen und Leibwächter begleiten den Alltag des Mannes, der zum engsten Führungszirkel der CUT gehört.

Luna ist der Sprecher der Organisation. Auf seinem Schreibtisch landen alle Informationen über Angriffe, Attentate, Morddrohungen oder Komplotte gegen Gewerkschaftsmitglieder. Diese Informationen gibt er dann übersichtlich aufbereitet weiter an die Presse, an Menschenrechtsorganisationen und die Internationale Arbeitsorganisation (Ilo).

»Das ist der einzige Weg, um auf den Massenmord an den Gewerkschaftern in meinem Land aufmerksam zu machen«, sagt er. 88 Gewerkschaftsfunktionäre wurden in diesem Jahr bisher ermordet, und der systematische Terror hat unter der Regierung von Andrés Pastrana, die Anfang August abgelöst wird, in den letzten Jahren stetig zugenommen. 1999 waren 109 tote Gewerkschafter zu betrauern, im folgenden Jahr waren es bereits 128, und 2001 starben 192 bei Angriffen von Killerkommandos.

Verantwortlich für die generalstabsmäßig geplanten Morde sind die Paramilitärs, die Autodefensas Unidas de Colombia (AUC). Pamphlete und Morddrohungen der Paras tauchten selbst in den Spinden von gewerkschaftlich organisierten Arbeitern auf. Zuletzt in mehreren Abfüllanlagen des Coca Cola-Konzerns in Cartagena, Bucaramanga, Cúcuta, Barrancabermeja und Itagüí.

Indizien, aber auch Äußerungen von leitenden Coca Cola-Angestellten deuten darauf hin, dass die Paramilitärs im Auftrag handeln. Es gehe darum, die Gewerkschaften einzuschüchtern und sie aus den Betrieben hinauszudrängen, um Arbeiterrechte rückgängig zu machen, mutmaßt Luis Javier Correa, der Präsident der Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal. Sieben Mitglieder dieser Gewerkschaft sind bisher ermordet worden, und 120 Angriffe hat Sinaltrainal seit 1990 registriert.

Der kolumbianischen Justiz sind die relativ gut dokumentierten Fälle bekannt, doch passiert ist bisher nichts. Deshalb ist die Gewerkschaft mit dem brisanten Material an die Öffentlichkeit gegangen und hat, unterstützt von US-amerikanischen Gewerkschaften, Strafanzeige gegen den in Atlanta ansässigen Mutterkonzern gestellt.

Gleichzeitig entstand die Coca Cola-Kampagne, die am 22. Juli ein medienwirksames öffentliches Volkstribunal in Atlanta durchführte. Weitere Tribunale sind am 10. Oktober in Brüssel und am 5. Dezember in Bogotá geplant. Es sind wichtige Aktionen, um auf die Situation der Arbeitervertreter in Kolumbien aufmerksam zu machen, zumal es auch in anderen Wirtschaftszweigen Indizien für die blutige Kooperation zwischen Paramilitärs und internationalen Investoren gibt, so González Luna.

Gegen die Drummond Co., einen US-amerikanischen Bergbaukonzern aus Alabama, läuft ebenfalls eine Strafanzeige in den USA wegen der systematischen Einschüchterung von organisierten Arbeitern durch die Paramilitärs. Auch Exxon, ebenfalls im Kohlebergbau in Kolumbien aktiv, wird von der CUT verdächtigt, Paramilitärs angeheuert zu haben.

Die Konzerne haben bisher alle Anschuldigungen dementiert, doch der Imageschaden ist erheblich und könnte ungeahnte Ausmaße erreichen, wenn stichhaltige Beweise auftauchen. Zeugenaussagen, Morddrohungen mit detaillierten Personalangaben gibt es, die in den USA vielleicht mehr wert sein könnten als in Kolumbien, hoffen die Gewerkschaftsfunktionäre.

»In Kolumbien herrscht de facto Straflosigkeit. Fast 100 Prozent der Menschenrechtsverletzungen werden hier nicht bestraft«, sagt González Luna. An ein Gerichtsurteil zugunsten der Gewerkschaften kann er sich kaum erinnern, denn regelmäßig verschwanden in derartigen Prozessen Beweise wie Zeugen. Richter und Staatsanwälte werden bedroht, und sie erhalten weder den politischen Rückhalt noch die nötigen Mittel, urteilt der Mann, der ganz oben auf den Todeslisten der Paramilitärs steht.

Mit der Straflosigkeit geht auch das langsame Sterben der Gewerkschaften einher. Über eine Million Mitglieder hatte die CUT 1986 bei ihrer Gründung. Jetzt sind es noch 670 000. Im ganzen Land sind nur sechs Prozent der Arbeiter gewerkschaftlich organisiert, Mitte der siebziger Jahre waren es immerhin 17 Prozent.

Kolumbiens Gewerkschaften seien vom Aussterben bedroht, urteilt denn auch der sozialdemokratische Internationale Bund freier Gewerkschaften (BFG). Diese Ansicht teilt González Luna zwar nicht, aber dass der Terror viele Arbeiter davon abhält, sich zu organisieren, gibt er schulterzuckend zu.

Vom Staat hat die CUT ohnehin keinen Schutz zu erwarten. Eine ganze Reihe von Gewerkschaftsfunktionären wurde in den letzten Jahren wegen Rebellion und Terrorismus angeklagt, weil sie gegen die Veräußerung der nationalen Erdölindustrie protestiert hatten. Für González Luba ist das eine legitime gewerkschaftliche Aufgabe, die nicht von den staatlichen Behörden kriminalisiert werden darf. Doch in Kolumbien hat die Repression genauso Tradition wie die Verbindungen zwischen dem staatlichen Apparat, vor allem der Armee und der Polizei, und den Paramilitärs.