30. Jahrestag des Attentats von München

Heitere Spiele

Am 5. September jährt sich zum 30. Mal das Attentat auf israelische Sportler bei der Olympiade in München.

War es Flucht vor der Wirklichkeit, eine technische Panne oder einfach nur maßlose Selbstüberschätzung? Am späten Abend des 5. September 1972 jedenfalls verkündete der Sprecher der damaligen Bundesregierung, Conrad Ahlers, die Geiselnahme im Münchner Olympiadorf sei beendet und die Geiseln seien befreit. Die »heiteren Spiele« sollten weitergehen, beschloss auch das Internationale Olympische Komitee (IOC), dem der Leiter des Nationalen Komitees (NOK) Willi Daume dieselbe Botschaft überbracht hatte. Doch die Botschaft entsprach nicht den Tatsachen.

Erst Stunden später, nachts um 1.32 Uhr, endete die wahrscheinlich dilettantischste Geiselbefreiung der Polizeigeschichte in einem Desaster. Elf Geiseln waren tot, neun davon bei der missglückten Polizeiaktion ums Leben gekommen. Von den acht palästinensischen Geiselnehmern überlebten nur drei. »Sie haben uns die Seele aus dem Leib geschossen«, meinte NOK-Präsident Daume später. Wer aber genau auf wen schoss, ist nach wie vor unklar.

Was war geschehen? Am Morgen des 5. September drang ein schwer bewaffnetes Kommando der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September in die Quartiere der israelischen Olympiamannschaft ein. Die Männer erschossen den Ringertrainer Moshe Weinberg und den Gewichtheber Joseph Romano, die sich ihnen entgegenstellten. Alarmiert durch die Schüsse, konnten einige der israelischen Sportler durch Fenster entkommen, neun gerieten in die Gewalt des Kommandos, Moshe Weinbergs Leiche wurde auf die Straße geworfen. Dem Polizeipräsidenten und Leiter der Einsätze, Manfred Schreiber, wurde ein Pamphlet übergeben, in dem die sofortige Freilassung von 200 Gefangenen hauptsächlich aus israelischer Haft gefordert wurde. Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Sie seien »eingemauert in einer Traumwelt« und nicht fähig gewesen, die Realität zu erfassen, kritisierte später die New York Times die deutschen Verantwortlichen.

In der Tat zeigten sich die deutschen Behörden vollkommen überfordert. Absurderweise hatte eine polizeiliche Vorbereitungsgruppe vor den Spielen ein fast identisches Szenario ausgearbeitet, mit dem vor einer möglichen gewalttätigen Geiselnahme gewarnt wurde. Der Verfassungsschutz hatte zudem bereits Ende August Fluggesellschaften alarmiert, dass nach Informationen von Interpol palästinensische Aktionen in Deutschland geplant seien. Die Hinweise wurden jedoch nicht weiter verfolgt. Nichts durfte die »heiteren Spiele« stören, mit denen Deutschland das Naziregime und die Olympiade von 1936 vergessen machen und sich als weltoffenes Land präsentieren wollte.

Wäre der Vorfall nicht derart furchtbar, man könnte ihn für eine Posse über die Bundesrepublik der siebziger Jahre halten. Während Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) im Zimmer des Journalisten und Schweinderlverteilers Robert Lembke versuchte, den ägyptischen Staatspräsidenten Anwar el-Sadat ans Telefon zu bekommen, und der Stadionsprecher Joachim Fuchsberger die Unterbrechung der Wettkämpfe bekannt gab, lobte Ulrike Meinhof im Gefängnis Köln-Ossendorf die »Genossen vom Schwarzen September« für ihre gelungene Aktion. Obwohl mittlerweile auch der Leiter des israelischen Geheimdienstes vor Ort war und die Hilfe einer speziell geschulten israelischen Antiterroreinheit anbot, beschloss die deutsche Einsatzleitung, das Problem selbst zu lösen.

Als die Geiselnehmer um 22.38 Uhr zusammen mit den Sportlern in Hubschraubern auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck eintrafen, von wo sie nach Ägypten fliegen wollten, schlug die Polizei zu. Fünf Scharfschützen trafen zwei der acht Männer tödlich, die anderen Geiselnehmer verschanzten sich hinter den Hubschraubern, in denen die Geiseln saßen. Erst nach drei Stunden Schießerei gelang es der Polizei, die überlebenden Attentäter zu verhaften. Fünf der gefesselten Geiseln starben durch eine Handgranate, die einer der Terroristen in ihren Hubschrauber warf, die anderen im Kugelhagel. Ein Polizist wurde von einem Querschläger getötet.

Die Liste der Pannen ist schier unendlich. Ein Polizeitrupp, der die Geiselnehmer im Flugzeug hätte überwältigen sollen, wurde einfach abgezogen; der Polizeifunk funktionierte nicht, der Telefonkontakt brach zusammen, Scharfschützen schossen daneben. Auch die vorgetragene Begründung des Einsatzes wurde niemals wirklich bestätigt. Die ägyptische Regierung habe die Aufnahme der Gruppe verweigert, hieß es damals. Man sei deshalb davon ausgegangen, dass die Geiseln in den sicheren Tod reisen würden. Die Ägypter stritten das jedoch ab. Ungeklärt ist zudem, ob die Geiseln nicht auch von Kugeln getroffen wurden, die deutsche Polizisten abgefeuert hatten.

Von einer Mitverantwortung will man in Deutschland jedoch nichts wissen. Als Konsequenz aus dem Attentat wurde mit der GSG 9 lediglich eine eigene Antiterroreinheit ins Leben gerufen. Die Hinterbliebenen der getöteten Geiseln warteten bis 1992 vergeblich auf eine wenigstens symbolische Entschädigung der Bundesrepublik. Erst als Kopien deutscher Ermittlungsakten in Israel auftauchten, bot man eine einmalige Zahlung an.

Auch andere werden nicht gerne an die Taten des Schwarzen September erinnert. Mohammed Daoud Machmoud Auda, unter dem Namen Abu Daoud als führender Politiker der Palästinensischen Autonomiebehörde bekannt, veröffentlichte 1999 seine Autobiografie, in der er behauptete, Yassir Arafat habe vorher von der Aktion gewusst. Abu Daoud war einer der führenden Köpfe der Terrororganisation, die sich nach der Niederschlagung der PLO durch jordanische Truppen im September 1970 benannte. Die Entstehung des Schwarzen September erinnert an die Zusammenarbeit palästinensischer Organisationen und an das Wechselspiel von Terror und Diplomatie heute. Die Gruppe war ein Konglomerat aus verschiedenen Fraktionen der PLO, die nach der Niederlage zu terroristischen Kommandoaktionen überging, ohne dass Arafats Fatah-Bewegung eine direkte Beteiligung nachgewiesen werden konnte.

Nach einem weiteren Blutbad in der saudischen Botschaft in Khartum im Jahr 1973 wurde die Gruppe Schwarzer September aufgelöst. Eine glaubhafte Distanzierung von ihren Aktionen lässt Arafat bis heute vermissen. In der Zeitung der palästinensischen Autonomiebehörde Al-Hayat Al-Jadida rief er noch im Januar 2000 zum Boykott der Olympischen Spiele in Australien auf. Dort sollte in einer Schweigeminute der Opfer von München gedacht werden.