Die Regierung verhandelt mit korsischen Separatisten

Autorität trifft Autonomie

Die französischen Konservativen haben eingesehen, dass Zugeständnisse an die korsischen Separatisten zweckmäßig sein können.

Ein Hoffnung stiftendes Signal sei der Besuch des französischen Innenministers Nikolas Sarkozy Ende Juli auf Korsika, erklärte der Nationalist Jean-Guy Talamoni. Erfreut war der Korse über die Ankündigung des Ministers, den Forderungen nach größerer Unabhängigkeit nachzukommen. Im Herbst will die konservative Regierung einen Entwurf für eine Verfassungsänderung zur Autonomie der Regionen vorlegen. Es ist vorgesehen, dass die Gebiete eigenständige Befugnisse zur Gesetzgebung erhalten.

Anders als noch zu Zeiten der sozialdemokratischen Regierung sollen die Regelungen allerdings ausdrücklich nicht allein für Korsika gelten, sondern für alle französischen Regionen. Die Anerkennung eines »korsischen Sonderweges« bedeutet für viele Bürgerliche immer noch, einer bewaffneten Gegenmacht nachzugeben und den Verlust der Autorität des Staates zuzulassen.

Die geplante Gesetzesreform passt zwar den korsischen Nationalisten nicht ganz in den Kram, denn zumindest rhetorisch bestehen sie weiter darauf, dass es für ihre Insel einen besonderen Status geben müsse. Aber die letzten Treffen zwischen Sarkozy und den Repräsentanten der Nationalisten, Talamoni und Paul Quastana, verliefen ausgesprochen »positiv«, wie alle Beteiligten erklärten. Sarkozy betrachtet die korsische Autonomieregelung als vorbildlich und spricht von einer Veränderung, die alle Gebiete betreffen werde.

Auch die Forderung nach einer Zusammenlegung der inhaftierten Nationalisten hat offensichtlich nichts Staatsgefährdendes mehr. Elf korsische Separatisten sitzen derzeit im Gefängnis, die meisten wegen Waffen- und Sprengstoffdelikten, 38 befinden sich in Untersuchungshaft. Ihre Gesinnungsgenossen fordern ihre Zusammenlegung in einem Gefängnis auf der Mittelmeerinsel und in absehbarer Zeit eine Amnestie. Als Talamoni und Quastana bei dem Treffen mit Sarkozy das Thema anschnitten, signalisierte er ausdrücklich Gesprächsbereitschaft. Der Staatssekretär für den Gefängnisbau, Pierre Bédier, soll in einigen Wochen in Korsika eintreffen, um die Errichtung einer speziellen Haftanstalt zu prüfen.

Allein der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungspartei UMP, Jean-Louis Debré, kann sein Misstrauen gegenüber den Separatisten nicht verbergen. Aus Gründen der Staatsautorität würde er der Forderung nach einer Verlegung der Häftlinge nicht nachgeben, erklärte er nach Sarkozys Besuch auf Korsika. Denn wenn man den Nationalisten in dieser Frage den kleinen Finger reiche, dann wollten sie bald die ganze Hand, also die Unabhängigkeit.

In den Reihen der seit Mai regierenden Konservativen hat sich allerdings Sarkozys Position weitgehend durchgesetzt. Besonderen Rückhalt erhielt er von Premierminister Jean-Pierre Raffarin, der überraschend seinem Minister bei dessen Visite auf der Insel folgte.

Eine solche Aufwertung der Nationalisten war lange Zeit undenkbar. Aus Sicht der französischen Politik war Korsika stets ein Synonym für »Unruheherd«, und die korsischen Nationalisten zogen seit den siebziger Jahren mit antiimperialistischer Rhetorik gegen die »Kolonialherren« ins Feld.

Im Rahmen der innerfranzösischen Arbeitsteilung diente Korsika jahrhundertelang vor allem dazu, Soldaten für die Armee und Siedler für die Kolonien zu stellen (Jungle World, 44/01). An einer wirtschaftlichen Entwicklung der Insel waren die Regierungen in Paris daher nicht interessiert. 1975 begann die Untergrundorganisation des FLNC (Front de libération nationale de la Corse) den bewaffneten Kampf gegen den französischen Staat.

Der korsische Nationalismus kämpfte ursprünglich gegen das Clanwesen, da die politische Vorherrschaft einiger Großfamilien dem französischen Staat immer auch als Ordnungsfaktor diente. Sie bilden aber bis heute das Rückgrat der politischen Parteien auf Korsika, noch dazu entstanden unter den Nationalisten bald vergleichbare Strukturen, die teilweise mafiaähnlichen Charakter annahmen. Nach wenigen Jahren zerfiel die nationalistische Bewegung in kleine Grüppchen, die sich erbittert bekämpften.

Doch in den neunziger Jahren änderte sich die politische Situation auf der Insel. Korsische Konservative und Liberale sowie Teile der ökonomischen Elite entdeckten die Separatisten, die bisher als Terroristen galten, für sich und ihre Interessen. Zusammen mit den Nationalisten wollten die Bürgerlichen, die sich als Modernisierer verstanden, an einem Aufschwung der korsischen Ökonomie arbeiten.

Und die Nationalisten nahmen das Angebot an. Längst hatten sie keine Probleme mehr, mit Kapitalisten an einem Tisch zu sitzen oder rechtes Gedankengut zu verbreiten. In den Anfangsjahren hatten die Nationalisten noch behauptet, dass sich das von ihnen beschworene korsische Volk durch freiwillige Zugehörigkeit definiere und nicht als ethnisch bestimmte Nation.

Allerdings entdeckte beispielsweise Talamoni in den neunziger Jahren seine Sympathie für die norditalienische separatistische und rassistische Lega Nord. Und während des traditionellen Nationalistentreffens in Corte am ersten Wochenende im August verlangte nun eine ganze Reihe von Rednern, dass Korsika »endlich die Kontrolle über seine Migrationsströme erlangen« müsse. Damit sind Franzosen vom Festland ebenso gemeint wie alle Ausländer.

Deshalb waren die Nationalisten nun auch für die Regierenden in Paris interessant. Die sozialdemokratische Regierung hatte sich bereits im Dezember 1999 darauf eingelassen, mit der Mehrheit des korsischen Inselparlaments, einem Bündnis aus Neokonservativen und Nationalisten, über ein Autonomiestatut zu verhandeln. Im Januar verabschiedete das französische Parlament ein Autonomiegesetz. Zuerst auf Zeit, nach einer für 2004 geplanten Verfassungsänderung sogar dauerhaft, sollten Befugnisse zur Gesetzgebung an das korsische Regionalparlament übertragen werden.

Auch eine Minderheit von liberalen und konservativen Abgeordneten stimmte dem Gesetz zu, andere enthielten sich der Stimme. Zu ihnen zählte der jetzige Innenminister Sarkozy. Anfang Februar erklärte allerdings das französische Verfassungsgericht, dass die zentralen Bestimmungen erst dann zulässig sind, wenn die Verfassung geändert ist.

Vor allem ein Teil der Gaullisten widersetzte sich damals der geplanten Reform. Ein anderer Flügel innerhalb der konservativen Parteien befürwortete jedoch den Autonomiestatus für Korsika, da vor allem wirtschaftsliberale Politiker den Vorteil einer solchen Regelung erkannten. Sie träumen von regionalen Wirtschaftszentren, die dabei helfen sollen, zentralstaatliche Hemmnisse abzustreifen und den Wettbewerb um den besten Standort zu verschärfen. Die regionale Autonomie ist zudem eine einfache Möglichkeit, um Hemmnisse loszuwerden, die durch den zentralisierten Sozialstaat und die unerwünschte Bürokratie entstehen.

Allerdings haben es die Repräsentanten der Nationalisten nicht leicht, ihren Kurs gegenüber der Regierung auch der Basis verständlich zu machen. Inzwischen müssen schon schlechte Umgangsformen als Beweis des Widerstandes gegen die Zentralregierung herhalten. In Corte berichteten Talamoni und Quastana von ihrem Treffen mit dem Innenminister und fügten hinzu, dass sie sich standhaft geweigert hätten, sich vom Büffet zu bedienen. »Wir haben die Schnittchen nicht angefasst«, versicherte Quastana, »dabei war Mittag, und wir hatten weiß Gott Hunger.«