Vierte Räumung unter Rot-Rot

Voll auf Linie

»Ach ja, ich lieb ihn schon, unseren Friedrichshain, denn eins ist klar: Keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer!« plaudert der ehemalige Hausbesetzer und Berliner PDS-Abgeordnete Freke Over auf seiner Website. »Nun lebe ich schon elf Jahre in diesem ehemaligen Arbeiterbezirk, einem Kiez im Umbruch«, fährt er fort. Und etwas nachdenklicher: »Unsere Besetzungen - nur ein kurzes Zwischenspiel? Die Kultur umgedreht, weitergedreht, gar durch die Mangel gedreht?«

Eine gute Frage: Noch im April 1996 wurden Over und 30 weitere Hausbesetzer aus zwei Häusern in Alt-Stralau (Kreuzberg-Friedrichshain) von der Polizei vor die Tür gesetzt. Heute sitzt Over als Abgeordneter in einer Berliner Regierungskoalition, die genauso kompromisslos gegen Hausbesetzer vorgeht wie ihre Vorgängerinnen. Kürzlich fanden die dritte und die vierte Räumung besetzter Häuser und Plätze im von der SPD und der PDS regierten Berlin statt.

Dabei fing alles so friedlich an. Am Dienstag, dem 30. Juli, fuhr um sieben Uhr morgens ein Bauwagen-Konvoi auf das alte Industrieglände der Halbinsel Stralau, um dort ein alternatives Wohnprojekt zu starten. Die Stimmung war prima, nach dem »Volxküchen«-Frühstück wurde das Gelände aufgeräumt. Seit zwölf Jahren liegt der Alt-Stralauer Platz brach.

Doch bereits gegen 15 Uhr rückte eine Hundertschaft der Berliner Polizei an, hielt alle anwesenden Personen fest, keiner durfte telefonieren. Von allen Besetzern wurden die Personalien aufgenommen, alle bekamen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Die Bitte um Kontakt mit dem Berliner Einsatzleiter Uwe Ulbricht (Polizeiabschnitt 62) wurde missachtet. Es gab keinerlei Bereitschaft zu Verhandlungen, stattdessen wurden Platzverweise erteilt.

Am selben Morgen räumte die Polizei einen Teil des Hauses Rigaer Straße 78 ohne Vorankündigung und versiegelte das Gebäude. Ein Zufall? Uwe Ulbricht sagte der Jungle World, er habe von diesem Einsatz nicht das Geringste gewusst.

Nach Angaben der Polizei fand die Räumung der Wagenburg aufgrund einer Anzeige des Insolvenzverwalters der Firma Behala statt. Er soll allerdings für das betreffende Grundstück gar nicht zuständig und daher auch nicht klageberechtigt sein. Der wirkliche Eigentümer sei erst später über den Einsatz der Polizei informiert worden.

Ulbricht begründete die Räumung lapidar mit der »Berliner Linie«. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts seien Wagenburgen in der Hauptstadt grundsätzlich »unstatthaft« und würden nicht toleriert. Es sei außerdem zu Sachbeschädigungen am Tor und am Grundstückszaun gekommen: »Damit war der Fall erledigt.« Von einer Anzeige der Behala und einer entsprechenden Presseerklärung wisse er nichts. Im Übrigen sei das auch »völlig wurscht«. Gegen halb elf hätten seine Mitarbeiter einen Hinweis erhalten und »darauf haben wir gearbeitet - das Übliche.«

Die Betroffenen beurteilen den Vorfall anders. In ihrer Presseerklärung heißt es: »Die Ereignisse dieses Tages zeigen einmal mehr, dass die Berliner Polizei in jeder spontanen unkonventionellen Zwischennutzung von Freiflächen eine Bedrohung sieht, die es schnellstmöglich aus dem Weg zu räumen gilt - ohne Verhandlungen und mit Begründungen, die auf ungesicherten Informationen basieren.«