Gerichtsurteile gegen Meinungsfreiheit an den Universitäten

Lerne zu schweigen

Gerichtsurteile verbieten den Asten der Justus-Liebig-Universität in Gießen und der Humboldt-Universität zu Berlin, sich politisch zu äußern.

Wenn es ums Weltgeschehen geht, haben Studierende zu schweigen. Zumindest ihre gewählten Vertretungen dürfen sich nicht zu Wort melden. Dies bestätigten kürzlich Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Kassel und des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin. Zum Schweigen verpflichtet werden damit die Asten der Justus-Liebig-Universität in Gießen und der Humboldt-Universität zu Berlin.

In den aktuellen Prozessen ging es um Äußerungen zur deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan bzw. im Kosovo. Was in Berlin seit der Urteilsverkündung am 15. Juli erstinstanzlich geklärt ist, wurde knappe zwei Wochen später in Gießen im einstweiligen Anordnungsverfahren entschieden: »Der Antragsgegnerin (Asta) ist untersagt, politische Erklärungen, Stellungnahmen oder Forderungen abzugeben, die keinen konkreten studien- oder hochschultypischen Inhalt haben.«

Um die Schuld des Gießener Asta und die Gefahr einer Wiederholungstat zu beweisen, zog der VGH ein beliebiges Asta-Jahrbuch heran. »Der VGH hat noch nicht einmal die Schriftsätze zu dem Verfahren gelesen. Wenn er das nämlich getan hätte, wäre ihm aufgefallen, dass das Asta-Jahrbuch vom Asta der Uni Bonn herausgegeben wurde, und das bereits im Jahr 1995«, kritisiert Katharina Volk vom Gießener Asta.

Vermutlich weil der aktuelle Bezug nicht fehlen durfte, erwähnte der VGH Kassel auch das Thema Rasterfahndung in seinem Beschluss. »Wie eine politische Ohrfeige« empfindet Volk die Ausführungen des Gerichts angesichts der Tatsache, dass der Gießener Asta vom Hessischen Landtag um eine Stellungnahme zur Änderung des Polizeigesetzes gebeten wurde. »Irgendwie scheint hier zum einen die Intention des Gesetzgebers, aber auch die neueste Gesetzgebung am VGH vorbeizugehen.« Im Juli hatte der Bundestag die sechste Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) beschlossen, in der auch die Kompetenzen der verfassten Studierendenschaften geregelt und erweitert werden. Das neue HRG erlaubt den Asten künftig unter anderem die Förderung der »Bereitschaft« der StudentInnen »zum Eintreten für die Grund- und Menschenrechte«.

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Klagen wegen so genannter »allgemeinpolitischer« Äußerungen gegen Asten geführt. In der Regel mit Erfolg für die Kläger, die in den meisten Fällen aus der Umgebung des Rings Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) kamen und nicht selten Mitglieder von Burschenschaften waren.

Tatkräftige Unterstützung erhielten die Kläger aber immer wieder von den Gerichten. So entschied zum Beispiel das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 23. April 1997, dass »eine inhaltlich wertende Auseinandersetzung mit Gegenständen des Studienfaches« nicht zu den Kompetenzen der Studierendenschaft gehöre. Anlass der Klage war ein Zeitzeugengespräch über den Nationalsozialismus.

Der Gießener Asta musste bereits im August des Jahres 1997 ein Ordnungsgeld in Höhe von 10 000 Mark zahlen. Er hatte in dem Antrag, eine Delegation zum 14. Weltfestival der Jugend und Studierenden in Havanna schicken zu dürfen, nebenbei erwähnt, dass das Festival »im Dienste der Völkerverständigung und der internationalen Verständigung unter Jugendlichen« stehe.

Und schon 1968 verbot das VG Sigmaringen dem Asta der Universität Tübingen eine Solidaritätserklärung anlässlich der Erschießung des Kommilitonen Benno Ohnesorg mit der Begründung, »nicht jeder Tod eines Studenten« sei »hochschulbezogen (...) Etwas anderes könnte gelten, wenn ein Student auf dem Gebiet der Universität bei einer hochschulpolitischen Kundgebung von eingreifender Polizei (...) getötet würde.«

Juristisch werden die Klagen mit dem Konstrukt der Zwangskörperschaft begründet. Nach der herrschenden Rechtsprechung gehören Studierende der StudentInnenschaft nicht wegen eines freiwilligen Beitritts an, sondern seien eine »logische Sekunde« nach ihrer Immatrikulation zwangsweise deren Mitglieder. Aus dieser »Zwangsmitgliedschaft« ergibt sich ein Unterlassungsanspruch des Einzelnen gegenüber der Studierendenschaft bzw. dem Asta (GG Art. 2, Abs. 1).

Darüber hinaus gilt die Vorstellung einer neutralen Wissenschaft. Eine absurde Idee, meint Miriam Bürger, die Geschäftsführerin des Bündnisses für Politik- und Meinungsfreiheit, das die HRG-Novelle unterstützte: »Wissenschaft, die den gesellschaftlich akzeptierten Wissenschaftskanon und die gesellschaftlich vorherrschenden Denkformen reproduziert, ohne diese kritisch zu hinterfragen, bezieht durch die Abwesenheit solch grundlegender Kritik ebenso Stellung wie Wissenschaft, die gesellschaftliche Interessen analysiert, gegebenenfalls aufdeckt und sich zu ihnen kritisch verhält. Wer also auf das politische Mandat verzichtet, nimmt damit zugleich auf andere Weise das politische Mandat wahr.«

Auch müsse eine demokratisch legitimierte Studierendenvertretung das Recht haben, sich öffentlich mit politischen Themen auseinanderzusetzen und sich zu diesen zu äußern, erklärt Bürger. Allgemeinpolitik und Hochschulpolitik seien nicht voneinander zu trennen. »Zu bestimmen, was die politischen Interessen von Studierenden sind, darf nicht in den Händen der Gerichte liegen.«

Dass trotz der Änderung des Hochschulrahmengesetzes weiterhin Urteile wie in Kassel und Berlin gefällt werden können und auch weiterhin mit Klagen zu rechnen ist, liegt zum einen daran, dass den Ländern zur Umsetzung der Novelle eine Frist von drei Jahren gelassen wird. Zum anderem aber scheinen die Gerichte nicht willens zu sein, ihre Rechtsprechung zu überprüfen und die neuen Voraussetzungen zu berücksichtigen. Stattdessen zensieren sie weiter und betätigen sich als Handlanger rechtskonservativer Studenten.

Die StudentInnenvertretungen in Gießen und Berlin sind indes nicht bereit, die Gerichtsbeschlüsse zu akzeptieren. Sie wollen sich weiter für ein politisches Mandat einsetzen. »Wir werden die Unteilbarkeit von Politik verteidigen und die künstliche Trennung in so genannte 'Allgemein-' bzw. 'Hochschulpolitik' angreifen«, kündigt Sarah Ernst an, die Öffentlichkeitsreferentin im ReferentInnenrat der HU Berlin.

Der Gießener Asta hat beschlossen, den Kläger Thilo Schmidt, Burschenschafter und Mitglied des RCDS, aufzufordern, das Hauptsacheverfahren gegen die Gießener Studierendenvertretung zu eröffnen, um gegen die absurden Beschlüsse im einstweiligen Anordnungsverfahren vorgehen zu können. Schmidt wird übrigens vom inzwischen in der Schill-Partei im Saarland aktiven Dauerkläger René Schneider unterstützt.