Interview mit dem letzten Vorsitzenden der IG Medien, Detlef Hensche

»Eine moderne Form der Zwangsarbeit«

Die Hartz-Kommission hat ihre Reformvorschläge für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vorgelegt. Was halten Sie von solchen Kommissionen?

Es muss ja nicht schaden, wenn sich Entscheidungsträger sachkundig machen. Prekär und gefährlich wird es, wenn im Grunde unter Ausschaltung des Parlaments das Votum von Sachverständigenkommissionen oder so genannten Experten nicht mehr inhaltlich diskutiert oder hinterfragt wird. Damit habe ich Probleme. Das sind dann durch nichts legitimierte Propheten, die vom Kanzler die Salbung bekommen.

Mich macht die systematische Ausschaltung all derer, die im Vorfeld solcher auf Umsetzung orientierten Empfehlungen eigentlich gefragt werden müssten, nachdenklich. Doch die Partei ist stillgestellt, darf nichts sagen. Die Bürger haben den drängenden Aufruf des Kanzlers vernommen, jetzt um Himmels Willen keine Detailkritik vorzunehmen. Das gilt nun auch als Kanzlerweisung für die beiden Fraktionen. Da sehe ich tendenziell Demokratiedefizite auf uns zukommen.

Angenommen, das Hartz-Papier läge einem Gewerkschaftstag zur Beratung vor, könnten wir davon ausgehen, dass es zu einer leidenschaftlichen Diskussion kommen würde?

Das vermute ich. Nach allem, was ich in den vergangenen Wochen vernommen habe, waren die Stellungnahmen von der Basis der Gewerkschaften überwiegend kritisch bis ablehnend.

Die Gewerkschaftsführungen müssen die Hartzschen Weisheiten nun von oben nach unten transportieren. Hebelt ein solcher Prozess die innergewerkschaftliche Demokratie aus?

Das sehe ich nun nicht. Wichtiger ist, ob überhaupt eine Diskussion stattfindet. Dann ist es egal, wer sie anzettelt. Eine solche muss selbstverständlich zugelassen sein! Das Hartz-Papier ist in großen Teilen kein geglückter Politikentwurf. Was nun die Feierstunde im Französischen Dom und die dort abgegebenen politischen Erklärungen betrifft, so war das meines Erachtens eine Veranstaltung, die sachkundige Diskussionen am Detail in Partei, Fraktion und Parlament ausschalten soll. Das ist in meinen Augen kritikwürdig.

Vor einigen Wochen wurde auf dem DGB-Kongress ein Antrag zur Zukunft der Arbeit verabschiedet, in dem einer »Deregulierung, die nur das Ziel verfolgt, Unternehmerrisiken auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzuwälzen«, eine Absage erteilt wurde. Kernpunkte im Hartz-Papier präferieren Arbeitsverhältnisse auf Abruf in Form von Leiharbeit, Ich-AG und Mini-Jobs.

Wenn ich den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer richtig gehört habe, hat der DGB dem Hartz-Papier nicht vorbehaltlos zugestimmt. Sommer sagte, der DGB werde konstruktive Kritik üben und den Umsetzungsprozess begleiten. Dabei wird man sich hoffentlich daran erinnern, was der DGB-Bundeskongress beschlossen hat.

Leiharbeitsverhältnisse auf Dauer unter der Ägide des Arbeitsamtes zu installieren, muss keinen Kahlschlag an Regulierung bedeuten. Wenn die Beschäftigten der zukünftigen Personal-Service-Agenturen (PSA) zu anständigen Tarifbedingungen angestellt werden und andere Arbeitnehmerrechte wie die Bildung von Betriebsräten gewährleistet sind, beißt sich das nicht mit dem DGB-Beschluss.

Im Abschnitt zu den PSA, den Hartz als das »Herzstück« des Berichtes bezeichnet, steht aber, die Beschäftigten »erhalten während der Probezeit einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes«. Das heißt, ein Arbeitsloser arbeitet sechs Monate für lau.

Solche Leiharbeit halte ich für eine moderne Form der Zwangsarbeit. Im Klartext: Leiharbeit ist nur unter der Bedingung eines sozial reformierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes akzeptabel. Dazu gehört die Geltung der einschlägigen Tarifverträge im Entleihbetrieb; gibt es solche nicht, müssen mit der PSA welche abgeschlossen werden.

Was nun die Ich-AG angeht, so halte ich das für schiere Scharlatanerie. Es wird nicht stattfinden, was sich die Kommission davon verspricht. Wenn sich jemand mit finanzieller Unterstützung des Arbeitsamtes selbständig machen möchte, dann mag er es tun. Wird aber jemand gezwungen, diesen Weg zu beschreiten, dann stünde das im krassen Gegensatz zu den Positionen des DGB.

Im so genannten Modul neun wird auch die Geringfügigkeitsgrenze auf 500 Euro aufgestockt. Es geht um Mini-Jobs, die auf haushaltsnahe Dienstleistungen beschränkt sein sollen. Erwarten Sie davon ein Jobwunder?

Diesen Komplex halte ich erstens beschäftigungspolitisch für einen Aberwitz, zweitens für den Betroffenen schwer zumutbar und drittens für volkswirtschaftlich rückwärtsgewandt. Was unsere Volkswirtschaft braucht, ist die Förderung von Arbeitsplätzen, die höchst anspruchsvoll sind. Wenn das Land zukunftsfähig und international wettbewerbsfähig sein soll - sofern dieses Argument gestattet ist -, brauchen wir qualifizierte Menschen.

Förderungen mit Steuermitteln oder Beitragsabgaben von Jobs mit minderer Qualifikation sind das Gegenteil von dem, was ökonomisch und volkswirtschaftlich nötig ist. Zudem ist so etwas für die Betroffenen eine Sackgasse. Wer abgestempelt wird - egal ob er eine Ausbildung hat oder nicht -, diese Art von Tätigkeit auszuüben, die in Zukunft Kraft öffentlicher Förderung auch nachgefragt werden kann, bleibt in dem Teufelskreis von unqualifizierter Beschäftigung und letztlich Arbeitslosigkeit stecken. Typischerweise wird hier Frauen ein Weg vorgezeichnet, der sie disqualifiziert und diskriminiert, und das unter Umständen mit einer gigantischen staatlichen Förderung. Im Übrigen verbietet der gesetzliche Gleichstellungsauftrag ein solches Vorgehen.

Auch aus einem anderem Grund müssen bei den Gewerkschaften alle Warnlampen angehen. Egal ob solche Mini-Jobs sektoral eingegrenzt sind oder nicht, die öffentliche Förderung und Subventionierung von Niedriglohnjobs hat zwangsläufig eine Sogwirkung auf alle anderen, auch tarifvertraglich vereinbarten Löhne. Das ist eine Spirale nach unten. Auch gut bezahlte Facharbeiter werden irgendwann Dumpingkonkurrenz fürchten müssen.

Herr Hartz hat uns nun mit einem Korb voller Maßnahmen beglückt. Arbeitsplätze sind da aber nicht drin.

Das ist der Hauptkritikpunkt. Man kann die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsämter, die in Zukunft Jobcenter heißen sollen, noch so verbessern. Man kann mit dem Füllhorn staatlicher Subvention bestimmte Jobs fördern und mit Wertpapieren Unternehmer in den neuen Bundesländern schmieren - das alles schafft keine Arbeitsplätze. Das Problem besteht darin, dass wir nicht zuletzt wegen staatlicher Haushaltspolitik und konjunktureller Entwicklung unter massiven Wachstumsdefiziten leiden. Dieselbe Regierung, die die Hartz-Kommission einsetzt, bremst wirtschaftliche Entwicklung durch eine aberwitzige Sparpolitik. So schafft man keine Arbeitsplätze.