Korrupte Kommunisten

Paten im ZK

Lange standen organisierte Kriminelle in Vietnam unter dem Schutz korrupter Polizisten. Auch hohe KP-Mitglieder werden beschuldigt, sie gedeckt zu haben.

Steht die Partei Ho Chi Minhs unter dem Einfluss von Mördern, Zuhältern und organisierten Rauschgifthändlern? Diese Frage wird gegenwärtig in Vietnam ernsthaft diskutiert. Denn obwohl die Ausmaße der Verwicklung staatlicher Funktionäre noch nicht geklärt sind, ist mittlerweile erwiesen, dass es Verbindungen zwischen hohen KP-Mitgliedern und organisierten Kriminellen gab.

Seit Jahren treibt eine nach ihrem Chef Nam Can benannte Bande ihr Unwesen in der südvietnamesischen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt. Sie soll die Zuhälterszene der Stadt fest in Griff haben und den Drogenhandel im gesamten Süden des Landes kontrollieren. Prostitution ist in Vietnam streng verboten, und auf Drogenhandel steht die Todesstrafe. Der Bande werden auch mehrere Morde, Waffenschmuggel und Erpressungen zur Last gelegt.

Doch jahrelang waren die Ermittler machtlos. Kein Zufall, wie man heute weiß. Die Bande hatte namhafte Unterstützer, darunter mutmaßlich mindestens zwei Mitglieder des Zentralkomitees der KP. Sie wurden im Juli aller Ämter enthoben. Mit ihrer Verhaftung sowie der weiterer hoher Funktionäre wird gerechnet.

Zwischen Januar und April war den Ermittlern ein Durchbruch gelungen. 60 Mitglieder der Nam Can-Bande sowie 51 Polizisten und Polizeioffiziere wurden festgenommen. Ein ausgeklügeltes System der Verteilung von Bestechungsgeldern soll dafür gesorgt haben, dass die Bande über lange Zeit unbehelligt blieb. In Einzelfällen seien Bandenmitglieder auf Geheiß der Polizeiführung wieder auf freien Fuß gesetzt worden, falls ein nichts ahnender Polizist sie festgesetzt hatte. Die staatliche Nachrichtenagentur VNA sprach von »wöchentlichen und monatlichen Zahlungen in Höhe von 500 000 bis einer Million vietnamesischen Dong« pro Polizist, das sind umgerechnet zwischen 40 und 80 Euro. Das Monatseinkommen eines Polizisten liegt zwischen 60 und 100 Euro. Leben kann man davon nur schwer.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Polizisten ihr Einkommen aufbessern, indem sie Strafgelder und andere Gebühren kassieren, ohne eine Quittung auszustellen und das Geld an die Staatskasse weiterzuleiten. Diese Form der Korruption hat in Südostasien nicht nur eine jahrhundertealte Tradition, sie blüht im heutigen Vietnam auch dank des Einparteiensystems und der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung. Die jährlichen Wachstumsraten lagen zwischen 1990 und 1997 zwischen sieben und elf Prozent, gegenwärtig sind es vier Prozent.

Doch die staatliche Verwaltung hielt mit der Entwicklung nicht Schritt. Es fehlen gesetzliche Regelungen und Beamte, die es dem Staat ermöglichen würden, Steuern im ausreichenden Maße einzunehmen und seine Angestellten bedarfsdeckend zu entlohnen. Die allmächtigen Verwaltungskräfte, Parteifunktionäre und Polizisten wollen aber auch ihren Teil an den Gewinnen abbekommen, die in der Privatwirtschaft zumindest in Vietnams Wachstumsregionen inzwischen erwirtschaftet werden.

Zum Teil hat der Staat resigniert und seinen Beamten den Nebenerwerb gestattet. Lehrer und Hochschullehrer beispielsweise dürfen ihren eigenen Schülern und Studenten Nachhilfeunterricht gegen Bezahlung erteilen. Wer bereit ist, auf diese Weise seinen Lehrern finanziell behilflich zu sein, hat in den Prüfungen bessere Karten. Auch Polizisten dürfen offiziell Gebühren für die Benutzung von Brücken, den Schutz von Hotels usw. kassieren, müssten die Einnahmen aber eigentlich an die Staatskasse abführen. Doch wer das tut, gilt unter den Kollegen als Trottel.

Unter den Festgenommenen in Ho-Chi-Minh-Stadt waren auch der Leiter der Kriminalpolizei, Duong Minh Ngoc, sowie seine beiden engsten Mitarbeiter. »Ngoc wurde unzählige Male von Bandenchef Nam Can zum Essen eingeladen und hat von ihm Geld angenommen«, hieß es aus Ermittlerkreisen, »er investierte mit dem Chef der Unterwelt gemeinsam in zwei berüchtigte Restaurants und eine Tanzbar.« Die hätte er als oberster Kriminalbeamter eigentlich schließen müssen. In Vietnam wird nun mit Schauprozessen gerechnet, denen in einigen Fällen auch öffentliche Hinrichtungen folgen könnten.

Doch die Verbindungen der Gang reichen über Ho-Chi-Minh-Stadt hinaus. Festgenommen wurde im Mai auch Nguyen Thap Nhat, der Leiter eines Hanoier Umerziehungslagers. Ihm wird vorgeworfen, im Jahr 1995 für 11 000 US-Dollar Nam Can geholfen zu haben, aus dem Lager in ein gewöhnliches Hanoier Gefängnis überstellt zu werden. Später soll Thap Nhat noch einmal 2 000 Dollar genommen und als Gegenleistung der Tochter Nam Cans zur Freiheit verholfen haben.

1997, zwei Jahre nach seiner Festsetzung, kam Nam Can frei, obwohl er mit der Todesstrafe zu rechnen hatte. An der offiziellen Begründung, die Freilassung ginge auf ein Gnadengesuch seiner Ehefrau zurück, kommen jetzt Zweifel auf. Den Ermittlern fiel nämlich ein Papier in die Hände, in dem der Chef des staatlichen Rundfunks, Tran Mai Hanh, sich bei der Gefängnisleitung energisch für die Freiheit des Chefs der Unterwelt einsetzte.

Hanh, der auch dem Zentralkomitee der KP angehörte, wurde im Juli aller Ämter enthoben und durfte auf Geheiß der staatlichen Wahlkommission seinen kürzlich errungenen Parlamentssitz nicht einnehmen. Weil ihm die Annahme von Bestechungsgeldern nicht nachgewiesen wurde, ist er noch auf freiem Fuß. Abgesetzt wurde auch das für die Staatsanwaltschaften zuständige Mitglied der Parteiführung.

Ob mächtige Verbündete der Bande die Ermittlungen behinderten, ist nicht bekannt. Seit Juni herrscht eine strikte Nachrichtensperre zu diesem Thema. Das ist in Vietnam durchaus ungewöhnlich, denn in den letzten fünf Jahren wurde die Kontrolle der Medien gelockert. Journalisten ist es beim Thema Korruption erlaubt, eigenständig zu recherchieren. Viele Korruptionsfälle wurden durch Berichte in Zeitungen und im Fernsehen aufgedeckt. Aber wenn es nicht um kleine Provinzfunktionäre, sondern wie hier um Mitglieder des politischen Machtzentrums geht, greift die Zensur wieder ein.