Debatte über den nächsten Krieg

Bitte einsteigen, der Zug fährt ab

In den USA sollen patriotische Parolen den Republikanern zum Wahlsieg verhelfen und die Demokraten auf den Krieg gegen den Irak einschwören.

Es war ein anstrengender Tag für den Präsidenten. Nach dem Kirchgang leitete er die Schweigeminute vor dem Pentagon, flog dann nach Pennsylvania und schließlich nach New York. Dennoch hat George W. Bush die Reden am 11. September ohne die typischen Versprecher bewältigt. Handfeste Argumente für die nächste Kriegsrunde zu präsentieren, hätte an diesem Trauertag pietätlos erscheinen können. So beschränkte Bush sich darauf, am Mythos des 11. September zu basteln. Die Botschaft aber war deutlich genug.

Mit Pathos und religiösen Metaphern bemühte Bush das Bild des auserwählten Volkes mit einer heiligen Mission: »Unsere Sache ist sogar noch größer als unser Land. Unser ist die Sache der menschlichen Würde, der Freiheit, geleitet vom Gewissen und geschützt durch Frieden. Dieses Ideal Amerikas ist die Hoffnung der ganzen Menschheit (...) Diese Hoffnung erleuchtet noch immer unseren Weg. Und das Licht scheint in der Dunkelheit und die Dunkelheit wird es nicht überwinden.«

Mit diesen Worten schloss Bush den ersten »Patriot's Day« ab. Hinter ihm stand die Freiheitsstatue mit ihrer leuchtenden Fackel, die politische Symbolik war fürs nationale Publikum gedacht und perfekt inszeniert. Aber nicht alle Amerikaner waren zufrieden. In einer alternativen Kneipe im East Village, unweit von Ground Zero, hat Bush keine Freunde. »Der Cowboy im Weißen Haus dreht durch. Der Angriffskrieg gegen Saddam ist nur der Anfang, und die Demokraten machen mit«, sagte ein Aktivist der Gruppe New Yorkers Say No to War. »Bush ist New York egal. Die New Yorker haben ihn nicht gewählt«, meint er. »Er sollte uns in Ruhe lassen, er bringt nur Gefahr.«

Die Gruppe hielt eine eigene Gedenkveranstaltung ab, ebenso wie Families for Peaceful Tomorrows, in der Angehörige von Opfern der Anschläge organisiert sind, die sich für eine gewaltfreie Strategie gegen den Terrorismus einsetzen. Doch die überall spürbare Angst vor neuen Anschlägen erzeugt bei den meisten Menschen eine patriotische Kriegsstimmung, nicht selten verbunden mit antiarabischen und antimuslimischen Ressentiments. »Allah wird euch möglicherweise vergeben, aber wir werden es nicht tun«, steht auf einem Plakat, das in der Nähe von Ground Zero hängt, und es wird wieder häufiger über die »Camel Jockeys« geschimpft. Eine Stimmung, die in den ländlichen Gebieten noch weiter verbreitet ist als in New York und anderen großen Städten.

Die Unterstützung für einen Krieg gegen den Irak ist jedoch nicht einhellig. Einer von der New York Times in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge befürworteten Anfang September 61 Prozent der Bevölkerung einen »Präventivschlag«, die Zahl der Kriegsgegner und Zweifler ist seit dem Frühjahr gestiegen. Bush hat auch noch nicht die Gefolgschaft der Demokraten und nicht einmal die Zustimmung aller Republikaner.

Allerdings kann sich die Regierung früher oder später der Unterstützung der wichtigen Politiker beider Parteien sicher sein. Denn nach der Heroenverehrung und dem patriotischen Pathos um den 11. September und mit Rücksicht auf die Kongresswahl im November werden die Kritiker verstummen. Die Republikaner wollen die knappe Mehrheit der Demokraten im Senat brechen, die derzeit noch Bushs reaktionäre Innenpolitik erfolgreich bekämpft. So weigert sich der Senat seit zwei Jahren, die von Bush ernannten Bundesrichter zu bestätigen. Teile des Energy-Plans, der unter anderem Naturschutzgebiete in Alaska für die Ölgewinnung freigeben soll, werden in den Ausschüssen blockiert.

Aus dem Senat werden auch unbequeme Fragen nach der Rolle der Regierung in den Bilanzfälschungsskandalen gestellt, die die Republikaner in Zeiten der Rezession Wählerstimmen kosten können. Fast wichtiger sind momentan die Finanzhilfen für die Opfer der Dürre, die viele Landarbeiter und Kleinfarmer geschädigt hat. Der Senat beschloss auf Initiative der Demokraten mit einer Zweidrittelmehrheit großzügige Hilfsmaßnahmen, gegen den ausdrücklichen Willen der Regierung. Ein Präsident, der den Krieg gegen den Terror über die Interessen des »einfachen Amerikaners« stellt, so Tom Daschle, der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, verdiene »keine unterstützende Mehrheit in den Häusern des Kongresses«.

Je mehr die Kandidaten über Krieg und Terrorismus sprechen statt über Enron, Pleiten und Dürre, desto größer sind die Chancen der Republikaner im November. Niemand, der seinen Sitz im Kongress behalten will, wird sich in den kommenden Wochen gegen einen Krieg aussprechen.

Denn die Demokraten stehen immer im Verdacht, keine »guten Amerikaner« zu sein. Sie können allenfalls von der Regierung verlangen, Beweise für die irakische Bedrohung vorzulegen und den Kongress zu konsultieren. Schon die Forderung nach einem UN-Mandat kann als Mangel an Patriotismus gedeutet werden. »Demokraten, die darauf warten, dass die Uno handelt? Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte Bush am Freitag vergangener Woche, »dass ein Mitglied des Senats oder des Repräsentantenhauses sagt 'ich denke, ich warte bis die Vereinten Nationen eine Entscheidung treffen'«.

Die so genannte internationale Gemeinschaft in den Krieg zu führen, ist eine schwerer zu lösende Aufgabe. In seiner Rede vor der UN-Vollversammlung am letzten Donnerstag bekannte sich Bush sogar zum Kampf gegen Armut und Krankheiten, kam aber dann schnell auf den Irak zu sprechen. »Werden die Vereinten Nationen ihren Gründungszweck erfüllen, oder werden sie irrelevant sein?«, fragte er in die Runde. Die Relevanz der Uno machte Bush abhängig von der Zustimmnung zu den Plänen der USA: »Wir werden mit dem UN-Sicherheitsrat für die notwendigen Resolutionen arbeiten. Aber die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten sollte nicht bezweifelt werden.« Die Rede dürfte Gegner und Zweifler kaum überzeugt haben, zumal Bush keine Beweise für eine akute Bedrohung durch den Irak vorlegte.

Mehr Erfolg verspricht das Bemühen um europäische Alliierte. Großbritannien gilt als sicherer Verbündeter. Die US-amerikanischen Medien rechnen aber auch mit einer Unterstützung Frankreichs, da Präsident Jacques Chirac in einem Interview in der New York Times am Montag der vergangenen Woche den Krieg nicht kategorisch ablehnte und die Freundschaft mit den USA ausdrücklich betonte. Die Unterstützung wichtiger europäischer Staaten wiederum könnte Russland und China bewegen, im Sicherheitrat auf ein Veto zu verzichten, damit dieses Gremium nicht gänzlich irrelevant wird.

So können die Differenzen zwischen dem Flügel um Außenminister Colin Powell, der einen militärischen Alleingang ablehnt, und den Unilateralisten um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auch als Arbeitsteilung betrachtet werden. Während Rumsfeld verkündet, dass man auf verweichlichte Europäer und unzuverlässige Araber getrost verzichten könne, gibt Powell den potenziellen Bündnispartnern zu verstehen, dass es vorteilhafter sei, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, den sie nicht stoppen können.