Das Medienkunstfestival »Werkleitz Biennale«

Fassbinder auf Kopfsteinpflaster

In diesem Jahr fand das internationale Medienkunstfestival »Werkleitz Biennale« zum fünften Mal statt und holte ganz schön weit aus.

Kräht der Hahn früh am Morgen, krähen eher laut als leis' gleich mehrere davon. Heiß scheint die Sonne in die Wohnung, die, momentan eigentlich leer stehend, zur Unterbringung von Besuchern extra angemietet wurde. Die Idee, schnell mit dem Radl zum Baggersee zu fahren, noch bevor das Frühstück am veganen Versorgungsstand weggefuttert ist und das erste Screening beginnt, drängt sich auf. Aber die Reifen sind platt, hinweggerafft von den Straßenzuständen im Elbe-Saale-Winkel. Also doch gleich die Bierbänke im Hof des Heimatvereins aufgesucht, einen Kaffee mit Sojamilch geschlürft und frühzeitig einen Sitzplatz im Saal der Gaststätte »Zur Post«, dem zentralen Veranstaltungsort, gesichert.

So sah's aus auf der Werkleitz Biennale. Das internationale Medienkunstfestival in den benachbarten Dörfern Tornitz und Werkleitz hat sich inzwischen zur »documenta des Ostens« gemausert. Die Tagesschau berichtete. Obwohl etwas megalomanisch daherkommend, ist diese Bezeichnung so ganz falsch nicht, denn die Dokumentation des Vergangenen und des Gegenwärtigen schien für das kuratierende Team tatsächlich sehr wichtig gewesen zu sein. Mit Beiträgen von rund 100 KünstlerInnen und viel selbst recherchiertem Material stellten sie ein Programm aus Film- und Videoblöcken, Performances, Vorträgen und einem Ausstellungsparcours zusammen, das einen möglichen Zugriff auf die Frage nach einem »Wir und die Anderen« formuliert. Geboten wurde Archivmaterial in Hülle und Fülle, eine konzeptuelle Annäherung an Geschichte(n), Reportagen und Fernsehbilder, Spielfilmmontagen, alte und neue Lesarten von historischen Ereignissen. Das Ganze war sozusagen ein Großhappening der künstlerischen Analysen mitten in der sachsen-anhaltinischen Provinz.

Nachdem der erste Filmprogrammblock durchgelaufen ist, hat man eine halbe Stunde Zeit, um zu Fuß oder mit einem Shuttle-Minivan die frisch zu Kunstorten umfunktionierten Plätze in Werkleitz, Tornitz und den Wiesen dazwischen abzuklappern. Dorfkirche, Bürgerzentrum, Jugendclub, Sporthalle, Altglascontainer, Straßenlaternen und sogar ein Privathaus sind mit Videoinstallationen, Fotos, Plakaten, Malerei, Diaprojektionen, Stickarbeiten und Materialvitrinen bestückt worden.

Fix heißt es dann, zurück in die »Post« zu hechten, wo zwei weitere Filmblöcke zu sehen sind. Draußen ist mittlerweile ein Wolkenbruch niedergegangen, die Bierbänke sind in einem Schlammsee untergegangen, und Essen wird im Heimatverein serviert: chinesische Tofupfanne, zu verzehren unter den an den Wänden hängenden Pferdegeschirren und Korngarben. Während der Nahrungsaufnahme werden zur Gestaltung des Abendprogramms Turntables herangeschleppt, doch es geht nicht ums Tanzen nach den Wahrnehmungsstrapazen des Tages, sondern um »kommentiertes Plattenauflegen«, Klänge von Wolf Biermann und Manfred Krug, Texte von Heiner Müller und Thomas Brasch. Fahrradreparatur vielleicht morgen.

»Waffe, die uns siegen lässt, ist für uns das Manifest«

Thematisch ging es in Werkleitz um die Begriffswurst »Zugewinngemeinschaft«. Geklaut wurde sie aus dem Juristendeutsch, wo sie die Gütertrennung in ehelichen Verbindungen umschreibt. Der anders perspektivierten Fleischbeschau dieser Wurst war die Biennale gewidmet. Eine Zugewinngemeinschaft ist in der Definition der KuratorInnen eine Gesellschaft, die auf der einen Seite AusländerInnen als ökonomisch nützliche, durch die Green Card anwesenheitsberechtigte Individuen begreift, sie aber auf der anderen Seite im Namen der Leitkultur zwangsintegriert. Dass der »Andere« ein perfides exotisches Begehren auslöst, das allerdings nur folkloristische Stereotype einfordert und deswegen schnell in Diskriminierung kippt, darum drehten sich die Beiträge der Biennale.

Um das alles etwas handlicher zu gestalten, wurden der »Zugewinngemeinschaft« drei zentrale »Gegenstände« untergeschoben, die den eingeladenen KünstlerInnen vorweg als Verwurstungsmaterial für ihre Arbeiten gegeben wurden: der Fassbinder-Film »Whity« von 1970, die X. Weltfestspiele der Jugend, die 1973 in Ostberlin stattfanden, und die suggestive Frage: »Offene Grenzen?«

Dinge also, die erstmal nicht so richtig zusammen zu passen schienen: ein Film über einen schwarzen Butler, der seine Opferrolle fast masochistisch genießt, ein historisches Ereignis, das von staatlich verordnetem Internationalismus und wirklicher Begeisterung erzählt, und eine Formulierung, die eher ein Ausgangspunkt zu theoretischen und politischen Überlegungen ist, denn ein greifbarer Gegenstand. Ein komplexes semantisches Geflecht also, das wenig Selbsterklärungspotenzial hatte.

»Die Jugend meistert mit Elan die Ziffern im Komplexprogramm«

Was bei der Verarbeitung dieses Inputs herauskam, war ein Festival, das sich inhaltlich um sehr viel kümmern wollte, das seine BesucherInnen geradezu zwang, jeden Programmpunkt und jede Installation im Dorf auch wirklich »mitzunehmen«, um nicht sofort den gerade noch gefundenen hellrosa Faden wieder zu verlieren, und das doch nur sehr selten klare Aussagen formulierte. Fotoarbeiten über das Schicksal olympischer Dörfer und Filme über Schmuggler im Dreieck Ungarn-Bosnien-Rumänien standen Bildserien über die Beschaffenheit deutscher Asylbewerberheime und einem Bucharchiv, das Literatur über nicht mehr existierende Nationalstaaten sammelt, gegenüber.

Das Programm hüpfte von rassismus- und genderdiskursinspirierten Arbeiten zu Arbeitsmigrationsgeschichte, von »Afri Cola«-Werbespots zu interventionistischem Aktionsfernsehen von Kanak TV, von Archivmaterial aus der DDR- und BRD-Geschichte und Videokunst über schwarze, nicht wegzurubbelnde Muttermale und wieder zurück zu fernsehtauglichen Features über das Leben von AusländerInnen in Deutschland.

Das, was noch am stringentesten wirkte, war eher resignativ. Es ging den KuratorInnen um Rassismus, um Migration, um Integration. Dass Rassismus gesellschaftlich noch tiefer verwurzelt ist als in den fiesen Gruppierungen der Radau-Rechten, ist deutlich geworden. Dass das Fragezeichen hinter »Offene Grenzen« nur allzu berechtigt ist, dürfte eigentlich spätestens seit dem Schengener Abkommen klar sein. Aber dass ein gelebter Internationalismus seinen Höhepunkt in den Weltfestspielen von 1973 gehabt haben soll, in einer mittlerweile historischen, überlebten Epoche eines untergegangenen Regimes, ist doch ein unbefriedigendes, rückwärtsgewandtes Resultat.

Der Einzige, der nach den Filmschnipseln über die Weltfestspiele eine von Euphorie und Kampfesgeist durchzogene »celebration of diversity« hinlegen durfte, war doch tatsächlich Michael Jackson, dessen Video »Black and White« in ungekürzter Fassung gezeigt wurde.

Auch wenn Jackson im bekannten Teil des Videos mit leopardenfellbeschürzten Savannenkriegern und mit Kosaken vor schneeüberstäubten Zwiebeltürmchen den Squaredance tanzt, auch wenn wie in einer Benetton-Kampagne schwarze in weiße Gesichter gemorpht werden, im von seiner Plattenfirma zensierten Teil zerschlägt er schreiend Auto- und Fensterscheiben, die mit Hakenkreuzen und »KKK« besprayt sind, bevor er sich in einen schwarzen Panther verwandelt. Die Popkultur lancierte also den vielleicht plattesten, aber auch aussagekräftigsten Beitrag dieser Biennale.

Vielleicht hätte man sowohl den KünstlerInnen als auch den Besuchern den Zugang erleichtert, wenn man ihnen nicht die drei dicken Klopse »Whity«, Weltfestspiele und Grenzfrage vorgesetzt hätte. Wäre das hübsch ambivalente Wortspiel »Nation/Alien«, das in der Vorbereitungszeit zunächst als Arbeitstitel gedient hatte und dann verworfen wurde, nicht doch offener und assoziativer gewesen? Hätte sich die Kunst unter diesem Motto nicht weniger an ihre »Vorlagen« geklammert und vielleicht mehr eigene komplexe Statements formuliert?

Als 1992 in Rostock-Lichtenhagen ein von Vietnamesen bewohntes Haus vom rechten Mob in Brand gesetzt wurde, war Michael Jackson nicht anwesend. Das Screening einer Rostock-Doku am Samstagabend, zur »besten Sendezeit«, schluckte jeden Gedanken an die Realisierbarkeit des Utopischen. Auch die Leute aus dem Asylbewerberheim Zerbst konnten nach dem Film nur noch auf ihr Video-Selbstporträt verweisen, das in der Sporthalle zu sehen war und in dem sie über ihren Alltag im Heim berichteten. Der fortgeschrittene Samstagabend wurde nach viertägigem audiovisuellen Marathon noch gemeinsam in gesteigerter Ablenkung verbracht: Am Baggersee standen Bühne und Bierstand bereit, um mit einem Konzert und Auflegeevent die Bedröppeltheit aufzulösen.

»Gruß und Dank an die Partei, wenn sie ruft, sind wir dabei«

Die Brüchigkeit und die manchmal fehlende Plausibilität im Konzept der Werkleitz Biennale war gleichzeitig ihr Potenzial. Das kuratierende Team wollte sich nicht als solches verstanden wissen, wischte die Möglichkeit einer finalen Aussage vom Tisch und betonte den »work in progress«-Charakter. Die Einladungspolitik beschränkte sich auf KünstlerInnen, die »wir kannten«, Klüngelei lag in der Luft, aber eben auch die Produktivität freundschaftlicher Verbindungen. Fast hermetisch wirkte die allseitige Bekanntheit, ständig gab es ein großes Hallo, in das sich die BewohnerInnen von Tornitz und Werkleitz sehr viel weniger einmischten als noch vor zwei Jahren. Vielleicht ist ihnen aber auch mittlerweile die Lust vergangen, ihren Wohnort als exotisches Surplus einer Veranstaltung von scharenweise angereisten Städtern in Urlaubsstimmung bestaunen zu lassen.

Die Zwischenüberschriften sind Sprechchöre, die während der X. Weltfestspiele auf Handzetteln an die skandierende Jugend verteilt wurden.