»Ich rede von der Revolution«

Die mutmaßlichen Mitglieder der griechischen Stadtguerillagruppe 17. November sind verhaftet. Die Gelegenheit ist günstig für den griechischen Staat, gegen die radikale Linke vorzugehen. Der 65jährige Giannis Serifis ist ein in Griechenland bekannter Syndikalist, der schon gegen die Militärjunta gekämpft hat. Seit den siebziger Jahren gehört er zu den »üblichen Verdächtigen«, wie die Anarchisten genannt werden, die nach jedem Anschlag einer Stadtguerillagruppe präsentiert werden. Jetzt behaupten einige, Serifis sei ein Gründungsmitglied der Organisation. Mit ihm sprachen Giorgos Gioukakis und Babis Agrolabos.

Sind Sie der Nächste, der wegen der Mitgliedschaft in der Gruppe 17. November angeklagt wird?

Ich werde von einem Teil der Medien eingekreist, die sich aufführen, als seien sie die Verfolgungsbehörde. Die Polizei hat mich weder belagert noch belästigt. Ich habe auch noch nicht gemerkt, dass ich besonders überwacht werde, also mehr, als es in der Vergangenheit üblich war.

Sie verstehen aber, dass Ihr Name nicht aus dem Nichts aufgetaucht ist?

Ich sehe, dass mein Name von gewissen Stellen in den Fall verwickelt wurde. Damals im Fall Ravtopoulos (des Vorsitzenden des Allgemeinen Griechischen Gewerkschaftsbunds, gegen den die Organisation 1. Mai im Jahr 1987 einen Mordanschlag verübte; die Red.) geschah genau das gleiche. Am Tag des Anschlags war ich von morgens bis abends im Verwaltungsrat meiner Gewerkschaft. Wir verhandelten über die neuen Kollektivverträge, und trotzdem stand ich tags darauf als Hauptverdächtiger in der Zeitung.

Warum hat Christodoulos Xiros Sie belastet?

Keine Ahnung, vielleicht sucht er ein Alibi, vielleicht spielt wieder die Polizei eine Rolle.

Aus welchem Grund?

Aus den gleichen Gründen, aus denen sie Konstrukte im Fall Ravtopoulos und bei der AEG-Aktion (gemeint ist der Bombenanschlag der Organisation Revolutionärer Volkskampf auf eine AEG-Niederlassung in Athen im Herbst 1977, die Red.) aufgebaut haben. Außerdem gibt es ein Terror- und Verrätergesetz, und die Verhafteten glauben, dass sie allem zustimmen müssen, was die Polizei ihnen vorlegt. Ich habe allerdings kein Interesse, mich mit Xiros' Verlautbarungen zu beschäftigen.

Was denken Sie über den bewaffneten Kampf? Lässt er sich unter den heutigen Bedingungen rechtfertigen?

Nein, er kann auf keinen Fall gerechtfertigt werden, solange es keine entwickelte klassenkämpferische Bewegung gibt. Es geht nicht darum, eine Macht gegen eine andere auszutauschen. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir das gemeinsam tun. Wir können nichts mit einer Handvoll Leuten verändern, die heimlich irgendeine Art von bewaffnetem Kampf führen.

Wenn wir an den Punkt kommen, an dem das Volk entschieden hat, seine Situation zu verändern, ist das komplett anders. Ich glaube an die politische Selbstorganisation und den Kampf. Dafür setze ich mich mein ganzes Leben lang ein. Das bedeutet allerdings, dass die Leute Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Das bedeutet größeres politisches und gesellschaftliches Bewusstsein, mehr Teilnahme und Solidarität. Wenn diese Bedingungen existieren, diskutieren wir auch über bewaffneten Kampf.

Sie reden von der Revolution.

Genau. Um allerdings in eine vorrevolutionäre Situation zu kommen, müssen wir hart arbeiten. Es ist meine Entscheidung, dafür zu arbeiten, dass die Gesellschaft sich ändert, und ich tue es offen. Es hat mich nie interessiert, dass sich irgendwelche Retter für das Volk finden. Wenn Sie wollen, bedeutet das, dass sich das Volk selbst retten kann.

Könnte unter diesen politisch-ideologischen Voraussetzungen die Gruppe 17. November als »revolutionäre Avantgarde« einen Platz finden?

Eine hierarchische Organisation mit so klarem Machtanspruch wie der 17. November kann keine Avantgarde sein.

Hat die Tatsache, dass Sie über Jahre dem Verwaltungsrat der Gewerkschaft angehörten, nicht dazu geführt, dass auch Sie Macht ausgeübt haben?

Das ist einer der Widersprüche. Manchmal werden wir von den Bedingungen gezwungen, eine gewisse Rolle zu spielen. Aber auch in der Gewerkschaft war es immer unser Ziel, autonome Vereinigungen zu bilden. 1976/77 mussten wir bei der AEG 15 Stunden am Tag arbeiten, und die parteinahen Gewerkschaften haben nichts gemacht. So haben wir selbst organisierte Basiskomitees gegründet und daraufhin den Arbeitsvertrag angegriffen. Nach 77 Tagen Arbeitskampf gewannen wir, weil wir nicht das Spiel der offiziellen Gewerkschaften mitgespielt haben.

Wer von Ihrer Laufbahn als Syndikalist hört, wird sich fragen, warum Ihr Name ständig mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht wird.

Ich erinnere Sie daran, dass das schon lange vor der AEG begann. Ich war Gastarbeiter in Deutschland und später in Australien. Ich wollte in Europa sein, in Kontakt mit den antidiktatorischen Bewegungen. Damals habe ich mich für die Bewegung 20. Oktober entschieden, eine antihierarchische, antiherrschaftliche Bewegung. Wir haben Arbeiterunterstützungskomitees gegründet, und alles, was die Kollegen in Griechenland brauchten, aus Deutschland geschickt.

Mein Name wurde durch Verhaftungen bekannt, ich wurde in Abwesenheit verurteilt. Wissen Sie, was damals in meinem Dorf Morfatilos war? Polizei, Armee und Geheimpolizei umzingelten es drei Monate lang.

Hat sich die Organisation 20. Oktober nach dem Sturz der Junta aufgelöst?

Innerhalb von 24 Stunden haben sich alle antidiktatorischen Organisationen aufgelöst. Wir haben uns beeilt zurückzukehren. Ich bin 1974 kurz vor den Wahlen zurückgekommen. Mit normalen Papieren, allerdings war ich sehr vorsichtig, da es Gerüchte über einen neuen Putsch gab. Endgültig zurückgekehrt bin ich 1976. Meine politische Überzeugung war es, dass eine antagonistische Gewerkschaftsbewegung entwickelt werden müsste. Wir diskutierten damals über eine Assoziation unabhängiger Betriebsgruppen. Das haben wir nicht geschafft, da uns die AEG-Geschichte dazwischenkam. Ich wurde in U-Haft gesteckt mit der Beschuldigung, Christos Kassimis ermordet zu haben. (Bei der AEG-Aktion wurde Christos Kassimis von Zivilpolizisten mit einem Kopfschuss getötet. Serifis wurde deswegen verhaftet, angeklagt und saß bis zu seinem Freispruch anderthalb Jahre in Untersuchungshaft, die Red.) Als ich aus dem Knast entlassen wurde, wurde unsere Gewerkschaft komplett von den Parteien bestimmt.

Nach dem, was jetzt an die Öffentlichkeit kommt, hatte auch Christos Kassimis Beziehungen zum 17. November.

Das glaube ich nicht. Es sind völlig verschiedene Dinge, aus Protest eine Bombe zu legen oder einen Mord zu begehen.

Was tun Sie, wenn Sie von der Polizei zum Verhör abgeholt werden?

Was mit mir geschieht, ist die Terrorisierung einer Bewegung, die außerhalb der Apparate und Parteien steht. Und genau das passt ihnen allen prima. Der Regierung, weil sie endlich den Amerikanern, den Engländern und anderen beweist, dass sie gut arbeitet. Der Opposition, weil sie sieht, dass diese Geschichte zu Lasten der Linken geht.

Ich werde jedenfalls keine Rechenschaft über mein Leben, meine Aktivitäten und meinen Kampf gegen die Diktatur ablegen. Ich werde vor keinem Staatsschutz irgendetwas erklären. Wenn sie mich verurteilen wollen, sollen sie mich für das verurteilen, was ich bin.

Gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung eines Interviews, das am 28. Juli in der Tageszeitung Ethnos erschien. Übersetzung: Ralf Dreis