Eine Welt, viele Widersprüche

Auf dem Johannesburger Gipfel werden nicht nur die Gegensätze zwischen der EU, den USA und den Entwicklungsländern, sondern auch zwischen der Ökonomie und der Ökologie manifest.

Unwetterkatastrophen sind kein Privileg des Südens, das haben die letzten Wochen in Europa deutlich gezeigt«, sagt Yolanda Kakabadse, die Präsidentin der internationalen Naturschutzunion (IUCN). Vor zehn Jahren organisierte sie die Konferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro im Auftrag der Vereinten Nationen, nun hofft sie auf ein positives Signal in Johannesburg. »Die Lebensqualität nimmt weltweit ab, der Entscheidungsdruck damit zu«, gibt sich die ehemalige Umweltministerin von Ecuador optimistisch. Und die französische Tageszeitung Le Monde brachte gar die Schlagzeile zustande: »Auf dem zweiten Weltgipfel reimt sich Ökonomie auf Ökologie.«

Aktuelle Statements der EU-Regierungen scheinen dem auf den ersten Blick Recht zu geben. Doch ob es zur Renaissance des Leitbilds von der »nachhaltigen Entwicklung« kommt, steht in den Sternen. Viele Hoffnungen waren auf dem Gipfel von Rio geweckt worden, erfüllt haben sich nur wenige.

Abkommen zum Schutz der Umwelt, wie die Klimarahmenkonvention, die Konvention zur biologischen Vielfalt oder zur Kontrolle von Giftstoffen und Pestiziden, wurden verabschiedet. Doch gewirkt haben sie nur in engen Grenzen. Gleichzeitig steigt der Energieverbrauch ständig, das Abholzen tropischer wie nicht tropischer Wälder geht genauso wie das Artensterben unverändert weiter, der CO2-Ausstoß nahm im letzten Jahrzehnt um neun Prozent zu. Allein beim Pestizidverbrauch ist ein Rückgang festzustellen.

Die Ziele waren denkbar hoch gesteckt worden. »Das Recht auf Entwicklung muss so erfüllt werden, dass den Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen heutiger und künftiger Generationen in gerechter Weise entsprochen wird«, so die in Rio verabschiedete Deklaration. Die Kernforderung war jene nach sustainable development, nach Gerechtigkeit und Wohlstand bei gleichzeitigem Erhalt der natürlichen Umwelt. Die friedliche Koexistenz der Warenproduktion und der Umwelt wurde zum neuen Entwicklungsparadigma, bis dahin war die »nachholende Entwicklung« der ärmeren Staaten proklamiert worden.

Grundlage des Paradigmenwechsels war die Erkenntnis, dass die »ökologische Tragfähigkeit der einen Welt« an ihre Grenzen stoße. Damit verbunden war die Abkehr von der so genannten Verschwendungskultur der industrialisierten Staaten der Nordhalbkugel.

Allerdings wurde der Lebensstil des Nordens nicht per se in Frage gestellt, wie etwa der angeregte Ankauf von CO2-Emissionsgutscheinen durch die USA zeigt, sondern nur als untauglich für die Entwicklungsländer definiert. Die Verteilung der Reichtümer und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die eine der wichtigsten Ursachen für den Raubbau an den natürlichen Ressourcen bilden, wurden nicht zur Disposition gestellt. Das Ziel ist es vielmehr, die Auswirkungen und Probleme kapitalistischer Globalisierung auf ein erträgliches Niveau zu bringen.

Dabei ist die Armut eine der zentralen Ursachen für die Rodung der tropischen Regenwälder, um Ackerfläche für die Ernährung zu erschließen. Die Auswirkungen auf das Klima machen sich jedoch in der ganzen Welt in Form von Naturkatastrophen bemerkbar und kosten mehr als die 17 Milliarden Euro, die von Greeenpeace veranschlagt werden, um die Urwälder zu schützen.

Solche Summen können aber von den Ländern des Südens kaum aufgebracht werden, denn von der derzeitigen internationalen Wirtschaftskrise sind viele Entwicklungs- und Schwellenländer betroffen. Überschuldung und Korruption machen genauso wie die fehlende Priorität der Umweltproblematik auf der nationalen Ebene eine Neubestimmung der Umweltpolitik in vielen Entwicklungsländern obsolet. Die meisten Staaten sind auf finanzielle und technische Hilfen angewiesen, gleichzeitig werden die bestehenden Fonds kaum ausgeschöpft.

Dafür macht Hans-Peter Schipulle vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Mangel an Fachleuten verantwortlich. So ist oftmals ein Experte für eine ganze Reihe von Bereichen zuständig, für die andere Länder, vor allem die USA und die Europäer, ganze Delegationen aufbieten. Für die Analyse der oftmals sehr komplizierten Konventionen und Rahmenvereinbarungen bleibt kaum Zeit. Deshalb werden bereitstehende Ressourcen nicht abgerufen und auch die Verwandlung der Konventionen in nationales Recht verzögert sich. Und Umweltministerien gehören im Norden wie im Süden zumeist zu den »schwachen« Ministerien, die kaum politisches Gewicht haben.

Während auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene die Erfolge von Rio den Erwartungen nicht gerecht werden, ist auf lokalem Niveau das Umweltbewusstsein gestiegen. Hier hat die Agenda 21 durchaus gewirkt, meint Frau Kakabadse. »In den Gemeinden ist es zu vielfältigen Veränderungen gekommen, und der Druck von unten auf die Verantwortlichen nimmt zu.«

Auch das ist ein Grund, weshalb sich das Verhältnis zwischen den Regierungen, der Wirtschaft und den NGO in der letzten Dekade nicht nur verbessert hat. »Fehlende Transparenz, der Mangel an nachprüfbaren Rechenschaftsberichten und die Nichteinhaltung von getroffenen Vereinbarungen haben Misstrauen und Ablehnung entstehen lassen. Ohne die Interaktion von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, vertreten durch die NGO, kommen wir jedoch nicht weiter«, meint die Umweltexpertin.

Interaktion, das klingt eher nach Verhandlungen als nach Konflikt. Und interaktiv in diesem Sinne war auch das Modell, nach dem in Deutschland monatelang zwischen der Bundesregierung, diversen NGO und der Industrie über soziale und ökologische Aspekte von Auslandsinvestitionen verhandelt wurde. Das Ergebnis wollte die Bundesregierung in Johannesburg als vorbildlich präsentieren. Die NGO verlangten verbindliche Richtlinien für Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland, doch im Juli verweigerte der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) endgültig seine Unterschrift, denn sie schaden angeblich der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

Doch es sind nicht nur die Konzerne, die verbindliche Regeln verhindern. Als Buhmann auf dem Gipfel dienen insbesondere die USA, die sich weigern, das Protokoll von Kyoto zu ratifizieren, das zur Verringerung der Emission von Treibhausgasen verpflichtet. Anders als die europäischen Staaten haben die USA nach den Ölkrisen der siebziger Jahre die Abhängigkeit ihrer Industrie und der privaten Haushalte von fossilen Brennstoffen kaum gemindert. So kann Bundesumweltminister Jürgen Trittin auch den Widerstand der USA sowie der Opec-Länder gegen das von der EU angestrebte Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2010 auf 15 Prozent zu erhöhen, öffentlich kritisieren. Der Export entsprechender Technologie schadet der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nämlich nicht.