Fünf Jahre "Jungle World"

Links lesen, nicht alleine sein

Willkommen in der Bewegung des Misstrauens, da geht's lang, immer abwärts. Zum fünften Geburtstag der Jungle World.

Man kann nicht lange alleine sein. Nicht ohne borniert zu werden, muffig zu werden, verrückt zu werden, jemand zu werden, der man nie werden wollte. Man braucht jemanden. Also sucht man sich jemanden. Am besten, er weiß gar nicht, dass man ihn braucht. Jemanden zu brauchen ist peinlich genug. Also die Jungle World.

Seit ungefähr 15 Jahren, so genau kann man sich da nicht festlegen, ist »ein Linker sein« eine erniedrigend einsame Angelegenheit. Die paar Hanseln, die es da noch gibt. Man muss sich da gar nichts vormachen. Wird nichts mehr, nicht in diesem Leben. 400 000 More Years, hat Greil Marcus einmal über eine seiner Kolumnen aus der Reagan-Zeit geschrieben und, wie meistens, Recht behalten. Außer Rechthaberei gibt es keinen einzigen Grund mehr, ein Linker zu sein.

Nicht dass man nicht Recht hätte, aber man hat nichts davon. Die paar Hanseln, die man da noch kennt, sind einem meistens ja auch gleich wieder verdächtig. Man muss mit denen ja meistens nur fünf Sätze über den Nahen Osten reden. Nicht dass man mit irgendjemandem noch über den Nahen Osten reden wollte, man weiß ja, was dann kommt, und schon wieder ist es einer weniger, mit dem man etwas zu tun haben will.

Es nützt einem aber auch nichts, nicht über den Nahen Osten reden zu wollen, sie tun es dann ja doch, und das war's dann. Das Problem ist, dass man auch dafür, immer nur »das war's dann« zu sagen, viel zu mürbe ist. Man hat zwar immer Recht damit, aber es nützt einem nichts. Linker sein, weiß man, bedeutet nur noch: immer wieder von vorne anfangen müssen, immer wieder sagen, zum Beispiel, dass Selbstmordattentäter keine Revolutionäre sind.

Warum, bitte schön, sollte man sich eigentlich als volljähriger Mensch dauernd so erniedrigen, immer nur über die allerbanalsten Selbstverständlichkeiten zu reden?

Hin und wieder versuche ich, mir die Leute vorzustellen, die die Jungle World machen. Sicher, man sollte das nicht tun und es geht mich ja auch gar nichts an, aber es lässt sich ja nicht vermeiden, dass man sich hin und wieder andere Menschen vorstellt, man will ja nicht alleine sein. So wie ich mir die Menschen in der Jungle World vorstelle, sind das Menschen, die eigentlich nur herumsitzen und jede Woche aufschreiben, wie erniedrigend alles ist, wie alles immer nur so weitergeht und dabei immer schlimmer wird, eine einzige Abwärtsspirale, geht ja nicht anders, man weiß es ja selbst.

Manchmal, stelle ich mir vor, wird einer von denen die Hand heben und sagen: Ich habe genug, ich kann nicht mehr, ich will jetzt endlich einmal einen Satz hinschreiben, der wenigstens so tut, als gäbe es auch Aufwärtsspiralen, und dann wird er vielleicht Multitude sagen oder Antirassistisches Camp oder irgendetwas in dieser Art, geht ja nicht anders, immer nur Abwärtsspiralen hält ja keiner durch.

Aber dann, so stelle ich es mir jedenfalls vor, gucken die anderen ihn an und schütteln kaum merklich den Kopf, und dann geht es wieder, und die Disko-Seite für die kommende Woche ist im Kasten. So ungefähr muss es dort zugehen, stelle ich mir vor, schrecklich, aber beim Lesen wünsche ich mir oft, dort bei ihnen zu sitzen, und wir würden unmerklich den Kopf schütteln, viel mehr geht ja die nächsten 400 000 Jahre vermutlich nicht.

Sicher, sie haben diesen großartigen Cartoonisten und den letzten linken Studenten und manchmal gute Sportgeschichten und das Feuilleton, Aliya-CDs und den Frank-Schulz-Roman, und den Mann, der das Layout macht und diese Titelbilder, rockt jede Woche, kann man nicht anders sagen, na also.

Dennoch ist es eine merkwürdige Sache, dass es Leute gibt, die eine Zeitschrift wie die Jungle World machen. Lauter Leute, die Recht haben, mehr oder minder, aber ganz genau wissen, dass niemand etwas davon hat, dass es darum nicht geht, dass die Deutsche Chronik immer so weitergehen wird, hier ein Immigrant erschlagen, dort ein Asylbewerberheim abgefackelt, jede Woche dasselbe, egal, ob das einer aufschreibt oder nicht aufschreibt. Und keiner von denen hat sich je vergessen und gesagt, dass es besser wird, millimeterweise, aber immerhin. Sonst vergessen sich die Leute ja andauernd.

Noch merkwürdiger ist aber, dass man sich gleich weniger alleine fühlt, wenn man die Jungle World liest. Man sollte darüber nicht sprechen, es ist kindisch und peinlich, darüber zu sprechen, es geht ja nicht um einen selbst. Das ist ja das Allerbeste an der Jungle World, dass es sich endlich einmal um eine Zeitung handelt, die noch nicht einmal so tut, als würde sie mit einem sprechen wollen, die Jungle World spricht immer an einem vorbei, sehr angenehm ist das.

Dennoch fühlt man sich jeden Mittwochmorgen, ich jedenfalls, gleich nicht mehr so alleine, merkwürdig, dass einen das weniger muffig, weniger verrückt, weniger borniert macht: dieses Wissen, das da irgendwo auch so ein Zimmer ist, wo lauter Leute sitzen, die alle auch alleine sind und gar nicht erst so tun, als wären sie es nicht.

Keine Ahnung, warum es einem so erbärmlich wichtig ist, dass andere so ähnliche Gedanken haben wie man selbst. Dieses Wiedererkennen, diese Erleichterung. Als ob man dann mehr Sicherheit hätte beim Denken. Als ob das Denken davon richtiger würde. Immer dieses Bedürfnis. Mehr als einer sein. Teil einer Bewegung sein. Die gar nicht wissen will, dass sie eine Bewegung ist. Eine Bruderschaft mit aparten Regeln. Hochmütig.

Lauter Einzelne, natürlich sprechen wir uns nicht an, und natürlich können wir uns gegenseitig nicht leiden. Eine Bruderschaft, deren Mitglieder einander nicht über den Weg trauen, nicht miteinander sprechen. Nur grüßen, zwischen den Zähnen gezischt. Wie Lichthupen. Als ob einer allein nicht genügte. Da sind noch ein paar andere, die dasselbe denken. So falsch kann es also nicht sein, was man denkt. Und dabei weiß man genau, dass es nicht drauf ankommt, ob es falsch ist oder richtig, was man denkt. Man bekommt ja keine A- und B-Noten dafür. Niemand da, der sie verteilt. Nur man selbst. Armselig, das.

Aber es ist so: Wie es einen sofort beruhigt, wenn man irgendwo etwas liest, das so ähnlich ist, wie man ist. Als ob man Teil einer Gedankenarmee wäre, die Kriege gegen eine andere Gedankenarmee führt, die gar nichts davon mitbekommt. Dabei sitzt man immer nur vor Papier, vor Computern, in Redaktionen. Und beschäftigt sich damit, der Welt lauter Leserbriefe zu schreiben, die man dann in der Hälfte selbst nicht mehr leiden kann und am liebsten nicht abschicken würde. Weil sie ohnehin nirgendwo ankämen. Und dann schickt man sie dennoch ab. Es fällt einem ja doch nichts Besseres ein.

Peter Praschl ist Redakteur der Zeitschrift Amica. http://arrog.antville.org/