Sparpläne des Finanzsenators

Eine Stadt sieht rot

Die Sparpläne des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin sorgen für Aufruhr.

Was will der Mann eigentlich? Möchte Thilo Sarrazin (SPD), Berlins Finanzsenator, die Stadt in seine persönliche No-Go-Area verwandeln, sodass er allenfalls noch im Thomas-Dehler-Haus der FDP oder im Ludwig-Erhard-Haus der Wirtschaftsverbände um Asyl bitten kann? Sarrazin gilt als »unbequemer Vordenker« (Tagesspiegel) und musste schon den Vorstand der Bahn AG Ende des vorigen Jahres im Streit verlassen. Ihm sagen die Medien seit seiner Amtseinführung immer wieder nach, dass er starke Kommunikationsprobleme habe, und zwar nicht nur im Umgang mit den Kabinettskollegen, sondern auch mit den eigenen Verwaltungsangestellten. Jetzt hat er auch noch seiner Koalition ordentlich Ärger eingebrockt. Als in der vergangenen Woche Sarrazins so genannte Giftliste publik wurde, auf der in fast 90 Punkten alle möglichen sozialen Grausamkeiten präsentiert werden, war der Aufruhr innerhalb der rot-roten Koalition groß. Ausgerechnet eine Woche vor der Bundestagswahl kündigte Berlins Finanzsenator den großen Kahlschlag an. Während die PDS, nach Gregor Gysis Rücktritt vom Posten des Wirtschaftssenators im Umfragetief, ziemlich sauer auf Sarrazin war, hatte die Opposition allen Grund zur Freude über die unverhoffte Schützenhilfe im Wahlkampf. So fand auf Betreiben der FDP, der Grünen und der CDU noch am Tag vor der Bundestagswahl eine außerordentliche Sitzung des Abgeordnetenhauses statt. Für die CDU ist die Liste eine exzellente Steilvorlage, die Fraktion spricht von einem »Affront des Senats gegenüber den Berlinern«. In der Tat lassen sich Sarrazins Pläne nur schwer vermitteln. So sieht er die Privatisierung verschiedener staatlicher Aufgaben vor, vor allem in der Justiz und im Bildungsbereich. Daneben soll die Filmförderung gestrichen und die Sportförderung eingestellt werden. Im Kulturbereich soll an Opern, Theatern und Orchestern gespart werden. Die Verfolgten des Naziregimes werden keine Zuwendungen mehr erhalten, und auch die Zuschüsse für Langzeitarbeitslose sollen entfallen. In diesem Stil geht es weiter. Insgesamt soll der Haushalt von 2004 bis 2008 um 5,8 Milliarden Euro verringert werden. Interessant sind vor allem die drastischen Kürzungen im Bildungsbereich. Denn die rot-rote Koalition gewann die Wahlen mit dem Versprechen, zumindest in diesem Sektor nicht zu sparen, man kündigte sogar an, ein paar Lehrer mehr einzustellen. Bildung sollte fortan die höchste Priorität genießen. Doch schon kurz nach der Wahl wurde das Ende des Universitätsklinikums Benjamin Franklin der Freien Universität (FU) beschlossen, obwohl schon jetzt und erst recht nach einer angestrebten Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg zu wenige Mediziner ausgebildet werden. Die Schließung des Universitätsklinikums war nur ein kleiner Vorgeschmack. Sarrazins Plänen zufolge sollen ab 2005 Studiengebühren für Langzeitstudenten und für das Zweitstudium eingeführt werden, wie auch schon in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. 1 000 Euro im Jahr sollen die betroffenen Studenten künftig bezahlen, was dem Senat 665 Millionen Euro an Einnahmen bringen soll. Zusätzlich ist die Streichung von 25 000 Studienplätzen vorgesehen. Auch Schüler und Kleinkinder werden von der Sparwut nicht ausgenommen. Durch die Verdopplung der Kostenbeiträge für Kitas will der Senat 220 Millionen Euro einnehmen, und wenn dann noch die Kitagruppen vergrößert werden, sind weitere 100 Millionen gewonnen. Auch die Hilfen für Erziehung wollen gekürzt werden (302 Millionen), und kurzsichtig wäre, wer die Lernmittelfreiheit bestehen ließe (75 Millionen). Gleiches gilt für die Zuschüsse für Familien und Jugendarbeit (10 Millionen) und für die Schwimmbadbenutzung von Kitas und Schulen (15 Millionen). So können jene Berliner, die den Eintrittspreis fürs Schwimmbad noch aufbringen, künftig wenigstens unter der Woche in Ruhe baden gehen. Für Alleinerziehende, für Eltern und für Kinder dagegen wäre die Verwirklichung dieser Vorschläge der reine Horror. Frauen mit Kind können sich dann von jeglicher halbwegs eigenständigen Lebensplanung verabschieden. An allen Ecken und Enden soll das Engagement der Stadt auf das gesetzliche Mindestmaß, und zwar auf das allerunterste Niveau, heruntergefahren werden. Man kann sich ausrechnen, dass die Sparmaßnahmen, gerade weil sie in mehreren Bereichen gleichzeitig erfolgen, verheerende Folgen bei den Betroffenen zeitigen werden. Ob die geplanten Einsparungen dagegen überhaupt die gewünschte Entlastung des Landeshaushalts bringen, ist mehr als fraglich. Denn die Rechnung, die Sarrazins Verwaltung aufmacht, ist nicht haltbar. Welche Langzeitstudenten sollen 665 Millionen in den Etat des Senats einzahlen? Erfahrungen aus München zeigen, dass die Zahl der eingeschriebenen Studenten nach einer solchen Gebührenerhöhung stark sinkt, da die Betroffenen das Studium aufgeben oder umziehen, weil sie es sich schlicht nicht leisten können, den Staat zu alimentieren. Außerdem muss man sich fragen, wie denn noch weiter an den Unis gespart werden kann, da mittlerweile einige Fachbibliotheken nur noch dank Bücherspenden von engagierten Studenten und Professoren auf dem aktuellen Forschungsstand bleiben können. Die Stimmung an der FU ist dank maroden Gebäuden, mangelnder Betreuung durch Professoren, fehlenden Dozenten, knappen Lehrmitteln und geringen beruflichen Perspektiven schon schlecht genug. Weil weitere Einsparungen kaum populär sind, versucht die Regierung, sich von Sarrazins »Giftliste« zu distanzieren. »Diese Liste wird nie umgesetzt werden«, erklärte der Berliner SPD-Vorsitzende Peter Strieder. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) betonte, dass die Vorschläge »politisch noch nicht bewertet« seien. Ein Ausweg aus der Finanzkrise bleibt die Erklärung des Haushaltsnotstands und die damit verbundene Hilfe aus Bundesmitteln. »Wenn es keinen Konsens mit dem Bund gibt und wir keine freiwillige Unterstützung bekommen, werden wir nach Karlsruhe gehen und vor dem Bundesverfassungsgericht klagen«, kündigte Wowereit am Freitag vergangener Woche an. Auch der Fraktions- und Parteivorsitzende der Berliner PDS, Stefan Liebich, hält die Vorschläge »für nicht akzeptabel«. Dennoch sagt er: »Nur wenn es gelingt, die Bevölkerung auf dem notwendigen Sparkurs mitzunehmen, können in den kommenden Jahren entscheidende Projekte und Reformen mit großen Einsparpotenzialen für die Stadt umgesetzt werden. Giftlisten vergiften dagegen das Klima in Berlin.« Und genau das ist das Problem. Die Liste präsentiert die Maximalforderung nach sozialer Grausamkeit, die Parteien distanzieren sich von ihr. Aber später werden dann unter dem »Sachzwang« die einzelnen Ideen nach und nach verwirklicht werden. Dass die Kürzungsvorschläge nicht, wie sie es verdient hätten, in den Reißwolf wandern, wird allein schon daran deutlich, dass der Tagesspiegel sie in »umsetzbare« und solche, die »kaum eine Chance« haben, unterteilte. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit. Darauf kann man Gift nehmen.