Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sucht noch Personal

Alles dreht sich

Das Scheitern der UN-Kriegsverbrechertribunale scheint programmiert. Wollen Carla del Ponte und andere Juristen an den Internationalen Strafgerichtshof wechseln?

Nein, das Lieblingskind deutscher und europäischer Außenpolitik, den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), wollten die USA nicht. Lange haben sie sich dagegen gewehrt, und auch jetzt, da die Etablierung des ICC auch ohne die USA eine beschlossene Sache ist, versuchen die Amerikaner noch immer, das Schlimmste zu verhindern.

So wurde in der vergangenen Woche bekannt, dass Washington anderen Regierungen das Versprechen abringen will, US-Soldaten nicht an das ICC auszuliefern. Rumänien und Israel haben sich bereits dazu verpflichtet, keine Angehörigen der US-Streitkräfte an das Gericht zu überstellen. Norwegen hat das Gesuch zurückgewiesen, auch die meisten anderen westeuropäischen Staaten lehnen ein solches Abkommen ab.

Was sich die EU-Mitglieder vielleicht leisten können, soll für andere Staaten nicht folgenlos bleiben. Wie die New York Times in der vergangenen Woche berichtete, soll Washington allen Staaten außer den »engsten Verbündeten« mit dem Entzug von Militärhilfe gedroht haben.

Aber die Sabotage kennt auch andere Wege. So wollen die 76 Gründer des ICC im September über organisatorische und vor allem personelle Fragen im Zusammenhang mit dem neuen Gerichtshof beraten. Als Favoriten der Administration von George W. Bush gilt dabei niemand anderes als Carla del Ponte, derzeit noch Chefanklägerin der UN-Tribunale in Den Haag (zu Jugoslawien) und Arusha (zu Ruanda).

Auch Wolfgang Petritsch, der Anfang 1999 als Sonderbeauftragter der EU den damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zum Nachgeben im Konflikt um das Kosovo bewegen sollte, begrüßt ihren möglichen Wechsel. »Sie hat bewiesen, dass sie eine ausgezeichnete Kandidatin wäre«, erklärte der im Juni von seinem Posten als Hoher Repräsentant aus Sarajevo nach Genf übergesiedelte österreichische UN-Botschafter der Jungle World.

Nicht überall dürfte diese Einschätzung auf Zustimmung stoßen. So hat Deutschland zwar maßgeblich an der Etablierung des Internationalen Strafgerichts mitgewirkt, dürfte aber andere Vorstelllungen über die personelle Besetzung hegen. Diplomaten bei den Vereinten Nationen gehen, wie die Jungle World erfuhr, davon aus, dass die Bundesregierung kein Interesse daran habe, die Schweizer Juristin zum ICC zu befördern.

In Berlin wiederum heißt es zwar, dass man einen gemeinsamen Kandidaten der EU-Staaten wünsche. Ein Europäer muss es freilich nicht sein. Allen voran gäbe es da die Präsidentin des Ruanda-Tribunals, Navanethem Pillay, die offenbar auch den Rückhalt des UN-Generalsekretärs Kofi Annan genießt, während ihre größte Widersacherin, Carla del Ponte, als von den USA protegiert gilt. Hinzu kommt, dass die Schweizerin mit ihrer wenig glücklichen Performance im Verfahren gegen Milosevic sich aus rot-grüner Sicht nicht gerade für den Internationalen Strafgerichtshof qualifiziert haben dürfte.

Der Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten zehrt nicht nur schwer an der Reputation der Chefanklägerin, sondern offenbar auch an den Nerven der Ermittler. Die nämlich sehen ihre Beweise gegen Milosevic in einem dilettantischen Prozess wegschmelzen: »Sie konzentriert sich nur auf Nebensächlichkeiten. So wird von der Kosovo-Anklage nicht viel bleiben«, sagt eine profilierte Ermittlerin, die schon seit 1999 im Kosovo untersucht, aber nicht namentlich genannt werden möchte.

Von del Ponte oder ihrem Mitarbeiterstab sind derzeit kaum aussagekräftige Statements zu bekommen. Der stellvertretende Chefankläger, Graham Blewitt, erwidert auf die Frage nach der Zukunft seiner Vorgesetzten: »Ich bedaure, dass ich nicht in der Lage bin, sie zu beantworten.«

Der derzeit noch mit überschaubaren fünf Mitarbeitern besetzte Internationale Strafgerichtshof gilt nicht nur als universalisierte und institutionalisierte Weiterentwicklung der Tribunale für Jugoslawien und Ruanda, die aus offensichtlich politischen Motiven geschaffen wurden. Dass ranghohe Mitglieder beider UN-Tribunale zum Internationalen Strafgericht wechseln wollen - wovon auch der für die Vorbereitung des ICC zuständige kanadische Botschafter in Stockholm, Philippe Kirsch, berichtet - dürfte allerdings nicht an persönlichen Karriereambitionen liegen. Die Anzeichen verdichten sich, dass, aus Furcht vor dem drohenden Desaster, das Personal des Tribunals nach einem rechtzeitigen und möglichst eleganten Absprung sucht.

Offensichtlich quält diese Furcht nicht nur die Juristen des Haager Tribunals, sondern auch jene des Ruanda-Tribunals in Arusha. In einem jetzt veröffentlichten Bericht der International Crisis Group (ICG) in Brüssel wird das Tribunal in Arusha als nicht mehr zu retten eingestuft: »Das Tribunal ist auf halbem Weg zur Beendigung seines Mandates, aber beim derzeitigen Tempo hat es keine Chance, seine Arbeit zu beenden«, heißt es in dem Bericht. Das gleiche trifft auch auf das Haager Tribunal zu.

Dabei wurde der Bericht auf Druck der Vereinten Nationen noch geschönt: »Unser Report war in der ursprünglichen Fassung noch schärfer formuliert, aber einiges mussten wir auf Druck der Beteiligten wegstreichen«, sagt ein Autor der Studie. Kingsley Moghalu, Sprecher des Tribunals in Arusha, lässt sich davon nicht beirren: »Wir werden unser Mandat bis 2008 vollenden und arbeiten an Reformen.«

Dass sich die südafrikanische Tribunalspräsidentin Navanethem Pillay auf einen Wechsel zum Internationalen Strafgerichtshof vorzubereiten scheint, bestätigt auch Fabienne Hara, die stellvertretende Afrika-Direktorin der ICG, im Gespräch: »Es würde mich nicht wundern, wenn sie einen solchen Plan hat. Aber nicht nur sie.« Nicht einmal aus dem Büro von UN-Generalsekretär Kofi Annan war auf Anfrage ein Dementi der Gerüchte über den Wechsel zu erhalten.

Viel Zeit haben die UN-Gremien nicht mehr mit der Entscheidung für die Chefposten am neuen Strafgerichtshof. Spätestens im Februar werden die ICC-Signatarstaaten sich auf eine Person einigen müssen, am 11. März soll der Strafgerichtshof feierlich eröffnet werden. Er soll mit einem Jahresetat von 30 Millionen Euro, einem Bruchteil des Etats für die Tribunale in Den Haag und Arusha, ausgestattet werden. Pillays Mandat als Präsidentin des Ruanda-Tribunals läuft im Mai 2003 aus, das der Chefanklägerin del Ponte im September des gleichen Jahres.