Kriegsverbrechertribunal in Den Haag: Slobodan Milosevic entlastet

Dank an die Anklage

Die Chancen auf eine Verurteilung Slobodan Milosevics wegen seiner mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Kosovo sind geschwunden. Daran ist vor allem Carla del Ponte schuld.

Das Comeback für den Häftling ist nahe. Gerade noch im Untersuchungsgefängnis von Scheveningen, könnte dem ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic bald wieder der Weg zurück in die Politik offen stehen. Noch in dieser Woche will das Präsidium der Sozialistischen Partei Serbiens entscheiden, ob sie ihn im September als Kandidat für die serbische Präsidentschaft aufstellt.

Denn der Ausgang seines Prozesses vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist plötzlich wieder ungewiss. Die Aussage des ehemaligen serbischen Geheimdienstchefs Radomir Markovic Ende Juli war ein Debakel für die Anklage, die den Zeugen vorgeladen hatte. Milosevic hätschelte Markovic, als ginge es um die nostalgische Aufarbeitung einer ehrenvollen Ära. »Rade«, begann er ganz sanft, »habe ich jemals ethnische Säuberungen befohlen?« Dienstbeflissen antwortete Markovic: »Nein, Herr Präsident, niemals.«

Während des Plauderstündchens der beiden ehemaligen hochrangigen Offiziellen sah Geoffrey Nice, der wieder einmal seine Chefin Carla del Ponte vertreten musste, nur noch den Ausweg, den Vorsitzenden Richter Richard May wiederholt zu bitten, »es« zu beenden. Dabei war Markovic nach Den Haag befördert worden, um den ehemaligen Präsidenten zu belasten.

Normalerweise sitzt Markovic ebenfalls im Gefängnis, allerdings in Belgrad. Ihm wird vorgeworfen, für den Mord an vier Oppositionellen und den Mordversuch am serbischen Politiker Vuk Draskovic verantwortlich zu sein. Insofern ist es nicht klar, welche Motive er hatte, die Anklage vor den Kopf zu stoßen und Milosevic zu entlasten. Wie wichtig die Aussage von Markovic für die Anklage ist, erläuterte Christopher Black, kanadischer Anwalt und Leiter des Verteidigerkomitees, in der vergangenen Woche der Jungle World: »Weil Markovic ein Zeuge der Anklage war, wird seine Aussage auch Bestandteil der Beweisführung der Anklage. Und Milosevic kann darauf pochen, dass sogar in den Beweisen der Anklage Entlastendes enthalten ist.«

Daran mangelte es tatsächlich nicht in seinen Aussagen. Er behauptete, alle Befehle vom damaligen serbischen Innenminister Vlajko Stojilkovic erhalten zu haben und nur der habe Milosevic über die Vorgänge im Kosovo informiert. Hier reißt die von der Anklage mühsam konstruierte Befehlskette, die von Milosevic direkt zu den mutmaßlich verbrecherischen serbischen Sicherheitskräften im Kosovo geführt haben soll, jäh ab. Stojilkovic erschoss sich Anfang April auf den Stufen des Belgrader Parlaments, als die serbische Regierung die nötigen gesetzlichen Voraussetzungen für seine Auslieferung nach Den Haag beschlossen hatte. Das »Missing Link« ist also tot.

Noch dazu werden durch Markovics Aussagen die Erklärungen des serbischen Polizeioffiziers Dragan Karleusa in Zweifel gezogen. Er ist mit der Untersuchung des Kühlwagens befasst, der im letzten Jahr in der Donau bei Belgrad gefunden wurde und in dem sich die Leichen von insgesamt 86 Kosovo-Albanern befanden. Karleusa behauptete, dass Markovic ihm von dem Befehl Milosevics erzählt habe, die Leichen verschwinden zu lassen. Diese Aussage bestätigte Markovic nicht, er erklärte stattdessen, es habe sich um ein »Missverständnis« gehandelt.

Auch der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping könnte in den nächsten Wochen mit seiner Vergangenheit konfrontiert werden, und daran wäre ebenfalls Markovic schuld. Von einem »Hufeisenplan«, also Scharpings Enthüllung einer systematischen Vertreibungskampagne, hat Markovic »noch nie gehört«. Der so genannte Hufeisenplan ist aber ein wesentlicher Bestandteil der Anklage, weil er der einzige Hinweis auf eine systematische Säuberungsaktion im Kosovo ist. Sollte er sich nun als Hirngespinst erweisen, fällt auch dieser Teil der Anklage.

Inzwischen möchte das Ratgeberteam Milosevics sogar Scharpings derzeit leeren Terminkalender füllen und ihm zu einer Aussage vor dem Tribunal verhelfen. Dass sich die Anklage auf seine Glaubwürdigkeit verlassen hat, könnte ihr letztlich mehr schaden als nützen. Hilfreich für Milosevic war auch Markovics Hinweis, dass der damalige Präsident seine Sicherheitskräfte auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Massakern aufmerksam gemacht haben soll. »Es gab während des Krieges rund 200 Anklagen gegen Polizeioffiziere, die Verbrechen begangen haben sollen und meines Wissens nach dürfte das bei der Armee in etwa auch so gewesen sein«, erklärte er.

Was für ein Zufall. Deckt sich diese Aussage doch mit den Beteuerungen von hohen jugoslawischen Armeeoffizieren, dass die Staatsführung Verfahren gegen rund 200 Armeeangehörige angestrengt habe, die im Verdacht standen, kosovo-albanische Zivilisten gequält oder getötet zu haben.

Doch Markovic entlastete nicht nur den Angeklagten, sondern seine Aussage enthielt auch Vorwürfe gegen das Tribunal. So soll ihm von serbischen Behörden, sogar vom Innenminister Dusan Mihajlovic, ein Deal angeboten worden sein. Wenn er in Den Haag gegen Milosevic aussagen würde, könnte er mit einem Straferlass wegen der vier Mordfälle rechnen.

Ein direktes Interesse daran kann den serbischen Behörden nicht nachgesagt werden, wohl aber der Anklage in Den Haag. »Wir überprüfen diese Vorwürfe derzeit und wissen wirklich nicht, ob sie stimmen. Aber wenn es tatsächlich so gewesen ist, dann wusste das Haager Tribunal zumindest von dieser Vorgehensweise der serbischen Kollegen«, meint Black.

Wirklich entscheidend ist das im Grunde nicht mehr, denn die Anklage muss mit schwereren Problemen fertig werden. Sie hat keine Zeit, keine Zeugen und keine Beweise. Das Gericht entschied nämlich, dass die Beweisführung, soweit sie das Kosovo behandelt, bis zum 13. September abgeschlossen sein muss, und die Anklagevertretung soll bis zum Mai die gesamte Anklage terminieren. Wenn man die einmonatige Sommerpause abzieht, bleiben del Ponte und ihren Leuten noch etwas mehr als zwei Wochen, um ein paar Zeugen aus der Umgebung Milosevics aufzutun und das Beweisverfahren abzuschließen.

Einen echten Insider, der Milosevic lange zugearbeitet hat und ihn nun belastet, konnte die Schweizerin noch nicht präsentieren. Alle belastenden Aussagen kamen von Gegnern Milosevics, also von ehemaligen OSZE-Mitarbeitern, westlichen Politikern oder vom kosovo-albanischen Establishment. Einblick in den politischen Alltag in Belgrad hatten sie alle nicht.

Del Ponte versucht nun, wenigstens eindeutige Beweise für Milosevics Schuld an den Verbrechen während des Krieges in Bosnien zu sammeln. Deshalb zitierte sie Zoran Lilic, den Vorgänger Milosevics als jugoslawischer Präsident, vor Gericht. Eigentlich sollte er noch vor der Sommerpause aussagen. Seine Vorladung verursachte aber Schwierigkeiten. Weil er von der Belgrader Regierung nicht genügend Zusicherungen erhielt, die ihn von seinem Status als ehemaliger Geheimnisträger entbinden, weigerte er sich, auf der Zeugenbank Platz zu nehmen. Lilic verlangt zudem schriftliche Garantien von Präsident Vojislav Kostunica und vom Obersten Gerichtshof in Belgrad, dass er nicht belangt werden kann. Gerade Kostunica könnte ihm das verweigern, zumal da er del Ponte und dem Tribunal ohnehin nicht allzu sehr zugetan ist.

Die Stimmung in del Pontes Umgebung hat sich jedenfalls merklich verschlechtert. »Sie schreit mit ihrem Personal herum, und ihr Team wendet sich langsam gegen sie«, erklärte eine Anwältin, die nicht will, dass ihr Name genannt wird und die neben Nice in einigen Gremien sitzt.

Vielleicht haben die Wutausbrüche bald ohnehin ein Ende, denn nach Jungle World vorliegenden Informationen denkt del Ponte an eine neue berufliche Herausforderung als Chefanklägerin des ebenfalls in Den Haag ansässigen Internationalen Strafgerichtshofes (ICC). »Davon habe ich auch schon gehört«, sagt Claudia Perdomo, die Sprecherin des ICC. Auch Philippe Kirsch, der für die Etablierung des ICC zuständig ist, weiß von der Aufbruchstimmung in Den Haag: »Einige Richter des Tribunals haben Interesse an einem Job am ICC.« Am Tribunal selbst weist man solche Spekulationen naturgemäß weit von sich: »Carla del Ponte wird auf jeden Fall den Milosevic-Prozess beenden«, sagt Florence Hartman, die Sprecherin del Pontes.