Fünf Jahre "Jungle World"

Es war ein Bruch

Die Jungle World ist die erste linke Zeitung, die es nicht für links hält, die Fehler der Linken unentwegt zu wiederholen.

Bis zur letzten Intifada habe ich noch täglich Radio gehört. Ich konnte es nicht länger, als eben der Gossenantiimperialismus aus den seriösen Deutschlandsendern quoll, der mir vorher nur aus einschlägigen Zirkularen bekannt war. Ich gewann den Eindruck, dass die Verlautbarungen der israelischen Regierung stets im Irrealis, die der PLO aber im Indikativ gemeldet wurden. Um mich nicht völlig umzingelt zu fühlen, lege ich mir seither lieber Platten auf.

Nach dem 11. September schienen sich auch die bürgerlichen Zeitungen der Antiglobalisierungs- und Friedensbewegung angeschlossen zu haben. Die FAZ brachte Arundhati Roy groß heraus, die Zeit verklärte Mohammed Atta zum Märtyrer, in der Süddeutschen ridikülisierte Willi Winkler die Opfer des Anschlags.

Natürlich wählen diese Blätter aus den Ideen der Linken, die nicht unbedingt linke Ideen sind, immer nur die dumpfen, den Hass auf die Moderne, Amerika und die Juden, den Machismo, das Völkische, den Nationalismus. Was aber das betrifft, ist die Linke ein Springquell des Schmutzes; erinnern wir uns daran, dass Mahler, Oberlercher, Rabehl, Röhl, Walser, Zehm von links außen kommen, dass Möllemann seine Feier des europäischen Faschismus im Neuen Deutschland abhielt. Alles Schlechte kommt von links und sammelt sich rechts.

Dass, wer links denken will, gegen die Linke denken muss, haben, soweit ich sehe, allein die Redakteure der Jungle World verstanden, und genau das macht diese Zeitung so wichtig. Die Erkenntnis ist ihnen nicht zugefallen, Dietmar Koschmieder und seine Freunde haben sie ihnen eingeprügelt. Das war notwendig, um gegen jede Kollaboration mit Antisemiten, Autoritären und Arschlöchern gefeit zu sein. Andere kritisieren heute einen antizionistischen Leitkommentator und zitieren ihn morgen als Jugoslawien-Experten.

Ihre Entsolidarisierung von einer unschönen Tradition und einer ranzigen Folklore, ihre Intellektualität und ihre Hemdsärmeligkeit haben der Jungle World eine Menge Feinde eingebracht. Sie leistet sich den Luxus, von den Opportunisten und den Orthodoxen gleichermaßen verachtet zu werden. Sie vertritt eine Position, mit der kein Staat und keine Volksbewegung zu machen ist. Und eine Volksbewegung wären die deutschen Linken ja immer gern gewesen, mit Schulung und Marschkapelle, ein gigantischer Solibasar. Weil sie zur Kritik unfähig sind, wollen sie wenigstens einig sein.

Und um einig zu sein, ist ihnen auch der faule Frieden recht. Er ist zuallererst der Frieden mit der deutschen Ideologie; daher die frappierende Ähnlichkeit der meisten Kommunisten mit dem Spießer von nebenan. Was aber den Bellizismus der Jungle World betrifft, so erschöpft er sich darin, dass ihr das Schicksal von Mädchen in Afghanistan, Kurden im Nordirak und Juden in Israel wichtiger ist als irgendeine Ölpipeline.

Die Jungle World sieht gut aus, das ist vielleicht ihre stärkste politische Aussage. Denn Schönheit ist Oberfläche und schöne Oberfläche ein Affront gegen die deutsche Innerlichkeit. Das Urbane hat die Zeitung übrigens nicht von Berlin, sondern von Behnken; ich wünschte, ihr Text wäre von ebensolcher Güte.

Aber, was will ich mehr, jede Woche lese ich einen oder zwei Artikel in der Jungle World, und das kann ich von keiner anderen linken oder linksliberalen Zeitung sagen. Von den meisten dieser Blätter lässt sich nicht einmal vorstellen, sie könnten besser sein, Zähflüssigkeit scheint ihnen Ausweis von Klugheit, Vulgarität von Ernst, Ressentiment von Analyse. In ihren besten Nummern besitzt die Jungle World den revolutionären Überschwang, nach dem es die verlangt, die etwas anders machen und denken wollen. So viel zu meinen Gründen, die Jungle World zu lesen.

Mein Grund, für die Jungle World zu schreiben, ist ein ganz und gar egoistischer: Ich habe einmal, aus unverzeihlicher Naivität, dabei mitgeholfen, eine Tageszeitung wiederaufzubauen, die sich später zur widerlichsten Deutschlands entwickelte. Wenn ich aber eines Tages meinen Computer ausstöpsele, möchte ich wenigstens auf eine halbwegs gute Sache zurückschauen können, deren Teil ich war.