Vertriebene feiern den Tag der Heimat

Oh du ferne Heimat mein

Am vorigen Samstag feierten die Vertriebenen den Tag der Heimat. Dort forderten sie auch eine Entschädigung deutscher »Zwangsarbeiter«.

Die Empörung im Saal war spürbar. »Deutsche Täter sind keine Opfer«, konnte man in der Komischen Oper in Berlin hören, wo sich am vergangenen Samstag der Bund der Vertriebenen (BdV) zum so genannten Tag der Heimat traf. Es waren zwar nur rund 300 Menschen, die vor der Oper gegen das Treffen demonstrierten, aber lautstark waren sie.

Dafür legte sich dann Erika Steinbach, die Vorsitzende des BdV, wieder einmal ins Zeug. »Wer vergisst, dass jedes Land, das Mitglied in der EU werden will, Menschen- und Minderheitenrechte umgesetzt haben muss, vergeht sich am Geist und an der Zukunft Europas. Wir wollen, dass menschenrechtsfeindliche Gesetze vor dem Beitritt abgeschafft werden«, forderte sie beim Festakt und meinte keineswegs die Todesstrafe in der Türkei. Ihr geht es um die Verordnungen zur Enteignung und Umsiedlung der so genannten Volksdeutschen in der Tschechoslowakei, in Polen und Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg.

Steinbach empörte sich, dass tschechische Politiker in den vergangenen Monaten »alle Menschenrechtsnormen schamlos über Bord geworfen haben«, als sie die Benes-Dekrete verteidigten, kraft deren die Sudetendeutschen nach dem Krieg die Tschechoslowakei verlassen mussten. »Dieses tschechische Spiel darf nicht aufgehen«, sagte Steinbach und verglich Edvard Benes, den damaligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten, mit Slobodan Milosevic, der auch »wegen Vertreibungen« auf der Anklagebank in Den Haag sitze.

War das nur das dumme Gerede einer ewig Gestrigen? Schön wär's. Doch in den vergangenen Monaten wurden viele Forderungen der Vertriebenenverbände von der Bundesregierung und der Opposition übernommen. Im Wahlkampf kommt kaum eine Partei mehr am BdV vorbei, der mit seinen rund zwei Millionen Mitgliedern eine der größten Lobbyorganisationen in Deutschland ist und behauptet, für 15 Millionen deutsche Vertriebene zu sprechen.

In seinen so genannten Wahlprüfsteinen verlangt der BdV, dass die nächste deutsche Regierung Polen, Tschechien und Slowenien noch vor dem EU-Beitritt zur Aufhebung der Dekrete drängen müsse, die die Umsiedlung und Enteignung der »Volksdeutschen« nach 1945 regelten. Die Umsiedlung dieser Menschen betrachtet der BdV nicht als Folge der nationalsozialistischen Kriegs- und Vernichtungspolitik, sondern als »von langer Hand systematisch vorbereitetes Verbrechen« der osteuropäischen Regierungen.

Und damit nicht genug. Ein Zentrum gegen Vertreibung in Berlin müsse her, der 5. August, der Tag, an dem 1950 die Charta der deutschen Heimatvertriebenen unterschrieben wurde, solle zum nationalen Gedenktag erhoben und die Entschädigungen für die »Zwangsarbeit« Deutscher nach 1945 in Osteuropa rechtlich anerkannt werden.

Über diesen letzten Punkt haben sich die Konkurrenten im Bundestagswahlkampf unterschiedlich geäußert. Während das Bundeskanzleramt die Annahme einer Petition verweigerte, in der die Ansprüche von 100 000 deutschen »Zwangsarbeitern« formuliert werden, sicherte Edmund Stoiber (CSU) im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler eine Entschädigung zu. Auf dem Deutschlandtreffen der Landsmannschaft Ostpreußen am 23. Juni forderte Stoiber, Polen müsse sich von den »Dekreten, aufgrund derer die Deutschen entrechtet und vertrieben wurden«, »verbindlich und versöhnend trennen«. Das »Recht auf Heimat« für die Ostpreußen müsse nicht nur in Polen, sondern auch im russischen Kaliningrad zur Geltung kommen.

Polnische Regierungsvertreter warfen Stoiber daraufhin vor, er betreibe die Revision des Potsdamer Abkommens von 1945, in dem die Umsiedlung beschlossen worden war. Die Siegermächte betrachteten die Überführung der Deutschen als eine Maßnahme, die dazu beitragen sollte, dass Deutschland »weder seine Nachbarn noch den Weltfrieden jemals wieder bedrohen kann«.

Doch für den Angriff auf das Potsdamer Abkommen kann Stoiber kein Urheberrecht beanspruchen. Bereits im Jahr 2000 hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) beim Festakt zum 50jährigen Bestehen der Charta der deutschen Heimatvertriebenen gesagt: »Vertreibung, daran kann es keinen Zweifel geben, ist stets ein Unrecht.«

Doch im Gegensatz zu Stoiber will Schröder einen EU-Beitritt nicht mit der Aufhebung der jeweiligen Gesetze in Polen, Tschechien und Slowenien verknüpfen. Wogegen sich die osteuropäischen Regierungen momentan noch nach Kräften wehren, nämlich den deutschen Vertriebenen Rechtsansprüche auf den Grunderwerb einzuräumen, das versucht die rot-grüne Koalition im Zuge der Ost-Erweiterung still und heimlich zu erreichen.

Übergangsfristen zur Verzögerung der Niederlassungsfreiheit und des Grunderwerbs Deutscher sollen den Beitrittskandidaten nicht zugestanden werden.

Der Streit in Deutschland dreht sich im Wesentlichen um die Frage, wie die deutschen Ansprüche durchgesetzt werden sollen: mit lautem Getöse und Drohgebärden im Stile Stoibers und der sudetendeutschen Landsmannschaft oder mit Joschka Fischers Menschenrechtsrhetorik.

Doch ungeachtet aller Stilfragen nehmen es die Vertriebenenverbände mittlerweile befriedigt zur Kenntnis, dass die rot-grüne Regierung sich für ihre Forderungen stark macht. In ihrer Festrede zum Tag der Heimat dankte Steinbach ausdrücklich Otto Schily »für eine wirklich vertrauensvolle Zusammenarbeit. Herr Minister, Sie haben 1999 der politischen Linken die Tore zu einem gesellschaftspolitischen Thema neu geöffnet, das erst sehr viel später von Günter Grass durchschritten wurde.«

Steinbach spielte damit auf Schilys Rede zum 50. Jahrestag der Gründung des BdV 1999 im Berliner Dom an. Schily hatte dort die Auffassung der Alliierten kritisiert, dass ein dauerhafter Friede in Europa nur nach einem Transfer der deutschen Bevölkerung aus Osteuropa möglich werde. Dies sei das Konzept einer »Entmischung der Völker« gewesen und erinnere in fataler Weise an das Konzept der »ethnischen Säuberung«.

Doch so sehr sich das rot-grüne Vokabular inzwischen den Landsmannschaften annähert, es ist dennoch nicht damit zu rechnen, dass der BdV zum Wahlkampfhelfer für Schröder und Fischer wird. Denn während die Bundesregierung die Niederlassungs- und Gewerbefreiheit Deutscher im Zuge der Osterweiterung betreibt, will der BdV eine Rückübereignung und Entschädigungen.

Außerdem streiten sich der BdV und die Bundesregierung über das so genannte Zentrum gegen Vertreibung. Prinzipiell hat die Bundesregierung dem Projekt zwar zugestimmt, doch über den Standort ist man sich nicht einig. Während die Union und Schily den Vorschlag des BdV, das Zentrum in Berlin zu errichten, unterstützen, plädiert Schröder für einen Standort im europäischen Ausland, etwa in der Schweiz.

Um die Öffentlichkeit auf den Standort Berlin einzuschwören, ließ der BdV am Tag der Heimat als Festredner Guido Knopp, den Lieblingshistoriker des ZDF, und den ehemaligen Beauftragten für die Stasiunterlagen, Joachim Gauck, auftreten. Knopp, den die Vertriebenen wegen seiner einschlägigen Fernsehreihen schätzen, sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Zentrums gegen Vertreibung. Gauck wiederum stellte in seiner Rede beim Festakt das geplante Zentrum auf eine Stufe mit dem Holocaust-Denkmal. Er nannte Berlin den »angemessenen Ort« für das Zentrum, weil es dort Stätten der Erinnerung an die Judenvernichtung gebe. Wie sagte Stoiber einmal so schön: »Jedes Unrecht steht für sich.«