Freiflug für Populisten

Echt wahr, ey!

Die Regeln, nach denen ein Diskurs funktioniert, lassen sich nicht oft so klar erkennen wie in diesem Fall: »Immerhin entzündete sich an seiner anrüchigen Rundumbetreuung für Scharping eine Debatte über Politik und (Un-) Moral.« So schrieb es Andreas Wassermann jüngst im Spiegel und bezog sich dabei auf die so genannte Hunzinger-Affäre. Weiterführende Einsichten entzogen sich freilich seiner Wahrnehmung. Wo nämlich von Unmoral die Rede ist, ist eigentlich Moral gemeint.

Mit seiner Einschätzung, die Affäre ziehe eine umfassende Debatte nach sich, lag Wassermann richtig. Mit der Aufdeckung von immer neuen Fällen von Korruption schwoll sie zu riesenhaftem Ausmaß an, um dann, nach Gysis Rücktritt, vorerst wieder abzuklingen.

Hier haben wir es mit einer folgerichtigen Entwicklung zu tun. Erschreckt sei Gysi vor seinen »Persönlichkeitsveränderungen«; die Politik, so werden wir belehrt, korrumpiert, Hilfe bietet nur noch der Rücktritt, der neuen, aufrechten Politikern den Weg räumt. Der Diskurs hat sein Ziel erreicht, das Spiel kann wieder von vorn beginnen.

Ändern wird all das an der Funktionsweise des politischen Skandals nichts; gefangen im Wechselspiel von Amtsmissbrauch und Ehrlichkeit wird die Politik immer wieder ein neues Beispiel liefern, an dem sich »immerhin ... eine Debatte über Politik und (Un-) Moral« entzünden wird.

Zu welchen Erkenntnissen führt uns das Ganze? Die poststrukturalistische Einsicht, dass Repräsentation, sowohl die linguistische als auch die politische, tot ist, hatten schon Deleuze und Foucault formuliert und so zu lokaler Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse aufgerufen. Der Skandal läge demnach nicht in der Korrumpierbarkeit der Politik, sondern in der Politik der Repräsentation an sich, der Stellvertretung als solcher.

Erhellender noch erscheint die Weiterentwicklung der These vom Ende der Repräsentation durch Jean Baudrillard: Der Prototyp des modernen politisch-wirtschaftlichen Skandals, Watergate, sei keiner. Das müsse unter allen Umständen gesagt werden; denn es sei die Abwesenheit von Moralität in Politik und Wirtschaft, die dazu zwinge, zu skandalisieren und damit zur vermeintlichen Stärkung eben jener nur simulierten Moral beizutragen.

Gysis Pose desjenigen, der noch einmal die moralische Kurve gekriegt hat, ebenso wie die Forderungen der PDS, Jürgen Trittins etc. nach mehr Transparenz oder sogar Kontrolle, stehen also (ob willentlich oder nicht) im Bündnis mit denen, die an der Illusion der Moral innerhalb der gegenwärtigen politischen wie wirtschaftlichen Verhältnisse ein direktes Interesse haben.

Doch welcher politischen Stoßrichtung das Moralisieren am ehesten entspricht, steht außer Frage. Ob nun ein Rechtspopulist wie Haider, der sich an die Politikverdrossenen wendet, oder ein zwischen altem und neuem Konservativismus und Neuer Mitte stets wechselnder Stoiber: sich als »kantig« und »echt« und somit als moralisch zuverlässig zu verkaufen, versteht die politische Rechte am besten.