Viva Plus mit neuem Programm

Clips und sonst nichts

Viva Plus entlässt den Großteil seiner Mitarbeiter und sendet in Zukunft nur noch Videos und SMS.

Die meisten erfahren im Büro der Geschäftsleitung, dass sie ihren Job verlieren. Der Viva-Reporter Jan Becker bekam die Nachricht auf sein Handy. Der 25jährige, seit Anfang des Jahres mit seiner Digitalkamera für die tägliche Berlin-Sendung in der Metropole unterwegs, befand sich gerade zu Dreharbeiten in Moskau, als er von der Entscheidung der Viva Media AG erfuhr, den Kanal Viva Plus in eine reine Videoclipschleuder umzuwandeln. Ohne Moderatoren, ohne Reporter, ohne Redakteure - eben ohne alles, was Geld kostet und Inhalte oder Profil bringen könnte. »Es war schon klar, dass eine Programmreform geplant war, aber mit so einem harschen Schnitt hätte niemand gerechnet«, erinnert sich der Journalist.

Auf der ordentlichen Hauptversammlung der börsennotierten Viva Media AG am 30. August war das Thema noch höflich verschwiegen worden, Dieter Gorny und sein Aufsichtsrat schwadronierten im Kölner Capitol-Theater stattdessen über ein neues halbstündiges Programm in China. Doch die Entscheidung, Viva Plus abzuwickeln und sich des Personals zu entledigen, stand bereits fest, und es dauerte auch nicht lange, bis in der Kölner Medienszene die ersten Gerüchte durchsickerten.

Viva Plus wird, ähnlich dem MTV-Ableger MTV Pop, zu einem reinen Abspielkanal für Musikvideos werden, die von den Zuschauern über kostenpflichtige Anrufe oder SMS gewählt werden können. Damit will der Vorstandsvorsitzende Dieter Gorny zunächst 30 Prozent der Einnahmen erwirtschaften und den bislang defizitären Sender bis 2004 in die schwarzen Zahlen bringen.

Erfahrungen mit der Sendung »Get The Clip« und dem niederländischen Viva-Ableger The Box haben anscheinend gezeigt, dass es eine ausreichende Anzahl von Jugendlichen gibt, die Geld für Kurzmitteilungen und Anrufe bezahlen, ein Dutzend Mal am Tag das aktuelle Video von Las Ketchup oder Enrique Iglesias laufen zu lassen. Dass die Rotation sich an den Verkaufscharts orientiert und allenfalls um ein paar Interpreten aus den Häusern der Viva-Gesellschafter angereichert wird, dass Las Ketchup also auch ohne Anrufe ebenso häufig laufen würde, muss sich vermutlich erst noch rumsprechen.

Ernste Probleme für den erst im Januar dieses Jahres gestarteten Sender, den der inzwischen 49 Jahre alte Gorny gewohnt megalomanisch stets das »CNN des Musikfernsehens« nannte, zeichneten sich bereits Ende Juli ab. Da gab die Viva Media AG bekannt, dass der Konzernumsatz im laufenden Jahr statt der erwarteten 125 Millionen Euro nur 109 Millionen betragen würde.

Was jetzt mit der Umwandlung von Viva Plus und den damit einhergehenden Kündigungen folgte, bezeichnen PR-Profis gerne euphemistisch als »Konsolidierung«, »Konzentration auf das Kerngeschäft« oder als »optimierte Positionierung« - nicht erst seit der Einstellung des jetzt-Magazins durch den Süddeutschen Verlag drei der am meisten gehassten Phrasen bei jungen Medienschaffenden.

Ähnlich wie beim Münchner Magazindrama im Juli verlieren nun auch die Mitarbeiter von Viva Plus fast ausnahmslos ihre Anstellung. Nur noch ein kleines Team von ungefähr sechs Leuten wird benötigt, um den Sendebetrieb weiterzuführen. Der Rest der rund 70 Mitarbeiter muss sich etwas Neues suchen; wessen Vertrag nicht sowieso in den nächsten Monaten ausläuft, dem wird gekündigt. Aus Mitarbeiterkreisen wurde bekannt, dass es immer noch keine verbindliche Zusage über einen Sozialplan gibt.

Neben den korrigierten Umsatzerwartungen geht das neue Konzept für Viva Plus vor allem auf das stärkere Engagement des Gesellschafters AOL Time Warner zurück, der nach dem Ankauf des EMI-Anteils im August mit 30,6 Prozent der größte Einzelaktionär der Viva Media AG ist. Durch einen Stimmbindungsvertrag verfügt AOL Time Warner jedoch über einen Stimmenanteil von 46,1 Prozent und wird Prognosen zufolge über kurz oder lang auch die 15,3 Prozent des Miteigners Vivendi/Universal übernehmen.

Der derzeit etwas konfus wirkende Medienriese AOL/TW versucht mit seinem Einstieg bei Viva nicht nur, seinem Rivalen Viacom und dessen Videokanal MTV Konkurrenz zu machen, sondern er will so auch die Musik seiner Labels WEA und East West besser vermarkten. Da überrascht es auch nicht weiter, dass die drei neu bestellten Vorstandsmitglieder aus dem Hause AOL/TW stammen. »Durch diese Zäsur ist klar geworden, dass die Musik mittlerweile nicht mehr nur in Köln spielt, sondern in London und New York«, kommentiert Jan Becker die Entwicklung.

Nach der Verwandlung in eine reine Videoclipstrecke wird auch das »teure Korrespondentennetz« verschwinden, wie Dieter Gorny ankündigte. Dabei wird vergessen, dass diese Korrespondenten bislang das Aushängeschild des Senders waren, auf dem nicht zuletzt der Vergleich mit CNN gründete.

Ebenso wird übersehen, dass es sich bei ihnen um eine Handvoll Einzelkämpfer handelte, die mit einer Digitalkamera durch London, Berlin, Los Angeles oder Hamburg zogen. Dort verrichteten sie die Arbeit, für die sonst ein ganzes Team nötig ist, und lieferten für ein geringes monatliches Salär pro Person und Stadt eine ganze Stunde Programm pro Werktag in die Kölner Zentrale. Wenn diese Art der Programmgewinnung mittlerweile als »zu teuer« bezeichnet wird, ist das nicht nur zynisch, sondern wirft auch Fragen nach der Zukunft des Musikfernsehens in Deutschland auf.

Betrachtet man die Entwicklung der deutschen Musiksender in den letzten Jahren, so kommt man leicht zu dem Ergebnis, dass die beiden Kontrahenten MTV und Viva beim Buhlen um die Zuschauergunst ihr Niveau so lange senkten, bis nichts mehr von jener Coolness und Spannung übrig war, die das Musikfernsehen einst vermittelt hatte.

Ein immer mehr am Mainstream orientiertes Musikprogramm, dazu die Umwandlung der musikjournalistisch anspruchsvollen Nischensender VH-1 und Viva Zwei in die hemmungs- und gesichtslosen Hit-Schleudern MTV Pop und Viva Plus sorgten dafür, dass die Sender sich qualitativ immer weiter dem Inhalt ihrer Werbeinseln annäherten, die bezeichnenderweise fast nur noch mit Spots für schrottige CD-Sets und Sex-Hotlines gefüllt werden konnten. Durch die Aufgabe der redaktionellen Betreuung des Programms von Viva Plus wird ein weiterer Schritt in Richtung Austauschbarkeit und Stromlinienform getan, der immer stärkeren Formatierung der Privatradios sehr ähnlich.

Jan Becker sieht sich durch das Ende seiner Viva-Laufbahn jedoch nicht vor existenzielle Probleme gestellt: »Ich werde jetzt wieder, wie vor der Zeit bei Viva, für die ARD arbeiten. Und manchmal einen Schlips tragen«, erklärt er überraschend gut gelaunt. Den Schlips trägt er als freier Mitarbeiter für das Hauptstadtstudio, wo er Bilder für die Tagesschau liefert, eine schlipslose Rückkehr ins Privatfernsehen hält er jedoch nicht für ausgeschlossen.

Bis dahin kann er aber in Ruhe von außen zusehen, wie sich Viva Plus vom »CNN des Musikfernsehens« mehr und mehr zu dessen Neun Live entwickelt.