Finanzskandale in den USA

Insider Inc.

Die Finanzskandale in den USA finden kein Ende. Auch Präsident Bush und sein Vize Cheney geraten unter Druck.

Manchmal möchte man glauben, es gebe eine Terrororganisation, die sich auf den Abschuss von Großkonzernen spezialisiert. Die Todeskandidaten tragen klangvolle Namen wie Enron, Global Crossing, AOL Time Warner, Tyco, Qwest und WorldCom. Das Telekommunikationsunternehmen »entdeckte« am vergangenen Freitag weitere Fehlbilanzierungen in Höhe von 3,3 Milliarden Dollar; ein Konkurs scheint unabwendbar. Auch wenn das Management um Vertrauen bettelt, ist beim direkten Konkurrenten AT&T die Zahl der neuen Kunden seit dem Sturz von WorldCom um 45 Prozent gestiegen.

Die nächste Pleite droht dem Finanzdienstleister und Versicherungskonzern Conseco. Bereits Ende der neunziger Jahre in der Krise, verpflichtete das Unternehmen im Jahr 2000 den ehemaligen General-Electric-Manager Gary C. Wendt für die Rekordsumme von 75 Millionen US-Dollar. Allein 45 Millionen erhielt er für seine Unterschrift unter den Arbeitsvertrag, weitere acht Millionen Dollar Bonus kassierte er im Juli. In der vergangenen Woche musste er verkünden, dass die Firma vermutlich in Konkurs gehen werde. Die Ursache sind faule Kredite, ein Tochterunternehmen des Konzerns war der größte Finanzier für Käufer von Wohnmobilen in den USA.

Consecos Fall ist bedeutsam, da der Konzern, mit 5,7 Millionen Policen und einem Prämienumsatz von 5,6 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auf Platz 26 der Liste der größten Versicherungen, neben Krankenzusatzversicherungen vor allem Lebensversicherungen und private Rentenversicherungen verkauft. Bei Conseco könnte im Kleinen das eintreten, was 1929 der gesamten US-Wirtschaft endgültig die Luft abließ: der »run on the bank«. Die Anleger geraten in Panik und wollen ausgezahlt werden, und zwar alle gleichzeitig.

Um das zu verhindern und um möglicherweise den Konzern zu retten, sollen die 15 Tochterunternehmen, die in unterschiedlichen Staaten der USA das Versicherungsgeschäft betreiben, einzeln verkauft werden. Nach Meinung der meisten Experten lässt sich allerdings derzeit für eine Versicherung, die ja hauptsächlich durch Kapitalanlagen ihr Geld verdient, kein guter Preis erzielen.

Die Regierung hält weiterhin an ihrem Theorem von den skrupellosen Einzeltätern fest. Noch bevor Präsident George W. Bush Anfang August seinen Sommerurlaub antrat, unterzeichnete er den Sarbanes-Oxley Act. Dieses Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verpflichtet CEO (Chief Executive Officer, in etwa vergleichbar mit Vorstandsvorsitzenden), persönlich für die Richtigkeit der Bilanzen zu haften. Bis zum 14. August sollen die unterzeichneten Bilanzen von 974 Unternehmen der Börsenaufsicht SEC vorliegen. Außerdem ist die SEC befugt, Mitarbeiter von Unternehmen zur Anhörung vorzuladen und Dokumente einzusehen.

Nicht nur in linken Kreisen macht sich das Gefühl breit, hier führe sich der Bock als Gärtner auf. Der SEC-Chef Harvey Pitt war, bevor Präsident Bush ihn in sein Amt einsetzte, Lobbyist für die Interessen von Börsenmaklern und Wirtschaftsprüfungsfirmen. Als solcher engagierte er sich vor allem gegen strengere Börsen- und Bilanzierungsregeln. Anscheinend waren er und seine Kollegen erfolgreich, denn bis heute ist die SEC eine reichlich wirkungsarme Behörde. Keiner der Bilanzierungsskandale von Enron bis WorldCom wurde von ihr aufgedeckt. Für die SEC war das Wort eines Wirtschaftsprüfers völlig ausreichend.

Auch Manager wie der ehemalige CEO von Enron, Kenneth Lay, schienen bei ihren Insidergeschäften keine sonderlich große Angst vor der SEC zu haben. Ob die persönliche Haftung eine Wirkung haben wird? Für Irritation in der Geschäftswelt hat sie jedenfalls schon gesorgt. Einige Unternehmen äußerten ihre Zweifel, ob sie fristgerecht zum 14. August ihre Bilanzen einreichen können.

Der Insiderhandel indes ist zwar mit den Bilanzskandalen verknüpft - den Gewinnwarnungen gingen stets Aktienverkäufe des Managements voraus -, andererseits ist der Tatbestand unzureichend definiert und schwer nachzuweisen. Vizepräsident Richard Cheney zum Beispiel sah sich in den vergangenen Wochen einiger Kritik wegen einer Gewinnwarnung der Ölfirma Halliburton ausgesetzt, deren CEO er war, bevor er für das Amt des Vizepräsidenten kandidierte. Kurz vor einer Gewinnwarnung mit anschließendem Kursverfall verkaufte er seine Anteile an der Firma, die Börsenaufsicht ermittelt noch.

Nun behauptet Charles Krauthammer, Kolumnist der Washington Post, Cheney habe seine Anteile verkauft, weil er »Interessenkonflikte vermeiden wollte«. Für den Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten sei es unangemessen, so enge Geschäftsbeziehungen zu einer einzigen Firma zu unterhalten.

Der Artikel könnte direkt in Cheneys Pressebüro verfasst worden sein. Es wäre sicherlich ein Novum, wenn Kandidaten für politische Ämter in den USA plötzlich anfingen, ihre Vermögensverhältnisse zu ordnen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. In Cheneys Fall klingt diese Argumentation besonders zynisch angesichts des immer noch laufenden Verfahrens, dass der US-Rechnungshof GAO um die Anwesenheitslisten bei den Meetings der Energy Task Force Anfang 2001 führt. Die Kolumne zeigt aber, dass ein juristischer Gegenbeweis schwer zu führen sein dürfte.

Auch gegen George W. Bush hat die SEC Ende der achtziger Jahre bereits einmal wegen des Verkaufs seiner Anteile an Harken Energy ermittelt. 1986 wurde er Mitglied der Unternehmensleitung von Harken, als seine eigene Firma namens Spectrum 7 kurz vor der Pleite stand. Harken kaufte Spectrum 7 und stellte Bush jr. als Manager ein. Damals war er nur als Sohn des Vizepräsidenten und ehemaligen CIA-Chefs George Bush bekannt und hatte zwei Ölfirmen an den Rand des Ruins gebracht.

Zu den Großaktionären von Harken Energy gehörte damals unter anderem der Milliardär George Soros. Heute ein Linksliberaler, erklärte er David Corn, einem Redakteur der Wochenzeitung The Nation, warum er Bush jr. gerettet habe. »Ich kannte ihn nicht. Er hätte eigentlich Verbindungen zum (persischen, T.B.) Golf einbringen sollen, aber es wurde nichts daraus. Wir haben politischen Einfluss gekauft, das war's. Als Geschäftsmann war er nicht besonders.«

»Selbst wenn Bush sich nicht des Insiderhandels im klassischen Sinne schuldig gemacht haben sollte, hat er vom Insider-Kapitalismus profitiert«, resümiert Corn diese Geschichte.

In der Tat erwirkte Bush für Harken eine Konzession, vor der Küste Bahrains nach Öl suchen zu dürfen. Die Aktienwerte der Firma stiegen, obwohl die Firma über keinerlei Erfahrung mit Offshore-Bohrungen verfügte. Bevor Harken an die Börse ging, hatte Bush sich verpflichtet, ein halbes Jahr lang keine Aktien zu veräußern. Er verkaufte dann aber doch sein Aktienpaket für 850 000 Dollar, um Kredite zu bedienen, die er für den Kauf des Baseballteams Texas Rangers aufgenommen hatte.

Kurz danach musste Harken berichten, dass vor der Küste Bahrains kein Öl zu finden war, und der Aktienkurs stürzte auf ein Viertel seines bisherigen Werts. Seiner Verpflichtung, den Verkauf der Aktien bei der SEC anzugeben, kam Bush mit einem Monat Verspätung nach; in den Ermittlungen konnte ihm nicht nachgewiesen werden, dass er von dem bevorstehenden Verlust gewusst habe.

Vor einiger Zeit tauchten Berichte auf, Bush habe etwa zwei Wochen vor seinem Aktienverkauf von den bevorstehenden Verlusten erfahren. Als Journalisten um Einsicht in die Akten der Ermittlungen der SEC gegen Bush baten, wurde ihr Anliegen von Harvey Pitt abgewiesen - auf Wunsch des Präsidenten.

Bushs Ansehen hat im Gefolge der Wirtschaftskrise und wegen seiner persönlichen Verwicklung in den Harken-Skandal gelitten, die Washington Post spricht bereits von seiner »neuen Verwundbarkeit«. Und zwar kurz vor den Wahlen im November, den so genannten midtearm elections, in denen ein Drittel der Senatoren neu gewählt werden wird.

So sucht Bush sich nunmehr auf ökonomischem Gebiet zu profilieren, etwa beim Wirtschaftsforum in Waco/ Texas, das am Dienstag dieser Woche stattfand. Sinnigerweise blieben die Demokraten von diesem Forum ausgeschlossen. Nun schlagen sie Krach, nicht zuletzt weil sie selbst dieses Forum im Februar angeregt hatten.