Geplanter Abriss des »Sechzger«-Stadions

Krieg den Sportpalästen

Die Stadt München will das Fußballstadion des TSV 1860 an der Grünwalder Straße in Giesing abreißen

Historiker kennen Giesing als Keimzelle der Räterepublik. Biertrinker verdanken dem Münchner Arbeiterviertel den »Russen«, denn hier erfanden die Revolutionäre 1918 den Weißbier-Brause-Mix. Fußballliebhaber wiederum verbinden das Quartier am Isarhochufer mit dem TSV 1860. Der Verein baute 1911 das Stadion an der Grünwalder Straße. Die Arena, meist »Sechzger« oder »Giesings Höhen« genannt, soll nach dem Willen der in München regierenden SPD abgerissen werden. Damit würde auch ein Denkmal der Sportgeschichte verschwinden, an das sich zahlreiche Erinnerungen knüpfen, etwa an die legendäre Stehhalle auf der Gegengerade, die einmal 25 000 Zuschauer fasste, oder an die Deutsche Meisterschaft der Löwen im Jahr 1966. Doch eine Bürgerinitiative leistet erbitterten Widerstand.

Nachdem sich die Münchner in einem Bürgerentscheid für den Bau eines neuen Großstadions für die WM 2006 in Fröttmaning ausgesprochen haben, plädiert die sportpolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion, Brigitte Meier, nun für den Abriss des »Sechzgers«, das seit 1937 der Stadt gehört: »Wir wollen das Quartier umgestalten, darin stimmen wir mit CSU und Grünen überein. Der Standort des Stadions ist die hässlichste Ecke in Giesing. Ein Abriss, mehr Wohnungen und die Ansiedelung von Gewerbe würden das Viertel aufwerten.«

Aufgewertet würden wohl auch die Grundstückspreise. »Das Gelände mit drei angrenzenden U-Bahn-Stationen ist ein Filetstück für jeden Immobilienhai«, kritisiert Tino Krense von der Wählergruppe »Sechzger-Stadion« die Pläne. »Egal, ob man ein Einkaufszentrum oder Wohnungen errichtet, der Mietspiegel in der Umgebung steigt auf jeden Fall.« Der Bürgerinitiative geht es freilich nicht nur um bezahlbaren Wohnraum. »Das Stadion ist das Wahrzeichen Giesings.«

Die Mitglieder der Wählergruppe sind alle Anhänger des TSV 1860. Und wie die meisten Fans des Traditionsklubs konnten sie es nur schwer verwinden, als die Löwen 1995 von der Grünwalder Straße ins Olympiastadion wechselten. Dort, so argumentierte der Vereinsvorsitzende Karl-Heinz Wildmoser, hätten es die Reporter bequemer, die Einnahmen würden steigen, auch die VIPs könne man besser unterbringen.

In den Augen der Fans war der Umzug schlicht obszön. Nicht nur weil man sich jetzt ein Stadion mit dem FC Bayern teilt, sondern auch weil 1860 noch immer ein Stadtteilverein ist. Ähnlich wie bei St. Pauli rekrutiert sich ein Großteil der Anhängerschaft aus der näheren Umgebung des Stadions.. »In einer Giesinger Kneipe werden Sie nur selten Bayern-Fans finden«, sagt Krense. »Traditionelle Gaststätten gibt es hier allerdings immer weniger, denn das fehlende Geschäft an Spieltagen hat vielen Wirten den Hahn abgedreht.«

Die Löwen haben im Olympiastadion ihr Image als Kultklub eingebüßt. Und zahlreiche Fans gleich mit, die Zuschauerzahlen sind rückläufig. So wurden bei einem DFB-Pokal-Spiel gegen Bochum im vergangenen Jahr nur 3 500 Besucher gezählt. Früher, selbst zu Bayernliga-Zeiten, strömten zu Spielen gegen Schweinfurt oder Fürth manchmal 30 000 Fans ins »Sechzger«. Und als viele von ihnen gegen den Umzug protestierten, reagierte die Klubführung mit Stadionverboten und Ausschlussverfahren wegen »vereinsschädigenden Verhaltens«. Im Fanblock machte sich Lethargie breit, Wildmoser, so schien es, hatte sich durchgesetzt.

Gegen Ende des Jahres 2000 entbrannte dann abermals eine Stadiondebatte, ausgelöst von Franz Beckenbauer. Er forderte für seine Bayern eine reine Fußballarena, in der »Kommunistenschüssel« komme keine rechte Atmosphäre auf. München stritt über den Umbau des »Oly« oder den Neubau eines »Kaiserpalasts«. Ein Weckruf für viele Löwenfans, die Beckenbauers Argumente gegen das Olympiastadion aufgriffen und ihrerseits eine Rückkehr ins »Sechzger« forderten. Als dann der ehemalige Profi Manfred Schwabl Anfang des Jahres 2001 gemeinsam mit Investoren ein Konzept für den Umbau des »Sechzgers« präsentierte, keimte Hoffnung auf. Doch die Stadt und Wildmoser ließen Schwabl auflaufen und schanzten sich gegenseitig die Verantwortung dafür zu. Für Frank Schröder, den Vorsitzenden der Wählergruppe, ist Schwabls Plan »nicht aus sachlichen Gründen gescheitert, sondern weil der politische Wille fehlte«.

Die Vereinsführung des TSV 1860 ist indes gegen den völligen Abriss des Stadions. »Wir brauchen das Sechzger für die Spiele unserer Jugend- und Amateurmannschaften«, sagt die Pressesprecherin Claudia Leupold. Eine Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative sei aber »kein Thema«. Und so baut Wildmoser zum Entsetzen der Fans gemeinsam mit den Bayern an der Allianz-Arena in Fröttmaning. Die Belastung ist erheblich. 280 Millionen Euro sollen die Baukosten betragen, die Hälfte muss der TSV zahlen. »Ich bezweifle, dass 1860 das packt«, sagt Krense. »Die Kirch-Krise macht jede langfristige Finanzplanung unmöglich. Und bei welchem Bauprojekt dieser Größe ist es je bei den veranschlagten Kosten geblieben?«

Die Bürgerinitiative rechnet damit, dass sich die Löwen am Bau des Kaiserpalasts verheben. »1860 wird über kurz oder lang aus Fröttmaning aussteigen. Und die Stadt will mit einem Abriss des Sechzger-Stadions Wildmoser oder einem potenziellen Nachfolger die Möglichkeit nehmen, sich dann zwischen Giesing und Olympiastadion zu entscheiden.« Für die Politik eine ideale Lösung, hätte sie doch einen Mieter für das teure Baudenkmal im Olympiapark zurückgewonnen und Giesings Höhen zu Geld gemacht.

Schröder fürchtet, »dass die Stadt das Sechzger in einer politischen Nacht-und-Nebel-Aktion schleift. Aber wir sind wach.« Seit kurzem sammelt die Wählergruppe Unterschriften für einen Bürgerentscheid über die Zukunft des Stadions. Knapp 30 000 Autogramme sind notwendig, um die Stadt zu zwingen, und beim UI-Cup-Spiel gegen Bate Borisov am 7. Juli kamen bereits einige Tausend zusammen. Das Spiel fand im »Sechzger« statt, denn wegen der kommenden Leichtathletik-Europameisterschaften war das Olympiastadion gesperrt.

Die Fans genossen die vorübergehende Heimkehr und bevölkerten die Straßen rund ums Stadion bereits frühmorgens. Die Anwohner bespannten ihre Dächer mit Transparenten: »Finger weg vom Sechzger!« Statt der erwarteten 8 000 kamen rund 16 000 Zuschauer, nur einer blieb fern: Karl-Heinz Wildmoser. Im Vorjahr sah sich der Vereinsvorsitzende während eines Amateurspiels in Giesing Fanprotesten ausgesetzt, und die hätten »tiefe psychische Wunden« geschlagen. Auch die Mannschaft ließ sich nicht von der Begeisterung anstecken, sie verlor 0:1 und schied nach einem 0:4 im Rückspiel aus.

Dass dieses das letzte große Spiel auf Giesings Höhen gewesen ist, glaubt Schröder nicht: »Die Bürger sind alarmiert. Wir konnten ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es falsch ist, städtisches Gemeingut zu verschachern, um Büropaläste für zugezogene Yuppies zu bauen. Stadtteile definieren sich eben auch durch Leute, die dort seit Generationen leben.«