Großbritannien: Tony Blair unter Druck

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Tony Blair ist der einzige Regierungschef der EU, auf dessen Unterstützung George W. Bush wirklich zählen kann. In den Gewerkschaften und in seiner Partei ist Blairs Position jedoch umstritten.

Im Verhältnis der USA zu Europa kommt Großbritannien im Moment eine Schlüsselrolle zu. Schließlich ist der britische Premierminister Tony Blair der einzige europäische Regierungschef, der sich in der Politik gegenüber dem Irak scheinbar bedingungslos den USA anschließt. Er hat es, anders als seine europäischen Kollegen, seit dem 11. September des vergangenen Jahres durchgehalten, »Schulter an Schulter« neben George W. Bush zu stehen, auch wenn ihm das viel Kritik eingebracht hat.

So kritisierte der französische Präsident Jacques Chirac Blairs Unterstützung der USA als »kriecherisch«, um anschließend hervorzuheben, dass er damit Großbritannien außenpolitisch isoliere. »Es ist nicht so, als stünden Schröder und ich auf der einen Seite und Bush und Blair auf der anderen; Bush und Blair stehen auf der einen und alle anderen auf der anderen Seite«, erklärte er.

Auch in Großbritannien ist Blairs Haltung alles andere als unangefochten. Journalisten wie Politiker fürchten vor allem, dass sich das langwierige und gefährliche britische Engagement für die US-Regierung nicht auszahlen könnte. Wer sich so als »Freund« bewähre, ist nicht nur in der linken und liberalen Presse zu lesen, müsse zumindest mäßigenden Einfluss auf Bush ausüben können. Und da davon über lange Zeit nicht viel zu bemerken war, wurde Blair in politischen Karikaturen und Kommentaren als Bushs Pudel dargestellt.

Auch in der britischen Bevölkerung ist seine Politik nicht besonders beliebt. In den vergangenen beiden Monaten sank der Anteil der Kriegsbefürworter stetig. In einer aktuellen Umfrage der englischen Tageszeitung The Guardian lehnte die Hälfte der Befragten einen Kriegseinsatz ab. Selbst jeder zweite Wähler Labours spricht sich gegen eine britische Unterstützung der amerikanischen Irak-Politik aus. Wie stark sich dabei die öffentliche Meinung verändert hat, wird klar, wenn man diese Zahlen mit früheren Ergebnissen vergleicht. In einer kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 durchgeführten Umfrage waren sich noch 76 Prozent der Wähler aller Parteien einig, dass der US-Präsident gute Arbeit leiste.

Besonders unangenehm für Blair ist es jedoch, dass auch die Gewerkschaften sowie zahlreiche Mitglieder der Labour Party in den vergangenen Wochen ihren Widerstand gegen seinen Kurs angekündigt haben.

Der britische Gewerkschaftstag, der in der vergangenen Woche in Blackpool stattfand, wurde daher von allen Medien zur Stunde der Wahrheit erklärt. Kriegsgegner hatten zuvor damit gedroht, in Blackpool sowie auf dem Ende September stattfindenden Labour-Parteitag den möglichen Krieg gegen den Irak auf die Tagesordnung zu setzen. Blair solle seine Politik mit der Uno abstimmen, lautete eine der zentralen Forderungen. »Unter den Abgeordneten der Labour Party herrscht eine ganz andere Meinung vor als noch in Zeiten des Afghanistan-Krieges und des ersten Golf-Krieges«, warnte ein nicht namentlich genannter früherer Minister in der Presse.

Der britische Außenminister Jack Straw versuchte nun, die wachsende Opposition zu beruhigen. Ein Krieg könne noch verhindert werden, erklärte er der BBC, wenn der irakische Präsident Saddam Hussein den Waffeninspektoren der Uno wieder Zutritt gewähre. Zudem bestehe ein klarer Dissens zwischen London und Washington in der Frage des Zieles eines möglichen Krieges, betonte er. Ein Sturz Husseins sei nicht das Anliegen der britischen Regierung.

Wie kritisch die Regierung die Lage einschätzt, zeigte sich auch darin, dass Blair entgegen früheren Ankündigungen bereits am Tag vor dem Konferenzbeginn nach Blackpool reiste. Bevor er seine Rede auf dem Gewerkschaftstag hielt, wollte er noch einmal persönlich mit den wichtigsten Funktionären sprechen. Und dass er mit heftiger Kritik rechnen musste, war bereits an der Kleidung zahlreicher Teilnehmer zu erkennen, die T-Shirts mit der Aufschrift trugen: »Which Side Are You On?«

Tatsächlich bestätigte der Verlauf des Gewerkschaftstages die negativen Prognosen jedoch nicht so eindeutig. Gleich zu Beginn wurde ein Antrag, der sich grundsätzlich gegen eine militärische Intervention wandte, mit einer knappen Mehrheit abgelehnt. Gleichzeitig verabschiedete die Generalversammlung des britischen Gewerkschaftsbundes Tuc eine Erklärung, die sich für eine »eindeutige Opposition« gegen einen Alleingang der USA aussprach. Stattdessen hieß es, dass die Uno die Autorität über alle möglichen zukünftigen Kriegshandlungen gegen den Irak erhalten solle.

Allerdings fielen die Reaktionen auf Blairs Rede anders aus als erwartet. Heftige Proteste, Störaktionen, selbst Pfiffe blieben aus. »Don't attack Iraq!«, tönte am Ende der Rede ein einziger Zwischenruf. »Tony Blair bedeckte seinen Körper mit Blut und Fischmehl, hängte ein Schild mit der Aufschrift 'Fresst mich' um seinen Hals und tauchte ein ins Haifischbecken. Die Haie aber schauten höflich weg. Sie waren doch nicht hungrig«, kommentierte der Guardian einen Tag später die Rede.

Dass die Proteste ausblieben, verdankte Blair vor allem seiner geschickten Dramaturgie. Er begann seine Ansprache mit gemeinschaftsstiftenden Erinnerungen an die Anschläge vor einem Jahr und widmete sich erst dann seinem eigentlichen Thema, dem Irak. Anschließend beteuerte er, dass er »mit den Vereinten Nationen« arbeiten wolle, um einen Umgang mit Saddams »barbarischem Regime« zu finden. Mit diesem Zugeständnis besänftigte er seine Kritiker, gleichzeitig schloss er damit eine militärische Intervention ohne ein neues Mandat der Uno nicht explizit aus.

Zudem kündigte er an, dass vor einer Entscheidung für einen Kriegseinsatz die Parlamentsabgeordneten die Möglichkeit erhalten sollten, »die Krise zu debattieren und ihre Position zu vertreten«. Ein ungewöhnliches Zugeständnis, denn die bisherigen britischen Einsätze, wie etwa im Kosovo-Krieg, waren von der Regierung ohne große Diskussionen beschlossen worden. Das Parlament durfte erst darüber debattieren, als der Krieg bereits im Gange war. Doch auch wenn der britische Premier diesmal die Abgeordneten vorher beteiligen will, die endgültige Entscheidung wird sich die Regierung kaum nehmen lassen.

Blair kam somit seinen Gegnern scheinbar in der Sache entgegen, ohne die eigene Handlungsfreiheit zu beschränken. Seine Rede endete mit einigen Bemerkungen über die »internationale Solidarität«, die in Gewerkschaftskreisen ohnehin gut ankommen.

Noch ein weiterer Faktor dürfte dazu beigetragen haben, dass die erwartete Revolte ausblieb. Die britischen Gewerkschaften genießen momentan zwar große Sympathien in der Bevölkerung. Die Anzahl ihrer Mitglieder ist jedoch in den letzten beiden Jahrzehnten stark rückläufig. Derzeit sind nur 65 Prozent der Angestellten im öffentlichen Dienst gewerkschaftlich organisiert, in der Privatwirtschaft sind es sogar nur noch 19 Prozent.

Blair konnte sich einen entsprechenden Hinweis nicht verkneifen. Ohne die Labour Party hätten die Gewerkschaften kaum Chancen, ihren Einfluss auf die Politik im Lande weiterhin auszuüben, erklärte er. Mit anderen Worten: Ohne ihn geht nichts.