Rücktritte wegen Bonusmeilen

Keine Angst vorm Fliegen

Kaum jemand glaubt Gregor Gysi, dass er wegen der Bonusmeilen zurückgetreten ist. Für die PDS will er sich weiter engagieren.
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Korrupte Politiker«, »Diätenfresser«, »Polit-Bonzen« - so agitierte die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) 1998 im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt gegen das Establishment. Sie erreichte aus dem Stegreif fast 13 Prozent der Stimmen. Auch andere rechtspopulistische Parteien sind mit dem Image der Saubermänner, die jetzt endlich mal den verfilzten Saustall ausmisten, erfolgreich. Anders gesagt: Der rechtschaffene kleine Mann wendet sich gegen die korrupten Bonzen da oben.

Kein Wunder also, dass sich in der Bonusmeilen-Affäre auch der Hamburger Rechtspopulist Ronald Schill zu Wort meldete und konstatierte, dass »der Filz« durch alle etablierten Parteien gehe und es daher Zeit sei »für eine neue politische Kraft«. Aber auch die kommunistische Linke bedient sich immer wieder gerne dieser populistischen Parolen, die vor allem Sozialneid schüren und deshalb auch nie wirklich links waren.

Pünktlich vor der Bundestagswahl hat nun die Bild-Zeitung mit Unterstützung des Bundes der Steuerzahler diese bewährte Waffe wieder in Anschlag gebracht, um zunächst Politiker der SPD, der Grünen und der PDS abzuschießen. Erst wenn der Sturm der Entrüstung wieder der Gewöhnung gewichen ist, erwähnt man auch Namen von CDU-Politikern. Es ist alles so durchschaubar, so billig, und dennoch funktioniert es.

Und so nahmen wegen der Hunzinger-Affäre zunächst Rudolf Scharping und wegen der Bonusmeilen-Affäre dann auch Cem Özdemir und Gregor Gysi ihren Hut. Nur gibt es den Skandal im Fall der so genannten Bonusmeilen eigentlich gar nicht. Die Nutzernießer der Vielfliegerprämie greifen keinem einzigen Bürger in die Tasche, Kosten verursachen sie allenfalls der Lufthansa, die aber genau das als Werbeprämie einkalkuliert.

Gregor Gysi hat das Bonusprinzip nicht falsch angewendet, sondern genau so, wie es gedacht ist und wie es von Tausenden Geschäftsleuten und Managern täglich praktiziert wird. Vermutlich auch von jenen Journalisten, die nun den Abgesang auf die korrupten Politiker anstimmen. Man fliegt dienstlich und bekommt dafür privat eine kleine Treueprämie vom Flugunternehmen. Wer privat ein- oder zweimal im Jahr in den Urlaub fliegt, der kommt ohnehin nicht in den Genuss von Bonusmeilen. Es ist also das Prinzip, dass diejenigen etwas geschenkt bekommen, die es am wenigsten nötig haben.

Was Steuergelder verschlingt, sind aber weniger die Bonusreisen von Jürgen Trittins Lebensgefährtin und Gysis Gattin, sondern die regulären Dienstreisen der Abgeordneten. Jeder Bundestagsabgeordnete kann sich bei der Reisestelle des Deutschen Bundestages gratis Inlandtickets besorgen, so viele er will. Nur »mandatsbezogen« müssen die Reisen sein. Eine dreiminütige Stippvisite am Infostand reicht völlig, um diese Voraussetzung zu erfüllen, zumal da sie ohnehin von niemandem kontrolliert wird.

Innerhalb Berlins können die Abgeordneten den Fahrdienst des Bundestages in Anspruch nehmen. Ein Anruf genügt und schon holt einen der Chauffeur mit einer schwarzen Limousine ab. Die Fahrt zum Büro ist ebenso gerechtfertigt wie ein Gespräch mit Journalisten beim Italiener oder der Besuch eines Empfangs. Und auch im Zug sind Mitglieder des Bundestages gern gesehene Gäste. Sofort nach der Wahl ins Hohe Haus bekommt jeder Abgeordnete eine Freifahrkarte der Deutschen Bahn, die es ihm gestattet, jederzeit gratis in der ersten Klasse zu reisen, ein »Mandatsbezug« ist dabei nicht notwendig.

All diese und viele andere Privilegien gehören zum Alltag von Bundestagsabgeordneten und scheinen niemanden zu stören. Und echte Korruptionsfälle, wie Helmut Kohls Leuna-Affäre oder die Verwicklungen des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber und der Bayerischen Landesbank in die Kirch-Krise werden routiniert ausgesessen und in kürzester Zeit kollektiv verdrängt. Dass Gysi ausgerechnet wegen der Bonusmeilen abtritt, ist fast schon wieder lächerlich.

Kein Wunder, dass zugleich heftig spekuliert wurde, ob es nicht andere Gründe für den Rückzug des PDS-Stars gegeben habe. Gysi wies diese Spekulationen zurück. Es scheint wohl eine Mischung aus »politischem Anstand«, Unlust am Amt, Erschöpfung und Gysis typischem Eigensinn gewesen zu sein.

Zudem hatten ihn vor seinem Rücktritt die eigenen Genossen ganz schön in die Mangel genommen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Gehrcke, hatte ihn der »Schlampigkeit« bezichtigt, und die stellvertretende PDS-Vorsitzende Petra Pau forderte Gysi wie einen Schuljungen auf, die Sache aufzuklären und den »materiell erworbenen Vorteil wieder auszugleichen«. Auch die parteieigene Tageszeitung Neues Deutschland schonte den Wirtschaftssenator nicht und attackierte ihn ungewohnt heftig: »Schnell geht die Bodenhaftung verloren. Abgehoben lebt's sich leichter.«

So etwas mag Gysi nicht. Aus seiner Sicht hat er in den vergangenen zwölf Jahren für die PDS alles gegeben und dabei viele persönliche Kompromisse machen müssen. Er hat immer auch erwartet, dass seine Partei zum Dank alles für ihn tut. Gysi ist nicht ämtergeil, er ist auch nicht besonders machtgierig; er ist schnell beleidigt, eitel und völlig unfähig, Kritik anzunehmen. Und vor allem: Er will geliebt werden.

Gerade dieses Bedürfnis aber ist für den Wirtschaftssenator einer völlig bankrotten Stadt wie Berlin ziemlich hoffnungslos. Vor allem in der PDS wächst der Ärger über den Sozialabbau, der auch unter dem rot-roten Senat weitergeht, über die drastische Sparpolitik und über die Rolle der Partei bei der Bewältigung der Bankenkrise. Alles das wären gute Gründe gewesen zurückzutreten. All das hätte - wie seinerzeit im Fall Lafontaine - das Ansehen Gysis zumindest unter den Linken gestärkt.

Aber auch wenn die bürgerliche Presse ihm nun vorwirft, sich aus der Verantwortung gestohlen zu haben, bei einigen Menschen, die nicht der PDS nahe stehen, dürfte er sich mit seinem konsequenten Schritt ebenso Respekt verschafft haben. Er hat sich eben nicht als Gewohnheitspolitiker gezeigt, der an seinem Sessel klebt. Seine Rücktrittserklärung ist ungewöhnlich und unstaatsmännisch: »Ich bin dabei, so zu werden, wie ich nie werden wollte, verbunden mit einem Verlust an Ansehen und Glaubwürdigkeit. Kurzum: Ich fürchte mich vor meinen eigenen Persönlichkeitsveränderungen.«

Trotzdem könnte der Rücktritt Gysis die PDS Stimmen kosten. Nicht zuletzt könnte er sogar den Ausgang der Bundestagswahl am 22. September beeinflussen. Verfehlt die PDS den Einzug ins Parlament, dürfte die Mehrheit für die CDU/CSU und die FDP feststehen. Nur der Einzug der PDS eröffnet nach den derzeitigen Umfrageergebnissen andere Koalitionsmöglichkeiten wie etwa eine »Ampel«, eine rot-rot-grüne oder auch eine große Koalition. Für viele Menschen, gerade im Westen, ist Gysi ein Synonym für die PDS. Dort könnten nun wichtige Stimmen verloren gehen.

Dass das Ende der PDS nahe ist, wie es die Springer-Gazetten in der letzten Woche fast triumphartig verkündeten, darf jedoch bezweifelt werden. Gysi wird der PDS nicht den Rücken kehren, weil Eltern ihre Kinder nicht im Stich lassen. Und er wird bei nächstbester Gelegenheit auch wieder ein Amt bekleiden. Ob in der Partei, in einer Regierung oder als Talkmaster - das ist für die PDS sowieso zweitrangig. Hauptsache, er geht nicht zu Attac und schreibt künftig Kolumnen in Bild wie sein Freund Lafontaine.

Chancen bietet der Rücktritt Gysis vor allem für einen: für Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Er wird es künftig leichter haben, sich als der erste Mann im Senat aufzuführen, ohne dass ihm der kleine Mann mit der Brille die Show stiehlt.