Israelisch-palistinensischer Konflikt

Revolution und Tragödie

Ein Vergleich der beiden Intifadas. Jungle World dokumentiert in Auszügen einen Artikel von roni ben efrat aus Challenge

Wir haben schon oft für eine andere palästinensische Führung plädiert - nicht, um das klarzustellen, für die gefügige Ausführung, wie sie die USA und Israel gern hätten, sondern für eine Führung, die für die Rechte der Palästinenser eintritt. Ein Blick auf die erste Intifada zeigt, wie sich eine solche Führung entwickelt.

Wir wollen bei der Betrachtung der ersten Intifada nicht in Nostalgie schwelgen. Der Rückblick ist notwendig, um zu verstehen, wie schlecht die zweite Intifada zusammengepfuscht wurde. Auch kann man hilfreiche Schlüsse für künftige politische Schritte ziehen. Die erste Intifada war nicht frei von Fehlern und Problemen, aber in ihren Ursprüngen war sie der Ausdruck einer gesunden, revolutionären Haltung. Auch wenn sie noch nicht die Reife hatte, um alle ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, hat sie doch nicht, wie die zweite, die Kraft der Palästinenser aufgezehrt oder sie orientierungslos zurückgelassen.

Erst 15 Jahre sind seit dem Ausbruch der ersten Intifada vergangen, doch ihre Lehren sind bereits größtenteils von den trüben Wassern der anschließenden Vereinbarungen von Oslo weggeschwemmt worden. Ich werde versuchen, sie wieder ins Trockene zu bringen.
(Im Original folgt eine Passage über die Entwicklung der Intifada von 1987)

Die Intifada vom September 2000 - eine Antirevolution

Die Gewalt, die im September 2000 ausgebrochen ist und immer noch anhält, hat mit der Intifada 13 Jahre zuvor wenig zu tun. Im Rückblick wird klar, dass sie nie die notwendigen Voraussetzungen hatte, sich zu einer echten Intifada zu entwickeln.

1. Ihre Ziele sind widersprüchlich und stimmen nicht mit denen des Volkes überein.

2. Es fehlt ihr an einer revolutionären Führung.

3. Sie konzentriert sich auf den bewaffneten Kampf, einschließlich Selbstmordanschlägen auf Zivilisten.

Die zweite Intifada ist ausgebrochen vor dem düsteren Hintergrund einer siebenjährigen gemeinsamen palästinensisch-israelischen Herrschaft. Als die PA 1994 in die Gebiete einzog, wich die Euphorie schnell einem Schock. Bald wurde klar, dass es sich bei dem Neuankömmling nicht um die befreiende PLO handelte, sondern um einen Doppelgänger der angrenzenden arabischen Regime. Auf eine solche Regierung waren die Gebiete nicht vorbereitet. Die ehemalige Führung der ersten Intifada verbog sich, bis sie in den neuen Regierungsapparat hineinpasste: Die unteren Ränge traten den Sicherheitskräften bei, die höheren nahmen Positionen innerhalb der Regierung ein. Ausgeschlossen blieb eine verbitterte Gruppe von Graswurzelaktivisten, die später unter das Kommando Marwan Barghoutis geriet.

Lange Jahre politischer Ermüdung in sterilen Verhandlungen mit Israel waren der zweiten Intifada vorausgegangen. Der Lebensstandard war tief gesunken. Das Rechtswesen erwies sich als nicht existent. Arafat führte ein Regiment des politischen Terrors. Auf säkularer Ebene gab es einen einzigen Versuch des organisierten öffentlichen Protests: Das Manifest der 20, das am 27. November 1999 veröffentlicht wurde. Es kritisierte die Korruption der PA und ihre Kollaboration mit Israel. Es bekam keine nennenswerte öffentliche Unterstützung und wurde schnell zum Schweigen gebracht.

Die erste Intifada hatte Israel überrascht, doch die zweite traf es vorbereitet an. Das hat General Yitzhak Eitan am 31. Mai 2002 in einem Fernsehinterview betont, in dem er sich auf die Proteste im September 1996 bezog. Die Palästinenser protestierten damals gegen den israelischen Tunnel an der Klagemauer; bei den Auseinandersetzungen an den Kontrollpunkten schossen zum ersten Mal Bedienstete der palästinensischen Autonomiebehörde auf israelische Soldaten. Seither, sagte er, habe sich die IDF auf alle möglichen Szenarien vorbereitet.

Israel hat Arafats Schwierigkeiten, die Opposition unter Kontrolle zu halten, aufmerksam verfolgt. Ihn, nicht die Hamas, hat es täglich getestet. Seit der ersten Intifada ist Israels Hauptsorge: Wer kann die Gebiete für uns kontrollieren?

Der Zorn des palästinensischen Volkes hat sich sowohl gegen die palästinensische Autonomiebehörde als auch gegen Israel erhoben. Doch keine vom Volk legitimierte Führung ist aufgestanden, um gegen die Partner von Oslo und für eine andere Lösung zu kämpfen.

Die Führung der zweiten Intifada hat drei Köpfe und ebenso viele Ziele, doch keines stimmt mit den Bedürfnissen der Bevölkerung überein.

1. Die palästinensische Autonomiebehörde wurde in die Intifada wohl oder übel hineingezogen. Während sie sich bemühte, für die Bevölkerung wie eine Befreiungsbewegung auszusehen, versuchte sie gleichzeitig, in Übereinstimmung mit den Verträgen von Oslo die Forderungen der Vereinigten Staaten und Israels zu erfüllen. Die PA ermutigte die Bevölkerung zu Zusammenstößen mit der Armee, hielt ihre eigenen Kräfte aber aus dem Kampf heraus. So trieb sie ihr Doppelspiel, als sei es möglich, zugleich eine nationale Befreiungsbewegung und ein verantwortungsbewusster »Staat« zu sein.

2. Die Tanzim (»Organisation«), die sich während der Jahre von Oslo zurückgehalten hatte, betrat in der zweiten Intifada die Hauptbühne. Im Gegensatz zur PA, die einfach nur überleben wollte, wollten die Mitglieder der Tanzim die Intifada benutzen, um bei gleich welcher zukünftigen Regelung Spitzenfunktionen übernehmen zu können. Über ihren vormaligen Ausschluss verbittert, beuteten sie die Wut der Bevölkerung über die PA und die Besatzung für ihre eigenen kleinlichen Interessen aus. Diese Ziele haben sie natürlich nicht enthüllt. Stattdessen sprachen sie über Endziele, von »einem Kampf, um den letzten Soldaten aus den Gebieten zu vertreiben«. Trotzdem hatten die Leute wenig Vertrauen zu ihnen. Aus diesem Grund und wegen ihres fehlenden revolutionären Denkens waren sie außerstande, eine Intifada des Volkes in Gang zu bringen. Also konzentrierten sie sich darauf, im bewaffneten Kampf an Popularität zu gewinnen.

In ihrem Streben nach Anerkennung und Posten wurden die Führer der Tanzim in einen Wettstreit mit der Hamas hineingezogen. Sie übernahmen die Waffe des Selbstmords. Ihr Ziel war es, Popularität zu erringen. Das steht in starkem Kontrast zur ersten Intifada, in der keine Notwendigkeit bestand, den Beifall des Volkes zu gewinnen, denn die Intifada war das Volk.

3. In den Jahren vor ihrem Eintritt in die Intifada war der Einfluss der islamischen Gruppen auf die palästinensische Gesellschaft stark gestiegen. Ideologisch gaben sie den Ton an. Daher auch der Name »al-Aksa Intifada«. Es war ein Aufstand gegen die Juden, nicht gegen die Besatzung. Das Ziel war, Angst und Schrecken unter den Juden zu verbreiten, bis diese irgendwie verschwinden würden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden alle Mittel als legitim angesehen. Die Islamisten haben das Konzept der Selbstmordattentate zu einer irreführenden Befreiungsstrategie aufgebläht.

Doch sie haben keine politische Alternative angeboten. Sie haben der Bevölkerung kein Werkzeug an die Hand gegeben, um mit Israels Macht fertig zu werden. Sie haben eine Welt, die das Trauma des 11. September 2001 erlebt hat, nicht in ihre Überlegungen einbezogen. Auf die scharfe Kehrtwendung, die die arabischen und die muslimischen Staaten, wie z.B. Saudi-Arabien und Pakistan, in der neuen Situation vollzogen haben, waren sie nicht vorbereitet.

Was die palästinensische Linke, die Avantgarde der ersten Intifada betrifft: Klein und ineffektiv wurde sie von der Fatah und den Islamisten mitgerissen.

Das Volk traut keinem der drei Anführer. Auch wenn es manchmal so scheint, als richte sich sein Zorn gegen die Besatzung, braucht man nicht überrascht zu sein, wenn spontane Proteste gegen die PA ausbrechen, wie derzeit in Gaza. Doch ohne Programm oder Führung werden sie wirkungslos bleiben.

In einer Hinsicht ist der zweiten Intifada mehr gelungen als der ersten. Sie hat (wenn auch unterstützt von anderen, globalen Faktoren) Israels Wirtschaft geschädigt. Aber sie hat die Verhandlungsmasse des Volkes nicht vergrößert. Im Gegenteil. Die palästinensische Frage, die, als Jordanien sie 1988 freigab, vorangekommen war, liegt jetzt in anderen arabischen Händen, denen Ägyptens und Saudi-Arabiens. Die palästinensische Autonomiebehörde ist als Regierungsapparat ausgeschaltet. Nominell existiert sie noch, aber in erster Linie weil nichts entstanden ist, was das Vakuum füllen könnte. Das palästinensische Volk geht aus der zweiten Intifada ärmer, verzweifelter und ohne Hoffnung hervor.

Der Geist der ersten Intifada war revolutionär; sie wird in die Geschichte als ein heroischer, moralischer Kampf eingehen. Die zweite wird als ein Fiasko gelten, in dem verschiedene politische Kräfte das Blut der palästinensischen Jugend vergossen haben, um ihre eigenen kleinlichen Interessen voranzutreiben.

Doch die Aufgabe, vor die sich das palästinensische Volk während der zweiten Intifada gestellt sah, besteht weiter. Es muss seine korrupte Führung abschütteln und, um sein nationales Problem zu lösen, eine realistische, revolutionäre Infrastruktur aufbauen.

Auch wenn das Volk neue und gesunde Kräfte hervorbringt, werden sie den Faden nicht dort wieder aufnehmen können, wo ihn die erste Intifada fallen gelassen hat. Die Sowjetunion und der sozialistische Block, die großen Unterstützer der Völker des Trikont, sind verschwunden. Die Welt hat sich vollständig gewandelt. Nationale Bewegungen allein, getrennt von den globalen ökonomischen Problemen, bieten keine Lösung mehr.

Was werden also die Methoden und Ziele einer dritten Intifada sein? So viel ist klar: Das palästinensische Volk wird sein Recht auf Unabhängigkeit und auf ein erfülltes Leben in seinem eigenen Land nicht aufgeben.

Aus dem Magazin Challenge, No. 72, Juli/August 2002, zu bestellen über P.O. Box 41199, Jaffa 61411, Israel, oder www.hanitzotz.com/challenge/. Aus dem Englischen von Endy Hagen

Challenge ist ein gemeinsames linksradikales Projekt jüdischer und arabischer Israelis, es gibt zudem zwei Schwesterzeitschriften auf Arabisch und Hebräisch, Al Fabar und Etgar. Die Gruppe engagiert sich u.a. in Gewerkschaftsinitiativen wie dem Workers Advice Center in arabischen Wohngebieten.